No Pause

Aktivismus In „No Logo“ und „Die Schock-Strategie“ erkannte Naomi Klein bereits die Kräfte hinter Trumps Erfolg. Nun legt sie so schnell wie nie nach
Ausgabe 28/2017
Stimme vieler Generationen: Naomi Klein bringt verschiedenste Aktivisten zusammen
Stimme vieler Generationen: Naomi Klein bringt verschiedenste Aktivisten zusammen

Foto: Licas Oleniuk/Toronto Star/Getty Images

Die Tatsache, dass Naomi Klein die Kräfte vorhergesagt hat, die Donald Trumps Aufstieg zur Macht erklären, bereitet ihr wenig Freude. Es ist 17 Jahre her, dass die damals 30-Jährige ihr erstes Buch No Logo veröffentlichte und damit quasi über Nacht zur „sichtbarsten und einflussreichsten Figur der amerikanischen Linken“ wurde (so der New Yorker). Ihr Buch endete mit der „verrückten Idee, jeder könne zu seiner eigenen persönlichen globalen Marke werden“.

Heute kann sie über ihre damalige Naivität nur lachen. No Logo entstand, bevor die sozialen Medien Personal Branding zu unserer zweiten Natur machten. Trump, so schreibt Naomi Klein in ihrem neuen Buch Gegen Trump, machte sich dieses Phänomen zunutze und wurde so zum ersten Markenpräsidenten der USA, der mit dem Land und dem Planeten das macht, was er zuerst an seinen goldenen Türmen praktizierte – er pflastert sie mit seinem Namen zu und allem, wofür dieser steht.

Die andere Kraft hinter dem Sieg des 45. US-Präsidenten erkannte Naomi Klein 2007. In ihrem Buch Die Schock-Strategie schrieb sie, nur eine Gesellschaft im Schockzustand sei bereit, die Verwerfungen des neoliberalen Kapitalismus zu dulden – etwa nach einer Krise wie einer Naturkatastrophe, einem Terroranschlag oder einem Krieg. Die Anhänger Milton Friedmans verstanden, dass sich eine verunsicherte Bevölkerung nach einem Gefühl der Kontrolle sehnt und bereit ist, jedem außerordentliche Befugnisse zu erteilen, der Sicherheit verspricht. Sie verstanden auch, dass das Zusammenspiel von sozialen Medien und 24/7-Nachrichten es ermöglicht, solche Szenarien beinahe nach Belieben zu produzieren. Der libertäre rechte Flügel der Republikaner, so Klein, wurde zu „einer Bewegung, die um Krisen betet, wie von einer Dürre betroffene Landwirte um Regen“.

Enges Zeitfenster

Kurz vor Erscheinen ihres neuen Buchs Gegen Trump. Wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen erreiche ich Naomi Klein in Toronto. Das Neue an Trump, sagt sie, sei gewesen, dass er die Schockdoktrin übernommen und zu einer persönlichen Superkraft gemacht habe. „Er macht sich keinen externen Schock zunutze, sondern er ist selbst der Schock. Und er erzeugt alle zehn Minuten einen neuen. Als kämen Laserstrahlen aus seinem Gürtel.“

Ihr neues Buch, erzählt Naomi Klein, habe sie sehr viel schneller geschrieben, als es sonst ihre Art sei. Sie fürchtete, je länger die Trump-Präsidentschaft andauern würde, desto enger würde das Zeitfenster für Widerstand und den Aufbau einer Alternative werden. Ein Vorteil der knappen Deadline sei gewesen, dass sie sich gezwungen sah, die App Freedom zu installieren, die Nutzern den Zugang zu Seiten im Internet versperrt, die sie ablenken: „Ohne das Buch hätte ich vermutlich wie so viele andere monatelang auf Twitter verfolgt, wie die Sache sich entfaltet und Leuten schnippische Tweets geschickt.“

Diese unter Trump-Kritikern verbreitete Tendenz sei ein Symptom seines banalen Einflusses, sagt sie. Ein Kapitel ihres Buches hat sie dem Gedanken gewidmet, dass Trump via Twitter die politische Sphäre nach seinem eigenen Abbild gestaltet und wir alle „unseren inneren Trump töten müssen“. Unter anderem sei der US-Präsident „die Verkörperung unserer zersplitterten Aufmerksamkeitsspannen“. Wesentlich für den Widerstand sei es deshalb, den Glauben an das Erzählen und Verstehen komplexer Geschichten zu erhalten.

