Mordor, mein Mordor

Apokalypse Silicon-Valley-Milliardäre wie Peter Thiel bereiten sich in Neuseeland auf den Zusammenbruch des Kapitalismus vor
Ausgabe 39/2018
Mordor, mein Mordor

Illustration: Johanna Walderdorff für der Freitag

Wer sich für das Ende der Welt interessiert, so scheint es, interessiert sich für Neuseeland. Jedenfalls war kurz nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten in der New York Times zu lesen, dass der milliardenschwere Risiko-Investor Peter Thiel, Mitgründer von PayPal und Facebook-Investor, Neuseeland als „die Zukunft“ bezeichnet habe.

Das sollte uns zu denken geben. Denn Thiel ist so etwas wie ein Kanarienvogel im Bergwerk des Kapitalismus, wenn auch mit dem nicht unwichtigen Detail, dass dieser Kanarienvogel selbst einen sehr profitablen Anteil an der Kohlenmine hält.

Thiel, 1967 in Frankfurt am Main geboren und im Alter von einem Jahr mit seinen Eltern in die USA ausgewandert, wirkt auf den ersten Blick wie die Karikatur eines digitalkapitalistischen Bösewichts: Der einzige Promi im Silicon Valley, der Trumps Wahlkampf aktiv unterstützt hat, räsoniert er schon mal öffentlich über die Unvereinbarkeit von Freiheit und Demokratie. Eine Webseite, deren Berichterstattung über ihn ihm nicht gefiel, trieb er aus purer Rachsucht in den Bankrott. Schließlich bekannte er sein Interesse an einer Therapie gegen das Altern, die – als suche er nach einer möglichst plumpen Metapher für den Kapitalismus – aus Transfusionen des Bluts junger Menschen besteht.

Ebendieser Peter Thiel hatte schon 2011 erklärt, er kenne kein Land, das „mehr mit meiner Vorstellung von der Zukunft im Einklang steht als Neuseeland“. Thiel äußerte das als Teil seines Antrags auf die neuseeländische Staatsbürgerschaft, die ihm postwendend verliehen wurde.

Im Jahr 2016 erwähnte Sam Altman, einer der einflussreichsten Silicon-Valley-Unternehmer, eine Abmachung, die er mit Peter Thiel getroffen habe: Für den Fall, das es zu einem systemischen Kollaps kommen würde – ganz egal ob durch einen Ausbruch künstlicher Viren, einen Putsch durch Roboter und künstliche Intelligenz oder einen Ressourcenkrieg zwischen Atommächten –, in diesem Ernstfall also würden beide in ein Privatflugzeug steigen und zu Thiels Anwesen in Neuseeland fliegen. Was sie für die Zeit nach dem Kollaps vorhatten, sagte Altman nicht. Man mag sich vorstellen, sie planten, den Zusammenbruch der Zivilisation erst mal auszusitzen und danach als Risikokapitalgegeber die Gründerszene für Protein-Shakes auf Insektenbasis aufzumischen.

Kurz nach Altmans Indiskretion begann Matt Nippert, ein Reporter der auflagenstärksten Tageszeitung Neuseelands, des New Zealand Herald, zu recherchieren, wie genau Thiel in den Besitz seines Weltuntergangsrefugiums gekommen war – eine an die 200 Hektar große ehemalige Schaffarm auf der Südinsel, dem größeren, weniger stark bevölkerten der beiden Hauptlandesteile. Ausländer mussten einst, wenn sie größere Grundstücke in Neuseeland erwerben wollten, eine strenge Sicherheitsprüfung durchlaufen. In Thiels Fall aber war das gar nicht notwendig, wie Matt Nippert herausfand, da Thiel ja bereits die neuseeländische Staatsbürgerschaft hatte. Dabei war Thiel bis zu diesem Zeitpunkt nur zwölf Tage im Land gewesen und danach nie wieder dort gesehen worden. Er musste nicht mal für die offizielle Verleihung der Staatsbürgerschaft nach Neuseeland reisen, sondern konnte das im Konsulat erledigen, das sich praktischerweise in Santa Monica in Kalifornien befand.

In Neuseeland lösten Nipperts Recherchen eine öffentliche Debatte über die Frage aus, ob es in Ordnung sei, dass sich ein ausländischer Milliardär seine Staatsangehörigkeit praktisch kaufen könne. Im Rest der Welt dagegen fragte man sich, wozu Thiel überhaupt ein 200 Hektar großes Stück Neuseelands besitzen mochte. Die Vermutung lag nahe, dass er daraus eine Festung machen würde, in die er sich in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Zivilisation zurückziehen kann.

