Museveni lachte nur

Ruanda Der Genozid von 1994 hatte eine Vorgeschichte in Uganda. Die USA kannten viele Details, unternahmen aber nichts – Teil I
Ausgabe 42/2017

Zwischen April und Juli 1994 wurden hunderttausende Ruander bei einem Völkermord getötet, der in so kurzer Zeit verübt wurde wie kein anderer. Die Mörder benutzten Macheten und Knüppel oder trieben Menschen in Kirchen zusammen und zündeten die Gebäude mit Kerosin an. Die meisten Opfer gehörten zur ethnischen Minderheit der Tutsi; die meisten Täter stammten aus der Mehrheit der Hutu.

Dieser Genozid schien von einer surrealen Brutalität, der Terror kannte keine Grenzen, was einiges mit der Vorgeschichte zu tun hatte. Dreieinhalb Jahre vor dem Grauen im Frühjahr 1994 war eine Rebellenarmee nach Ruanda eingedrungen und hatte in den Bergen im Norden ihre Lager aufgeschlagen. Es handelte sich um die Ruandische Patriotische Front (RPF), rekrutiert aus Exil-Ruandern der Tutsi-Ethnie und ausgebildet im Nachbarland Uganda, das im bald folgenden Bürgerkrieg eine maßgebliche Rolle spielen sollte. Uganda verstieß damit klar gegen die Regeln der damaligen Organisation für Afrikanische Einheit (OAU).

In dieser Phase, Anfang der 1990er Jahre, war der US-Botschaft in Kampala wie auch der CIA bekannt, dass es ugandischen Beistand für ruandische Rebellen gab und dadurch ein ethnischer Konflikt derart eskalieren konnte, dass Hunderttausende sterben würden. Doch ignorierte man in Washington nicht nur Ugandas Engagement für die Rebellenarmee, sondern erhöhte gar die Militärhilfe für den ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni. Der wurde noch zum Friedensstifter verklärt, als der Völkermord längst begonnen hatte.

Der Hass, den die Hutu-Killer entfesselten, gehörte zum Schlimmsten, dessen Menschen fähig sind, doch um zu verstehen, wie es dazu kam, muss man bedenken, dass die Gewalt nicht spontan entstand. Sie ging auf Jahrzehnte der Grausamkeiten beider Seiten zurück. Selbst wenn die Génocidaires vollkommen Unbeteiligte massakrierten, fühlten sie sich doch von einem Gegner provoziert, dem Uganda half, während die USA zusahen.

Als Yoweri Museveni 1986 in Kampala die Macht übernahm, hatte der Westen von der Not der Tutsi-Flüchtlinge in Uganda Notiz genommen und begonnen, Druck auf die ruandische Regierung auszuüben, deren Rückkehr zu ermöglichen. Das verweigerte Präsident Juvénal Habyarimana mit dem Argument, Ruanda sei das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Es könne keinesfalls noch mehr Menschen versorgen. Natürlich war eine Überbevölkerung nicht Habyarimanas größte Sorge. Er wusste, dass die Anführer der Flüchtlinge keine Grundstücke wollten, sondern Macht. Zwar trat die RPF für die Rechte der Exilanten ein, aber ihr eigentliches Ziel war in der Region der Großen Seen kein Geheimnis: Habyarimana und seine Hutu-Clans zu Fall bringen. Der ruandische Staatschef war daher unablässig bemüht, dem US-Außenministerium zu bedeuten: Ich rechne mit einer Invasion der RPF von Uganda aus. Und das werde eine Kettenreaktion auslösen.

Der Hass hatte tiefe Wurzeln

Anfang 1988 macht der ruandische Journalist Kiwanuka Lawrence einen Abstecher zu einem befreundeten Mitarbeiter des ugandischen Verkehrsministeriums in Kampala. Lawrence, der damals für die unabhängige Zeitung The Citizen in Uganda arbeitet, muss warten und trifft im Vorzimmer zwei hochrangige Offiziere, die in Ugandas Armee dienen, aber ruandische Tutsi sind. Der Journalist fragt, was sie herführe. „Wir wollen einige unserer Leute nach Ruanda bringen“, antwortet einer. Lawrence ist beunruhigt. In seiner Jugend hat er erlebt, wie in seiner ruandischen Heimat Hutu vor Repressalien der Tutsi flohen, und später Tutsi den Pogromen der Hutu zu entkommen suchten. Er erinnert sich, dass in seiner Kindheit die Christenlehre von einem Tutsi geleitet wurde, und die Hutu sich weigerten, den Unterricht zu besuchen. Zur Begründung erzählten sie die Geschichte von Landlords der Tutsi, die früher Hutu-Sklaven als Spuckbecken benutzt hätten, indem sie in deren Münder spuckten statt auf den Boden.

