Publicity macht den Unterschied

Iran Laute Kritik lohnt sich: Der Iran hat die Steinigung einer angeblich ehebrüchigen Frau ausgesetzt, nachdem der Fall bekannt wurde – auch dank der mutigen Töchter

Steinigungen finden in den dunkelsten Winkeln des Lebens in Iran statt, in ländlichen Gegenden, in denen die Bevölkerung konservativer ist und weit und breit keine Medien zur Stelle sind. Sie werden selten öffentlich durchgeführt und die Opfer dieser barbarischen Form der Todesstrafe werden von ihren Familien oft verleugnet, da ihr Vergehen – Ehebruch oder Homosexualität – die Ehre der Familie beschädigt. Vor einer Woche berichtete der Guardian über die 43-jährige Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani, die dafür verurteilt worden war, eine „gesetzeswidrige außereheliche Beziehung“ zu führen. Ihre Steinigung in Tabriz stand unmittelbar bevor. Gestern berichteten wir über 15 andere, die dasselbe Schicksal erwartet. Das Außergewöhnliche an Sakinehs Fall war, dass ihr Sohn Sajad und ihre Tochter Farideh genug Mut aufbrachten, um sich in der Öffentlichkeit gegen die Steinigung auszusprechen.

Nicht nur, dass Sakineh bereits fünf Jahre lang im Gefängnis saß und bereits mit 99 Peitschenhiebe für ein Vergehen bestraft wurde, für das es keine Beweise gab. Nicht nur, dass das Todesurteil Augenwischerei war, denn es wurde auf der Basis der „Kenntnis des Richters“ erteilt, ein Schlupfloch, das Urteile zulässt auch wenn es keine Zeugen oder schlüssigen Beweise gibt. Nein, das Urteil war nicht einmal einstimmig. Zwei der fünf Richter stimmten dagegen, was unter iranischem Gesetz bedeutet, dass sie nicht zum Tode verurteilt hätte werden dürfen.

Der Tod durch Steinigung ist unvorstellbar grausam: Männer werden bis zur Hüfte in den Boden eingegraben, wenn es ihnen gelingt, sich während der Steinigung frei zu winden, dann wird die Todesstrafe auf eine andere Strafe herabgesetzt. Frauen hingegen werden bis zum Hals vergraben, aus Furcht, dass ihre Brüste freigelegt werden könnten. Der Anblick von Männern, die Steine – groß genug, um zu verletzen, aber klein genug, um den Tod hinauszuzögern – auf eine wehrlose Frau schleudern, ist so abstoßend, dass er einem größeren iranischen Publikum nicht gezeigt werden kann. Berichte über Steinigungen werden zensiert. Doch solange die Steinigung als mögliche Sanktion im iranischen Strafgesetzbuch enthalten ist und der Wächterrat zu dem Thema schweigt, kann sie nicht allein als ein lokaler Brauch in abgelegenen Dörfern abgetan werden. Vor einem Jahr hat das Parlament dafür gestimmt, dass die Klausel aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden soll, doch es ist nichts passiert.

Anders als bei anderen Angelegenheiten des iranischen Lebens, wo die Meinung der restlichen Welt keinen Einfluss hat, ist die islamische Republik über die internationale Aufmerksamkeit, die Steinigungen auf sich ziehen, beschämt. Publicity macht einen Unterschied. Vergangene Nacht erklärte die iranische Botschaft in London, unter Berufung auf die richterlichen Behörden, Sakinehs Steinigung werde nicht ausgeführt. Was mit ihr passieren würde, wurde jedoch nicht bekannt gegeben. Auch welches Schicksal die 12 anderen Frauen und drei Männer erwartet, die zum Tode verurteilt sind, wurde nicht gesagt. Die Lektion aus dieser Geschichte ist, dass Iran, der den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet hat, jedes Mal laut kritisiert werden muss, wenn eine Steinigung droht, bis er schließlich gezwungen ist, diese Strafform aus seinem Strafgesetzbuch zu streichen.


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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

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