Genau das scheint die Rolle zu sein, die Neuseeland in unserer kollektiven Vorstellungswelt eingenommen hat: eine Insel der Seligen, umbrandet von der steigenden Gezeit apokalyptischer Paranoia. Nach Angaben des neuseeländischen Innenministeriums informierten sich – in den zwei Tagen nach Trumps Wahl – 14-mal so viele US-Amerikaner wie im Monat zuvor darüber, wie sie die neuseeländische Staatsbürgerschaft erwerben könnten. Insbesondere wird das Land zunehmend als Schlupfloch für Silicon Valleys Tech-Elite angesehen. Eine Woche nach Trumps Amtsantritt veröffentlichte der New Yorker einen weiteren Artikel über Superreiche, die sich auf den großen Zusammenbruch vorbereiten. Auch der Milliardär und LinkedIn-Gründer Reid Hoffman, ein ehemaliger Kollege von Thiel bei PayPal, nannte darin Neuseeland einen „vorzüglichen Zufluchtsort im Falle einer Katastrophe“.

Ein böses Manifest

In letzter Zeit hört man immer wieder, es sei leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. Ich würde dem zustimmen. Und die Wahrnehmung – sei sie nun paranoid oder nicht –, dass die Milliardäre unter uns sich auf den Untergang der Zivilisation vorbereiten, wirkt wie eine Illustration dieser These: Am Ende werden die gerettet werden, die sich die Rettungsprämie leisten können.

Letzten Sommer, als mein Interesse am Topos des Endes der Zivilisation und das an der Figur Peter Thiel sich immer stärker überlappten, ja, zu einer einzigen Obsession zusammenschmolzen, erreichte mich aus heiterem Himmel eine E-Mail des neuseeländischen Kunstkritikers Anthony Byrt. Wenn ich, so schrieb er mir, die sehr schräge Ideologie verstehen wolle, auf der Thiels Interesse an Neuseeland gründe, dann müsse ich ein obskures libertäres Manifest lesen: The Sovereign Individual, „Das souveräne Individuum“. Dessen Untertitel lautet wie folgt: „Wie man den Zusammenbruch des Wohlfahrtstaates überlebt und davon profitiert“. Erstmals 1997 veröffentlicht, hat das Pamphlet in den vergangenen Jahren in der Tech-Welt Kultstatus erreicht, vor allem, weil Thiel es als das Buch benannt hat, das ihn am stärksten beeinflusst habe.

Die Autoren von The Sovereign Individual sind James Dale Davidson, ein Investor, der sich darauf spezialisiert hat, die Reichen dabei zu beraten, wie sie aus ökonomischen Krisen und Katastrophen Profit schlagen können, und Lord William Rees-Mogg, ein langjähriger, inzwischen verstorbener Redakteur der britischen Tageszeitung The Times.

The Sovereign Individual bietet einen düsteren Ausblick auf eine postdemokratische Zukunft, der sich mehr oder weniger so zusammenfassen lässt: Erstens funktioniere der demokratische Nationalstaat im Grunde wie eine mafiöse Vereinigung, die ehrlichen Bürgern den Großteil ihres Vermögens abknöpft, um damit Überflüssiges wie Straßen und Krankenhäuser und Schulen zu finanzieren. Zweitens: Die Digitalisierung und die Verbreitung von Kryptowährungen würden es Regierungen in Zukunft verunmöglichen, sich in private Transaktionen einzumischen und Einkommen zu besteuern, wodurch die Menschen dem erpresserischen Schutzgeldkartell der Demokratie nicht länger ausgeliefert seien. Drittens werde dadurch der Staat als politische Einheit obsolet. Und viertens werde aus seinen Trümmern ein neues globales Regime entstehen: In ihm werde eine „kognitive Elite“ zu Macht und Einfluss kommen, die als Klasse von souveränen Individuen „über deutlich größere Ressourcen herrschen“, nicht länger der Macht der Nationalstaaten unterworfen sein und sich neue Formen der Regierung schaffen werde, die ihr zweckdienlich seien.