Im Verkehrsministerium werden die Offiziere zuerst vorgelassen. Als Lawrence dran ist, teilt ihm sein Freund freudig erregt mit: Die Ruander hätten sich zum neuen Programm der offenen Grenzen bekannt. Bald könnten in Uganda lebende Ruander ohne Visum über die Grenze, um Verwandte zu besuchen. Dies werde das Flüchtlingsdrama entschärfen. Lawrence ist pessimistisch. Er glaubt, dass der RPF offene Grenzen gelegen kommen, um eine Invasion vorzubereiten. Tage später trifft er einen ruandischen Tutsi, der Colonel in Ugandas Armee ist. Sein Name: Stephen Ndugute. „Wir gehen zurück nach Ruanda“, sagt der. Als die RPF im Juni 1994 die Macht übernimmt, wird Ndugute die Nummer zwei in deren Regierung sein.

Sollte in Ruanda ein Krieg ausbrechen, werde der extrem blutig sein, ist Lawrence überzeugt und entschlossen, den ruandischen Präsidenten zu informieren. Habyarimana erklärt sich während eines Staatsbesuchs in Tansania zu einem Treffen bereit. Lawrence warnt dabei vor den Gefahren des Open-Borders-Programms. „Keine Sorge“, antwortet Habyarimana. „Museveni ist mein Freund und wird eine Invasion der RPF niemals zulassen.“ Doch er blufft und verfolgt eine gnadenlose Gegenstrategie. Jeder in Ruanda, der von einem Tutsi-Flüchtling besucht wird, ist als RPF-Sympathisant gebrandmarkt – kann später verhaftet und getötet werden. Die Tutsi in Ruanda werden zu Schachfiguren im Machtkampf zwischen dem RPF-Exil und der Habyarimana-Regierung.

Am Vormittag des 1. Oktober 1990 versammeln sich tausende RPF-Kämpfer in einem Fußballstadion im Westen Ugandas, 30 Kilometer von der ruandischen Grenze entfernt. Darunter sind ruandische Tutsi-Deserteure aus der ugandischen Armee sowie Freiwillige aus Flüchtlingscamps. Zwei Hospitäler in der Nähe sind vorbereitet, Verwundete aufzunehmen. Als Leute aus der Gegend fragen, was geschieht, spricht RPF-Kommandeur Fred Rwigyema von Vorbereitungen zur Feier des ugandischen Unabhängigkeitsjubiläums. Noch am gleichen Tag überqueren RPF-Trupps die Grenze, werden aber von der ruandischen Armee wie französischen Fallschirmjägern gestoppt und ziehen sich wieder nach Uganda zurück. Kurze Zeit später sickern kleine Verbände erneut ein, um sich in den Virunga-Bergen Nordruandas festzusetzen.

Zur gleichen Zeit nehmen die Präsidenten Museveni und Habyarimana an einer UNICEF-Konferenz in New York teil und wohnen im gleichen Hotel. Um fünf Uhr morgens ruft Museveni Habyarima in seinem Zimmer an: Er habe gerade erfahren, dass 14 seiner ruandischen Tutsi-Offiziere desertiert hätten und nach Ruanda gegangen seien. „Wir wussten nichts von der Fahnenflucht dieser Jungs“, beteuert er. Wobei nicht klar ist, ob er nur die 14 Offiziere oder auch die gut tausend Tutsi-Kämpfer meint, die nach Ruanda vorgedrungen sind. Tage später erklärt Museveni gegenüber Herman Cohen, dem Afrika-Chef im State Department, er werde die ruandischen Fahnenflüchtigen vor Gericht stellen, sollten sie nach Uganda zurückkehren. Zugleich bittet er Frankreich und Belgien in aller Stille, der Regierung Ruandas nicht zu helfen, die Invasion abzuwehren. Cohen wird klar, Museveni hat nur schockiert getan. Er wusste die ganze Zeit, was vor sich ging.

