Mubaraks neue Perspektive

Prozess in Ägypten Ein Ex-Präsident, der jahrzehntelang Oppositionelle auf die vergitterte Anklagebank trieb, sitzt nun selbst auf diesem Platz. Es geht um die Zukunft der arabischen Welt

Der Anblick dieses einen Mannes auf der Anklagebank fasziniert die arabische Welt. Das Handelsvolumen an der ägyptischen Börse erreicht ein Zehn-Jahres-Tief, weil die Händler ihre Augen nicht von der Fernsehübertragung des Prozesses abwenden können. Für Millionen Syrer, Jemeniten und Libyer, deren Diktatoren verzweifelt bemüht sind, ein solches Schicksal abzuwenden, war das Gerichtsdrama aus Kairo ebenso relevant wie für die Ägypter.

Auf einer Liege, bekleidet mit dem gewöhnlichen weißen Gefängnisoverall wird Mubarak bloß für zwei Tage seiner 30-jährigen Herrschaft der Prozess gemacht. Die Anklage lautet: Verantwortung für das Töten von Demonstranten während der Erhebung im Januar. Er wird überdies beschuldigt, von einem Gas-Geschäft mit Israel profitiert zu haben; dazu kommen weitere Korruptionsvorwürfe, die auch seine beiden Söhne Alaa und Gamal betreffen. Doch lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die meisten Übel des Kriegsrechtes, etwa die Folter, ungestraft bleiben werden. Der Vergeltungsdurst seiner Opfer ist verständlicherweise stark, aber die Verantwortlichkeit zu klären, steht an oberster Stelle. Nur ein fairer, transparent geführter Prozess kann einen sauberen Bruch mit der Vergangenheit markieren.

Opfer unter Druck

Schon jetzt gibt es begründete Zweifel, ob das Verfahren diese Kriterien erfüllen wird. Für Vorermittlungen stand kaum Zeit zur Verfügung, und die Anklageschrift wurde in weniger als drei Monaten abgefasst. Mubarak ist 83 Jahre alt und krank, obwohl umstritten bleibt, wie sehr. Seine Anwälte argumentieren, er sei nicht in der Lage, vor Gericht zu erscheinen. Doch haben der Mangel an Transparenz und die Ungereimtheiten bezüglich seiner körperlichen Verfassung viele zu dem Schluss kommen lassen, der regierende Oberste Militärrat wolle einen der Seinen schützen. Andere Verfahren gegen Minister und Funktionäre aus der Mubarak-Ära lassen viel zu wünschen übrig. Manche sind vertagt, bei anderen wurden die Familien der Opfer unter Druck gesetzt, sich mit außergerichtlichen Einigungen zufrieden zu geben. Wie so vieles in einem Land, das einen unvollendeten Wandel zur Demokratie hinter sich hat, ist auch die Übergangsjustiz chaotisch. Unter diesen unruhigen Bedingungen lastet auf dem Mubarak-Prozess die schwere Last, Maßstäbe zu setzen. Ob das gelingt, bleibt offen – der erste Prozesstag verlief widersprüchlich.

Vor dem Gericht lieferte sich die Polizei einen Kleinkrieg mit verfeindeten Gruppen von Pro- und Anti-Mubarak-Demonstranten. Im Saal glich das Verfahren zeitweilig einem Basar, auf dem die Anwälte einander überschrieen, um die Aufmerksamkeit des Richters zu erlangen. Einer verlangte einen DNA-Test und behauptete, der Mann auf der Liege sei ein Hochstapler. Schwerer wog die Erkenntnis, welcher Strategie Mubaraks Verteidigerteam folgt. Seine Anwälte wollen über 1.000 Zeugen laden, um das Verfahren so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. Außerdem versuchen sie, den regierenden Militärrat einzuschüchtern, indem sie andeuten, auch Mohamed Hussein Tantawi – Mubaraks Verteidigungsminister und derzeit de facto der Herrscher des Landes – in den Zeugenstand rufen zu wollen. Dieses Strafverfahren dürfte in erheblichem Maße politisiert werden.

Verweigerte Gerechtigkeit

Positiv bleibt zu vermelden, dass der Richter einen guten Ruf hat und die Verhandlung live im Fernsehen übertragen wurde. Dies lässt weniger Spielraum für etwas, das als „Telefon-Recht“ bekannt ist und dazu führt, dem Richter das Urteil vorzuschreiben. Der Prozess wird der kollektiven Disziplin und dem Willen des Gerichts alles abverlangen. Es kann weder schnell über die Bühne gehen – noch weniger verzögert oder verschoben werden.

Mubaraks Prozess ist nicht nur für Ägypten wichtig. Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh, der bei einer Rebellenattacke verletzt und in Saudi-Arabien behandelt wurde, ist Immunität von Strafverfolgung angeboten worden – ein Deal, der im Westen offen unterstützt wird. Tunesiens gestürzter Staatschef Zine al-Abidine Ben Ali wurde in Abwesenheit vor Gericht gestellt und verurteilt – ein Beispiel für verweigerte Gerechtigkeit. Käme es zu einem Deal mit Libyens Muammar al-Gaddafi, würde dies vermutlich auf Kosten einer Anklage wegen Kriegsverbrechen geschehen. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, neben Wahlen hängt die demokratische Zukunft der arabischen Welt von diesem Prozess ab.

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Übersetzung: Steffen Vogel
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

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