Im wahrsten Sinne des Wortes ist The Sovereign Individual ein apokalyptischer Text, ein Dokument einer explizit millenaristischen Vision der Zukunft, in der alte Ordnungen zusammenbrechen und eine neue Welt entstehen wird. Die liberale Demokratie wird demnach einfach aussterben und wird durch lose Zusammenschlüsse von Stadtstaaten, die von Unternehmen ununterscheidbar sein werden, ersetzt. Die westliche Zivilisation in ihrer gegenwärtigen Form, da waren sich die Autoren sicher, werde mit der Jahrtausendwende enden. „Das neue souveräne Individuum wird – wie die Götter in der griechischen Mythologie – in der gleichen körperlichen Welt leben wie die gewöhnlichen Bürger-Untertanen, aber zugleich politisch in einem anderen Reich zu Hause sein.“ Wie düster und extrem die Prognosen des Buches in Bezug auf die Zukunft des Kapitalismus ausfallen, lässt sich schwer toppen. Die Lektüre erinnert einen damit aber auch ständig daran, dass das, was für die einen ein dystopischer Albtraum ist, für andere offenbar eine utopische Zukunftsvision darstellt.

Neuseeland kommt auch schon bei Davidson und Rees-Mogg vor: Sie beschreiben den Inselstaat als ideales „Domizil für die Vermögensbildung im Informationszeitalter“ für die neuen souveränen Individuen. Der Kunsthistoriker Anthony Byrt, durch den ich auf das Buch aufmerksam geworden war, hatte inzwischen auch schon zu einem Grundstückskauf Mitte der 1990er Jahre recherchiert: Ein Käuferkonglomerat hatte eine riesige Schaffarm an der südlichen Spitze der Nordinsel erworben. Unter den größten Anteilseignern waren Davidson und Rees-Mogg.

Natürlich könnte man mutmaßen, dass Thiels Interesse an Neuseeland vor allem mit seiner Faszination für den Herrn der Ringe zu tun hat. Immerhin tragen mindestens fünf seiner Unternehmen einen Namen mit Bezug zum Werk J. R. R. Tolkiens. Oder mit dem Umstand, dass es hier sauberes Wasser im Überfluss gibt und man Neuseeland mit einem bequemen Nachtflug von Kalifornien aus erreichen kann. Zugleich ist die Neuseeland-Schwärmerei untrennbar verbunden mit einer ganz besonderen Spielart des apokalyptischen Hightech-Kapitalismus, dessen Ideologie The Sovereign Individual offenlegt: Leute wie Thiel – die selbsternannte „kognitive Elite“ – wären offenbar damit zufrieden, dem Untergang der Welt zuzugucken, solange sie nur damit weitermachen könnten, Geld zu verdienen.

Genau diese Ideologie stand im Fokus einer Ausstellung in Auckland, die der neuseeländische, in Berlin lebende Installationskünstler Simon Denny unter dem Titel The Founder’s Paradox geschaffen hat. Der Titel, „Das Gründer-Paradox“, zitiert übrigens eine Kapitelüberschrift aus Peter Thiels 2014 erschienenem Buch Zero to One. Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet. Die Ausstellung setzte sich mit der Zukunft auseinander, die Techno-Libertäre wie Thiel aufbauen wollen, und damit, welche Rolle Neuseeland darin spielen würde: genau meine Themen also. Ich selbst war ja sehr am Weltuntergang interessiert, weswegen ich mich auch für Neuseeland interessierte. Also beschloss ich, hinzufliegen und mit eigenen Augen jenes Land zu sehen, das Thiel offenbar für die Zeit nach dem Zusammenbruch der Zivilisation reserviert hatte: einen Ort, der mir wie ein Labyrinth vorkam und dessen Eigentümer in meiner Fantasie längst zu einem Ungeheuer im Zentrum dieses Labyrinths geworden war.

Schon eine Stunde nach meiner Landung in Auckland – ich war so übermüdet, dass mir alles egal war – starrte ich in den Krater eines Vulkans. Anthony Byrt, der Kunsthistoriker, dessen E-Mail mich auf die Spur der ideologischen Irrungen und Wirrungen der Neuseeland-Apokalyptiker gebracht hatte, hatte mich vom Flughafen abgeholt und den Hang des Vulkans hochgeschleppt. Der Mount Eden ist allerdings ein ziemlich zahmes Exemplar von Vulkan, um das herum sich eines der wohlhabenderen Stadtviertel von Auckland ausbreitet – der einzigen Stadt der Welt, wie er mir erzählte, die auf einem noch aktiven Vulkanfeld gebaut ist.