Daraufhin stellt in Kampala US-Missionschef Robert Gribbin Museveni scharf zur Rede. Er verlangt, die Invasion sofort zu stoppen und dafür zu sorgen, dass in Uganda jede Waffenhilfe für die RPF unterbleibt. Museveni verspricht, die Grenzübergänge nach Ruanda zu schließen und alle dort auftauchenden Rebellen festnehmen zu lassen. Tatsächlich veranlasst hat er nichts davon, und die Amerikaner finden sich damit ab.

Ausgebremstes Friedenskorps

Als die RPF am 1. Oktober 1990 ihren Vormarsch beginnt, befindet sich Paul Kagame, der heutige Präsident Ruandas, in den USA und studiert als Offizier der ugandischen Armee an der US-Militärakademie in Fort Leavenworth in Kansas Taktik und psychologische Kriegsführung, um „Herzen und Köpfe zu erobern“. Nachdem vier RPF-Kommandeure in Ruanda gefallen sind, erklärte er seinen Ausbildern, das Studium abbrechen zu müssen, um der RPF zu helfen. Offenbar befürworten die Amerikaner seine Entscheidung. Kagame fliegt umgehend nach Entebbe in Uganda, fährt bis zur Grenze und übernimmt in Ruanda das Kommando über die Rebellen.

In den nächsten dreieinhalb Jahren wird Uganda Kagames Streitmacht kontinuierlich mit Versorgungsgütern und Waffen unterstützen. Zudem erlaubt sie seinen Soldaten, die Grenze in beide Richtungen zu passieren. Als 1991 ein ugandischer Journalist über ruandische Stützpunkte auf ugandischem Gebiet berichten will, droht Präsident Museveni mit einer Klage wegen Volksverhetzung. Danach wird die Grenzregion derart abgeschottet, dass selbst französische und italienische Inspektoren wieder umkehren müssen.

Erst im Oktober 1993 kann sich der UN-Sicherheitsrat schließlich auf ein Friedenskorps einigen, das den Waffen- und Munitionsnachschub aus Uganda nach Ruanda unterbinden soll. Kommandeur der Blauhelme ist der kanadische Generalleutnant Roméo Dallaire, dem in der ugandischen Grenzstadt Kabale ein Offizier Musevenis erklärt, jede Kontrolle müsse zwölf Stunden vorab angekündigt werden, ansonsten könne man keinen Begleitschutz geben. Dallaire protestiert: Das Überraschungsmoment sei zentral für sein Mandat. Aber die Ugander bleiben hart, so dass der UN-Kommandeur nachgeben muss. Ohnehin beunruhigt ihn die Lage innerhalb Ruandas sehr viel mehr. Die Grenze sei sowieso löchrig wie ein Sieb gewesen, wird Dallaire später schreiben. Es habe zahllose Bergpfade gegeben, die auf keiner Karte verzeichnet waren. Dagegen habe man ebenso wenig ausrichten können wie gegen Waffendepots in der ugandischen Stadt Mbarara.

2004 sagt Dallaire bei einer Anhörung vor dem US-Kongress aus: Präsident Museveni habe ihm ins Gesicht gelacht, als sie sich bei einem Gedenkmeeting zum zehnten Jahrestag des Völkermords begegnet seien. „Ich erinnere mich Ihrer Mission an der Grenze“, habe ihm Museveni erklärt. „Wir haben trotzdem Wege gefunden, die RPF weiter zu unterstützen.“

Offizielle US-Stellen wussten spätestens seit 1991, dass ugandische Waffen an die RPF gingen. Anstatt Museveni zu ermahnen oder zu bestrafen, verdoppelten westliche Geber inklusive der USA ihre Entwicklungshilfe. Und sie ließen zu, dass sich die Verteidigungsausgaben auf 48 Prozent des ugandischen Etats aufblähten, aber nur fünf Prozent für das Gesundheitswesen blieben, obwohl in Uganda das HI-Virus grassierte. So fielen Vorentscheidungen, die dazu führten, dass sich das Inferno von 1994 nicht verhindern ließ.

Helen C. Epstein ist Professorin am Bard College im US-Bundesstaat New York

Übersetzung: Carola Torti

Info

Teil 2 dieses Essay folgt in der Ausgabe der nächsten Woche

12 Monate für € 126 statt € 168

zum Geburtstag von F+

Geschrieben von

Helen C. Epstein | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden