Queerbaiting-Vorwürfe an Harry Styles und Taylor Swift sind gefährlich
Pop Prominente wie Lady Gaga, Harry Styles und Taylor Swift sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden die queere Kultur ausnutzen, um sich damit zu inszenieren. Was ist dran an den Vorwürfen?
Laut „New York Times“ ein „Sänger, der als heterosexueller Mann gilt“: Harry Styles
Foto: Anthony Pham/Getty Images
Wochenlang hatten Kommentare in den sozialen Medien den britischen Schauspieler Kit Connor im Visier, weil er in der LGBTQ+-Coming-of-Age-Serie Heartstopper auf Netflix einen homosexuellen Charakter spielt. Im November twitterte er eine kurze, verärgerte Antwort: „Ich bin bi“, schrieb er. „Glückwunsch dafür, einen 18-Jährigen zu zwingen, sich zu outen. Ich glaube, ihr habt die Aussage der Serie nicht verstanden.“
Connors Reaktion löste eine erneute Auseinandersetzung mit dem Begriff „Queerbaiting“ aus, der seit Anfang der 2000er-Jahre verwendet wird und eine Strategie beschreibt, „mit queeren Inhalten zu ködern“. Ursprünglich entstand das Konzept als Kritik an Büchern und Filmen, in denen die Queerness e
nen die Queerness einer Figur nur angedeutet wurde, ohne sie zu bestätigen. Mittlerweile umfasst es aber auch die Kritik an Leuten, die sich queere Kultur aneignen, ohne sich öffentlich als LGBTQ+ zu bezeichnen.In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten aus Film und TV als „Queerbaiter“ kritisiert. Harry Styles, der britische Sänger und Schauspieler, wurde zur Zielscheibe, weil er auf dem Vogue-Titel ein Kleid trug, Latin-Rap-Sänger Bad Bunny, weil er seine Fingernägel lackierte und Make-up trug. Auch Billie Eilish war betroffen, weil sie zu einem Foto von Frauen auf Instagram schrieb: „Ich liebe Frauen“.Es gab eine Zeit, als Queerbaiting realen Befürchtungen vor Ausbeutung einen Namen gab: Es war eine Reaktion auf Medien, die Queerness ausnutzten, um zu unterhalten, während sie das Repräsentationsversprechen nicht einlösten. In TV-Serien wie Supernatural und Sherlock werden über viele Staffeln queere Subtexte zwischen den Hauptdarstellern inszeniert, ohne offen LGBTQ+-Beziehungen zu präsentieren.Heutzutage kann Queerbaiting jedoch zu einem rückschrittlichen Mittel der Identitätskontrolle werden, das auf der falschen Prämisse beruht, es sei von Vorteil, in der Öffentlichkeit als queer wahrgenommen zu werden. In Wahrheit haben wir eine Zeit, in der sich die Rechte von LGBTQ+ an einem Wendepunkt befinden. Das Leben und die Sexualität echter Menschen werden nicht in einem Autorenraum erschaffen.Das führt aufs GlatteisIn einem Editorial für die New York Times über den „schmalen Grat“, auf dem sich Harry Styles als Prominenter bewege, nennt die Journalistin Anna Marks ihn den „Sänger, der als heterosexueller Mann gilt“. Sie schreibt weiter: „Der Prominente verwendete Queer-Symbole und stilisierte sich selbst als zweideutige Ikone, ohne die schmutzige, wenig angenehme Politik zu berühren, die mit der Beanspruchung eines öffentlichen Labels einhergeht.“ Aber aus dem Benehmen oder der Kleidung einer prominenten Person auf Heterosexualität oder Queerness zu schließen, anstatt auf konkrete öffentliche Äußerungen oder Aktionen zu bauen, führt auf gefährliches Glatteis, sagt Claire Sisco King, Professorin für Kommunikationswissenschaften und Vorsitzende des Studiengangs Film- und Medienkunst an der privaten Vanderbilt University in den USA.„Es ist problematisch, weil es suggeriert, die Sexualität einer Person müsse sichtbar oder leicht erkennbar sein, um authentisch zu sein“, sagt King. „Stattdessen gilt es zu verstehen, dass Sexualität etwas ist, das privat und über die Zeit hinweg veränderlich sein kann. Damit besteht die Gefahr, die Vorstellung von Sexualität darauf zu reduzieren, was wir sehen können.“Auch die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Judith Fathallah von der britischen Lancaster University meint, die Entwicklung von Queerbaiting hin zu einem Begriff, mit dem statt Medien-Verhalten echte Menschen attackiert werden, sei alles andere als „fruchtbar“, wie sie es formuliert. „Es reduziert die ganze Komplexität der Sexualität auf ein Ja/Nein-Ankreuzfeld, was komplett im Gegensatz dazu steht, was Queerness eigentlich ist“, sagt sie. „Das Gegenteil von hetero ist nicht queer, das Gegenteil von heterosexuell ist homosexuell. Queer kann ein breites Spektrum von Optionen sein, die eine Kategorisierung vermeiden – darum geht es.