Eine der Fragen, auf die ihr Buch keine Antwort findet, lautet, wie bewusst sich Donald Trump seiner Schockdoktrintaktiken ist. Ist er ein raffinierter Demagoge wie Putin oder Erdoğan oder nur ein nützlicher Idiot für die Kräfte um ihn herum?

„Er ist ein Showman“, sagt Klein. „Das ist sein Geschäftskonzept. Er hat immer verstanden, dass er Investoren, Banker und Klienten von der Fragwürdigkeit seiner Geschäfte ablenken kann, indem er die Trump-Show abzieht. Das ist sein Markenkern. Er ist zweifelsohne ein Idiot. Man sollte aber nicht unterschätzen, wie gut er darin ist.“

Ihre größte Angst ist, dass die Linke den eigentlichen Verschwörungen zu wenig Aufmerksamkeit schenkt: den Gefahren der Kleptokratie und den gebrochenen Versprechen an die Arbeiterklasse. Während wir unsere Augen von der endlosen Trump-Show nicht abwenden könnten, setze er eine Politik um, die den Wohlstand systematisch nach oben verteile. Entscheidende Fragen würden nicht laut genug gestellt: Ist deine Sozialversicherung sicher? Ist deine Gesundheitsversorgung sicher? Werden unsere Gehälter gesenkt? „Trump profitiert so sehr davon, dass der Fokus von der Wirtschaft abgelenkt wird.“

Klein überrascht es nicht, dass sich in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs und der Massenmigration der Nationalismus einmal mehr als eine potente Kraft erweist. Sie argumentiert, das Einzige, was es mit den Kräften des weißen Nationalismus und der Xenophobie aufnehmen könne, sei ein ökonomisch grundierter Populismus von links, der sich auf soziale Gerechtigkeit stützt. Hillary Clintons Wahlkampf habe bewiesen, dass es nur in der Katastrophe enden könne, eine zentristische Kandidatin der freien Marktwirtschaft gegen „Fake-Populismus“ aufzustellen.

Beweist aber die Wahl von Macron in Frankreich nicht, dass der pragmatische Zentrismus noch immer eine ernst zu nehmende Kraft ist, wenn der richtige Kandidat ihn vertritt? Hier sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, meint Klein. „Die Frage ist: Was passiert, wenn Macron mit der gleichen Austeritätspolitik weitermacht, die diese Kräfte befeuert hat und sein Glanz sich abnutzt? Was passiert beim nächsten Mal?“ Die Analogie zwischen Le Pen und Donald Trump sei nicht wirklich zutreffend, sagt sie: „Le Pen ähnelt eher David Duke (dem ehemaligen Anführer des Ku-Klux-Klan). Hätte Duke je mit einem Ergebnis wie Le Pen abgeschnitten, wären wir entsetzt gewesen. Das sollten wir auch jetzt sein.“

Klein begrüßt, dass dezidiert linke Kandidaten wieder Begeisterung wecken – vor allem bei jungen Menschen. Sie verweist auf den nostalgischen Sozialismus von Bernie Sanders, Jean-Luc Mélenchon und Jeremy Corbyn. Aber wirken diese nicht eher, als gehörten sie der Vergangenheit an als der Zukunft? „Ich glaube nicht, dass einer von ihnen es raus hat“, räumt sie ein. „Dennoch sollten wir darüber nachdenken, was es bedeutet, dass es Mélenchon gelungen ist, aus dem Nichts 70.000 Leute auf eine Wahlkampfveranstaltung zu kriegen. Oder über den Ruck, den Corbyn ausgelöst hat.“

In dieser Hinsicht baut Klein auf die zyklische Natur von Zynismus und Hoffnung und glaubt, dass die Generation, die jetzt im Teenageralter oder um die 20 ist, der repräsentativen Demokratie sehr viel weniger feindlich gegenübersteht als die ihre.

