"Nichts, womit ich leben will"

Edward Snowden Im zweiten Teil des Interviews mit dem Guardian erklärt der Whistleblower, warum er seinen Leak für richtig und sich selbst für einen Patrioten hält
"Nichts, womit ich leben will"

Foto: The Guardian via Getty Images

Edward Snowden sagte vor mehr als einem Monat – während er noch immer in seinem Versteck in Hongkong ausharrte – voraus, dass die US-Regierung versuchen würde, ihn als Dämon darzustellen. Er erzählte dem Guardian, dass man ihm vorwerfen wird, er hätte die Feinde Amerikas unterstützt.

Im zweiten Teil des Interviews, das geführt wurde, bevor er sich als NSA-Whistleblower zu erkennen gab, legte Snowden Wert darauf zu betonen, dass er ein Patriot sei, und dass er die USA für ein grundsätzlich gutes Land halte. Er unterstrich jedoch, dass er sich dazu entschlossen habe, geheime Informationen zu leaken, da allgemein gültige Grundfreiheiten durch die “Exzesse” des Geheimdienstes untergraben würden.

Das Interview wurde am 6. Juni in einem Hotelzimmer in Hongkong geführt. Der erste Teil wurde am 9. Juni freigegeben und löste einen Medienrummel und bestärkte die US-Regierung darin, ihn aufzuspüren. Seitdem ist Snowden von Hongkong nach Moskau geflohen, wo er zunächst gestrandet zu sein scheint, um der Auslieferung an die USA und der damit verbundenen Anklage auf Grundlage des Espionage Acts zu entgehen.

In den neu veröffentlichten Auszügen des Interviews sagte Snowden voraus, durch die US-Regierungen und die Medien nicht als Whistleblower, sondern als Spion dargestellt zu werden: "Ich glaube, sie werden behaupten, ich hätte schwere Verbrechen begangen und gegen den Espionage Act verstoßen. Sie werden sagen, ich hätte unseren Feinden dadurch geholfen, dass ich dieses Überwachungssystem offen gelegt habe. Aber dieses Argument kann man gegen jeden ins Feld führen, der Informationen enthüllt, die auf Massenüberwachungssysteme hindeuten."

Fester Glauben an rechtschaffene Absichten

Auf die Frage hin, ob er schon vorhatte, ein Maulwurf zu werden, als er eine Karriere im Nachrichtendient anfing, antworte Snowden, 30, dass er sehr jung war, als er seinen Dienst antrat. Er hätte sich direkt nach der Invasion des Irak bei der US-Armee eingeschrieben – im festen Glauben "an das Gute, das wir taten. Ich glaubte an unsere rechtschaffenen Absichten, unterdrückte Menschen im Ausland zu befreien."

Aber seine Ansichten änderten sich im Verlauf seiner Karriere. Dinge, die in den Nachrichten gezeigt wurden, waren für ihn keine Fakten mehr, sondern reine Propaganda. "Wir haben versucht, die Öffentlichkeit – und nicht nur die amerikanische – in die Irre zu führen, um bestimmte Denkweisen im globalen Bewusstsein zu verankern. Ich selbst bin darauf reingefallen." Snowden sagte, er habe nie aufgehört, Amerika zu lieben. Anders jedoch verhalte es sich mit seiner Regierung: "Amerika ist ein grundsätzlich gutes Land. Dort leben gute Menschen mit guten Werten, die das Richtige tun wollen. Doch die geltenden Machtstrukturen bewirken das Gegenteil – zu Lasten der Freiheit des einzelnen."

In den neu veröffentlichen Auszügen begründet Snowden die Motivation für seinen Leak: "Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage, was ich tue, jeder, mit dem ich spreche, jede Form von Kreativität, Liebe oder Freundschaft aufgezeichnet wird. Und das ist nichts, was ich bereit bin zu unterstützen, es ist nichts, was ich bereit bin mitzubauen und es ist erst recht nichts, womit ich leben möchte."

Er betonte auch, er habe seine Arbeit fortgesetzt, während er auf neue politische Spitzen hoffte, die diese Exzesse zu zügeln würden: “Ich habe irgendwann eingesehen – das wird nicht passieren. In Wahrheit verstärken wir die Exzesse der vorherigen Regierungen sukzessive und machen es noch schlimmer und noch übergriffiger. Und wirklich niemand macht Anstalten, das aufzuhalten."

Wohin führt Snowdens Weg?

Snowden wurde von seinen Kritikern scharf angegriffen, weil er zunächst nach Hongkongein Teil Chinas, auch wenn dieser mehr Freiheiten als der Rest des Landes genießt – und Russland floh. Ihm wurde zwar Asyl in Venezuela, Bolivien und Nicaragua angeboten, jedoch ist völlig unklar, wie er in eines dieser Länder kommen soll.

In den jüngsten Umfragen der Huffington Post und YouGov ist ein Trend zu Ungunsten Snowdens zu verzeichnen: Den 38 Prozent, die sagen, dass sie das Gefühl haben, Snowden hätte mit seinen Leaks das Falsche getan, stehen 33 Prozent gegenüber, die ihm Recht geben. Nach dem ersten Teil des Interviews vor einem knappen Monat war das Verhältnis noch 35 zu 38.

Das Interview fand unmittelbar nach dem ersten Leak des Guardian statt. Damals wurde eine gerichtliche Anordnung veröffentlicht, die Verizon zwang, Anrufaufzeichnungen an die NSA zu übermitteln. "Sie bekommen alles: Jedermanns Anruf, wann und wo er stattfand, wie lang er dauerte und dazu den gesamten persönlichen Internet-Datenverkehr." Ein Überwachungssystem betreffend – Boundless Informant (in etwa Informant ohne Grenzen), das die NSA nutzte, um Daten zu überwachen –, sagte Snowden: "Auf eine Anfrage hinsichtlich ihrer Überwachungsaktivitäten hat die NSA im Bezug auf die Existenz dieses Systems den Kongress und einzelne Kongressabgeordnete wissentlich belogen." Dies sei für ihn der Auslöser gewesen, die Verwicklungen der NSA und privaten Unternehmen – darunter Apple, Microsoft, Google und Facebook – öffentlicht zu machen.

Er sei Teil einer Generation von Internetnutzern, die damit groß wurden, dass das Netz frei ist, so Snowden. Die Partnerschaft zwischen den Geheimdiensten und der Wirtschaft sei ein "gefährliches Zusammenspiel", besonders da die NSA, immer wieder bewiesen hätte, “dass sie mit allen Mitteln versucht, sich jedweder übergeordneter Kontrolle zu entziehen”.

Glenn Greenwald und Ewen MacAskill haben Edward Snowden über mehrere Tage hinweg in Hong Kong interviewt

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Jan Jasper Kosok
Geschrieben von

Glenn Greenwald, Ewen MacAskill, Laura Poitras | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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