Ich wunderte mich laut darüber, dass sich die Kapazunder aus Silicon Valley ausgerechnet damit für die Apokalypse zu rüsten gedachten, dass sie am „zirkumpazifischen Feuergürtel“ Land kauften, jener hufeisenförmigen Ansammlung geologischer Bruchlinien, die immerhin die geologisch aktivste Region der Welt ist. „Tja“, sagte Byrt, „aber manche von ihnen kaufen Bauernhöfe und Schaffarmen weit im Landesinneren. Tsunamis werden dort kein großes Thema sein. Was die suchen, ist Platz und sauberes Wasser, und davon gibt es da jede Menge.“

Das Land wird als leer gedacht

Am nächsten Tag besuchte ich die Ausstellung The Founder’s Paradox in einer Galerie in der Innenstadt von Auckland. Das Kernstück der Schau war ein Brettspiel namens „Gründer“, das sich stark an die Ästhetik – und die explizit kolonialistische Sprache – des Strategiespiels „Siedler von Catan“ anlehnt. Ziel des Spieles „Gründer“ ist nicht nur, die Apokalypse zu überleben, sondern von ihr zu profitieren: Als Erstes geht es darum, Grundstücke in Neuseeland zu kaufen, mit seiner sauberen Luft, weit weg vom Chaos und von der Umweltvernichtung, die den Rest der Welt unbewohnbar macht. Dann kann man dadurch punkten, dass man „Seasteading“ betreibt, also künstliche Inseln in internationalen Gewässern baut. Damit greift das Spiel eine weitere libertäre Utopie auf, die davon handelt, wie wohlhabende Hightech-Fuzzis in schwimmenden Mikrostaaten ihren Geschäften nachgehen können, ohne dass sie durch die Einmischung demokratischer Staaten gestört werden. Naturgemäß war Peter Thiel einer der frühen Investoren und Fürsprecher der „Seasteading“-Bewegung, auch wenn sein Interesse in den vergangenen Jahren nachgelassen hat. Auf dem höchsten Level des „Gründer“-Spieles geht es darum, auf dem Mond Erz und andere Bodenschätze zu schürfen (Freitag 42/2017), bevor man dazu übergeht, den Mars zu besiedeln. Auch dieser Fluchtpunkt des Spiels spiegelt eine populäre futuristische Fantasterei wieder, deren bekanntester Anhänger Thiels früherer PayPal-Kollege Elon Musk ist, der davon träumt, den sterbenden Planeten Erde hinter sich zu lassen und in Privatkolonien auf dem Mars weiterzuleben.

Der Einfluss der Schrift The Sovereign Individual auf die Ausstellung und das „Gründer“-Spiel ist unübersehbar. Herausgekommen war eine detaillierte Vision einer unserer möglichen Zukünfte, in all ihrer raffinierten Barbarei: ein utopischer Traum, der sich als krasser Albtraum herausstellt.

Peter Thiel selbst hat von Neuseeland als einer „Utopie“ gesprochen, als er sich 2011 um die neuseeländische Staatsangehörigkeit bemühte und mithilfe eines Risikokapital-Fonds namens Valar Ventures in mehrere neuseeländische Start-ups investierte. Dass auch Valar eine Anspielung auf den Herrn der Ringe ist, versteht sich von selbst. Mehr noch: Ein Artikel über Thiels Rolle in Trumps Wahlkampfteam zitierte einen seiner Freunde mit den Worten: „Thiel hat mir offen und mehrmals gesagt, dass er sein eigenes Land besitzen will.“ Thiel sei sogar so weit gegangen, sich zu überlegen, wie viel ihn das kosten würde und wie viel er dafür zu bezahlen bereit wäre. Er sei auf rund 100 Milliarden US-Dollar gekommen.

Vielen Neuseeländern, mit denen ich sprach, war unangenehm bewusst, woher Thiels Interesse an ihrem Land kam und welche Rolle Neuseeland in den „Frontier“-Fantasien US-amerikanischer Libertärer angenommen hatte.

Die Rechtswissenschaftlerin Khylee Quince zum Beispiel, die ich in ihrem Büro an der Auckland University of Technology traf, wies mich darauf hin, dass jede Beschwörung Neuseelands als Utopia ein „riesiges rotes Tuch“ sei, insbesondere für Maoris, die indigene Bevölkerung Neuseelands, zu der sie selbst gehört. „Das ist die gleiche Sprache der Leere des Landes und seiner Abgeschiedenheit, mit der während der Kolonialzeit über Neuseeland gesprochen wurde“, sagt sie. Klar, dass so ein Narrativ der Leere die Existenz derjenigen ausradiert, die schon da waren: ihre eigenen Maori-Vorfahren. Bezeichnenderweise hatten die Maoris ihre erste koloniale Begegnung nicht mit Vertretern der britischen Krone, sondern mit einem privaten Unternehmen, der New Zealand Company, die der in England wegen Kindesentführung verurteilte Edward Gibbon Wakefield mit dem Ziel gegründet hatte, Investoren mit billigen Arbeitskräften zu versorgen. Letztere waren Wanderarbeiter, die selbst nicht genug Geld hatten, um Land in den Kolonien zu kaufen, die aber hofften, von ihrem Lohn genug zusammensparen zu können, um am Ende doch noch ein Stücklein Land zu erwerben.