Klein selbst ist in den Protest quasi hineingeboren. Die Großeltern väterlicherseits waren Kommunisten. Ihr Großvater arbeitete in den 1930ern als Trickfilmzeichner für Walt Disney, während der Arbeiten zu Schneewittchen und die sieben Zwerge organisierte er einen Streik und wurde gefeuert. Er arbeitete dann in einer Werft, bevor er und seine Frau Teil der aufkeimenden grünen Bewegung wurden und im Nature Friends Retreat in Paterson, New Jersey lebten. Kleins Eltern gingen noch einen Schritt weiter und zogen nach Kanada – auch als Protest gegen den Vietnamkrieg. Ihre Mutter Bonnie war als Filmemacherin an der Entstehung des feministischen Filmkollektivs Studio D beteiligt und drehte Dokus über das Frauenfriedenscamp Greenham Common und eine Polemik gegen Pornos.

Klein rebellierte gegen ihr radikales Elternhaus. Sie hasste Friedensmärsche und andere „Poncho-Picknicks“ und bestand auf Make-up und Popkultur. Als Teenager lehnte sie den Feminismus ihrer Mutter ab. Zwei schreckliche Erlebnisse änderten alles. Zuerst erlitt ihre Mutter mit 46 Jahren einen Hirntumor und mehrere Schlaganfälle. Klein half sechs Monate lang bei ihrer Pflege und war inspiriert von der Kraft, die ihre Mutter während der teilweisen Genesung zeigte, aber auch von der Stärke, die sie in sich selbst entdeckte. Etwa zur gleichen Zeit erschoss ein Mann 14 Frauen an der École Polytechnique in Montreal und erklärte: „Ich hasse Feministinnen.“ Seither nennt sie sich auch eine Feministin. und wandte sich dem politischen Aktivismus zu.

Grüne Tech-Revolution

Der herkömmlichen Parteipolitik stand sie anfangs skeptisch gegenüber. „In meiner Generation herrschte die puristische Sicht vor, jeder Kontakt mit der repräsentativen Demokratie sei ein unverzeihlicher Kompromiss“, erzählt sie. „Bei der heutigen Generation erkenne ich das nicht annähernd so ausgeprägt. Der Aufbau einer Bewegung ist eine Sache. Aber Leute für Ämter auf allen Ebenen aufzustellen, gehört auch dazu.“

Sie zögert, ihr Buch als Schlachtruf für eine neue politische Partei zu bezeichnen – sie möchte sich nicht zu einem Aushängeschild machen, hofft vielmehr, „eine Stimme unter vielen“ zu sein. Dennoch glaubt sie, dass das Buch Gedanken enthält, auf die Menschen sich verständigen können.

Vor allem hofft sie, dass ihr „Leap“-Manifest bei ihren Lesern verfangen wird. Leap propagiert einen Sprung nach vorne auf drei Ebenen: „in Sachen Klimahandeln, racial justice und anständige Jobs“. Klein und ihr Mann, der Dokumentarfilmer Avi Lewis, haben Leap mit kanadischen und internationalen Aktivisten ins Leben gerufen: „Mit Gewerkschaftschefs und Direktoren großer grüner Gruppen, Ikonen des indigenen und feministischen Widerstands, wichtigen Organisatoren und Theoretikern, die sich mit Migrantenrechten, offener Technologie, Ernährungsgerechtigkeit, Wohnen, Glauben und vielem mehr befassen.“ Die Ideen dazu sind eine Erweiterung ihres letzten Buchs Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima (2014). Darin argumentierte Klein, eine neue progressive Politik müsse um eine radikale und nachhaltige grüne Tech-Revolution und eine vollständige Ablehnung fossiler Brennstoffe herum aufgebaut werden.

In diesem Sinne stellt sie sich Leap als eine Art offenen Quellcode vor: „Wenn man Aktivismus zu einer Marke macht, gerät man in einen Wettbewerb mit anderen Marken, die ähnliche Arbeit machen“, sagt sie. „Bei Leap ist es so: Wenn man will, kann man es nehmen, etwas Cooles damit anstellen. Und wenn nicht – na und?“

Info

Gegen Trump. Wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen Naomi Klein Gabriele Gockel (Übers.), S. Fischer 2017, 368 S., 22 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Tim Adams | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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