Erst als die New Zealand Company sich nach mehreren Expeditionen zwischen 1820 und 1840 anschickte, Neuseeland auf eigene Faust zu kolonisieren und eine eigene Regierung einzusetzen, entschloss sich die Krone, eine formale Kolonie in Neuseeland einzurichten. Quince sieht ein Echo dieser Periode der Geschichte ihres Landes in den Utopia-Fantasien von Leuten wie Thiel und erkennt darin eine explizit kolonialistische Ideologie. Allerdings spricht Quince wohl nicht für alle ihrer Landsleute: Viele Neuseeländer sind eher geschmeichelt als besorgt über das Interesse der Silicon-Valley-Milliardäre an ihrem Land.

In der neuseeländischen Linken ist derzeit ein vorsichtiger Optimismus zu verspüren, angestoßen vom überraschenden Wahlsieg der von Labour angeführten Koalition unter der 37-jährigen Premierministerin Jacinda Ardern, deren Jugend und Idealismus einen Bruch mit der neoliberalen Orthodoxie darstellen. Im Wahlkampf spielte Immobilienbesitz von Ausländern eine nicht unerhebliche Rolle, allerdings eher im Zusammenhang mit ausländischen Spekulanten, die die Hauspreise in Auckland in die Höhe treiben. Im August dieses Jahres beschloss die neue Regierung, es Ausländern zu verbieten, Immobilien zu erwerben.

Letzteres hat vor allem Arderns Stellvertreter Winston Peters vorangetrieben, ein Nationalist mit Maori-Wurzeln, dessen Partei das Zünglein an der Waage ist. Verrückterweise kannte ich seinen Namen schon: aus dem Traktat The Sovereign Individual! Die Autoren hatten Peters zum Erzfeind der kommenden kognitiven Elite gekürt und ihn als „reaktionären Loser“ und „Demagogen“ beschimpft, der „die Leute davon abhalten will, sich von der Politik zu emanzipieren“.

Ein Ungeheuer in Shorts

Ein paar Wochen nachdem ich Neuseeland wieder verlassen hatte, hörte ich von Max Harris, einem neuseeländischen Autor, auf dessen Bücher sich Simon Denny in seiner Ausstellung The Founder’s Paradox bezogen hatte. Harris war auf Besuch zu Hause und hatte die Gelegenheit genutzt, sich die Ausstellung anzusehen. In einem Raum im Untergeschoss – der mit seiner niedrigen Decke und den Eisentüren ziemlich führerbunkerhaft wirkte – traf er einen Mann in kurzen Hosen und einem blauen Polo-Shirt, der sehr konzentriert auf den Glaskasten starrte, in dem das „Gründer“-Spiel ausgestellt war. Der Mann sah teigiger und nicht so gesund wie auf den Fotos aus, aber Harris hatte an seiner Identität keine Zweifel. Harris, der wusste, dass Peter Thiel seit 2011 nicht mehr in Neuseeland gesehen worden war, fragte den Mann, ob er der wäre, für den er ihn hielt; der Mann grinste und antwortete, ohne von dem Brettspiel aufzublicken, dass ihn eine Menge Leute schon das Gleiche gefragt hätten. Dann gingen die beiden ihrer Wege.

Für mich war das ein ziemlich verwirrendes Ende. Nicht nur, weil das Ungeheuer Form angenommen und sich als Mensch aus Fleisch und Blut erwiesen hatte, der nicht länger als Symbol für die moralischen Verwerfungen des Digitalkapitalismus taugte, sondern in kurzen Hosen und in der Hitze schwitzend eine Ausstellung besuchte, um seine Neugier darüber zu stillen, was die Kunstwelt über seine notorisch bizarren und extremen politischen Ansichten dachte. Sondern auch, weil das Rätsel, was Peter Thiel mit Neuseeland vorhatte, nach dieser Begegnung eher noch größer geworden war.

Mark O’Connell ist freier Journalist und lebt in Dublin. Sein Buch Unsterblich sein. Reise in die Zukunft des Menschen ist 2017 erschienen

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Mark O’Connell | The Guardian

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