“ Harry Styles, der frühere Sänger der britischen Boygroup One Direction, weigerte sich wiederholt, sein Privatleben zu kommentieren. In einem Interview Anfang des Jahres wehrte er sich gegen die Vorwürfe und sagte, er versuche sich weder queer noch heterosexuell darzustellen, sondern ziehe es vor, sein Dating-Leben privat zu halten.Die Kritik an Styles scheint sich auf seine Selbstdarstellung und die Art, sich zu kleiden, zu konzentrieren, so als sei das Tragen eines glitzernden Jumpsuits eine Aussage über die Sexualität eines Prominenten und ein Anlass, ins Verhör genommen zu werden. Nicht gender-konformer Stil hat eine reiche Geschichte und wurde nicht immer mit Queerness in Verbindung gebracht – von den Jumpsuits und Schals der Männer in den 1970ern bis zum extravaganten Stil des Glam Metal heute. Zu suggerieren, Queerness sei mit Weiblichkeit verbunden oder androgyne Kleidung verrate etwas über die sexuelle Orientierung – das wirkt doch sehr veraltet.Dabei geht es nicht nur um Lidstrich-Schminke. Einige Prominente, die des Queerbaiting beschuldigt werden, haben sich bereits öffentlich als queer geoutet, was darauf hindeutet, dass die Ankläger einen unausgesprochenen Kodex für richtige und falsche Ausdrucksformen von Queerness aufgestellt haben. Zu Zielscheiben wurden etwa die Sängerinnen Lady Gaga und Cardi B, die sich öffentlich als bisexuell bezeichneten. Nachdem Cardi B aufgrund eines erotischen Musikvideos mit der Sängerin Normani des Queerbaitings beschuldigt worden war, reagierte sie auf Twitter: „Ich mag dieses neue Wort ‚queer baiting‘ nicht. Ich bin mit einem Mann verheiratet, aber ich habe soo viel über meine Bisexualität und meine Erfahrungen mit Mädchen gesagt.“Auch wurde vielen Prominenten Queerbaiting vorgeworfen, die sich später öffentlich zu ihrer Queerness bekannten, darunter die Soul- und Funksängerin Janelle Monáe. Dies führte aber auch dazu, dass sich Prominente outeten, bevor sie dazu bereit waren. Connor oder die Stranger-Things-Darstellerin Shannon Purser sind Beispiele dafür. Queere Menschen gegen ihren Willen zu outen oder sie unter Druck zu setzen, öffentlich ihre Dating-Präferenzen darzulegen, ist kein Schritt nach vorn für die Community, sondern einer zurück.Solche Fan-Detektivarbeit und Beschäftigung mit queeren Erzählungen, die vielleicht auf Realität beruhen, sind Teil der Entwicklung einer Promi-Kultur, in der engagierte Fangemeinden immer mehr Zugang zu intimen Details fordern, befindet Brittany Spanos, Reporterin der Musikzeitschrift Rolling Stone: „Die sozialen Medien schaffen ein falsches Gefühl von Intimität und stärken parasoziale Beziehungen. Die Leute denken, weil jemand eine Person des öffentlichen Lebens ist, gebe es ein Recht darauf, jedes kleine Detail ihres Lebens zu kennen“, sagt Spanos. „Wir befinden uns an einem echten Scheidepunkt der Fankultur, an dem die Fans das Verhalten von Prominenten online ständig überanalysieren und überwachen.“Regenbogen im MusikvideoDas ist bei US-Sängerin Taylor Swift der Fall, die seit Jahren Ziel von Queerbaiting-Vorwürfen ist, obwohl sie 2019 explizit erklärte, sie sei „nicht Teil“ der LGBTQ+-Community. Es kursieren zahlreiche „Kaylor“-Theorien, die auf der von Fans in Umlauf gebrachten Erzählung basieren, Taylor Swift habe heimlich eine Beziehung mit dem weiblichen US-Modell Karlie Kloss gehabt. 2019 spekulierte die Fangemeinde, Swift werde sich öffentlich outen, nachdem sie Werbematerial mit den Farben Pink und Lila herausgebracht hatte – Farben, die in der bisexuellen Flagge vorkommen. Ob Swifts regenbogenbuntes Video zu You Need to Calm Down tatsächlich etwas für die LGBTQ+-Gemeinschaft getan hat oder ob die Sängerin Queerness als Kostüm benutzt hat, darüber lässt sich streiten. Aber wenn Fans die sexuelle Orientierung der Sängerin trotz ihrer wiederholten gegenteiligen Aussagen in Frage stellen, schlagen sie einen gefährlichen Weg ein.Absurderweise hat die Überwachung queerer Identität durch Queerbaiting teilweise deswegen zugenommen, weil queere Menschen zunehmend akzeptiert werden. Seit Schlüsselmomenten wie dem Coming-Out der US-Entertainerin und Moderatorin Ellen DeGeneres sind Jahrzehnte vergangen. Viele junge Leute, die Prominenten Queerbaiting vorwerfen, sind in einer Welt aufgewachsen, in der die Homosexuellen-Ehe legal ist und sich viele Promis als Mitglied der LGBTQ+-Community definieren.Aber Realität ist, dass viele Menschen – Prominente wie Nichtprominente – nicht das Gefühl haben, in der Öffentlichkeit sicher queer sein zu können. Und das nicht ohne Grund. Die Queerbaiting-Debatte wird weiter in einem Klima geführt, in dem in den USA drei Viertel der republikanischen Senatoren dagegen stimmten, die homosexuelle Ehe gesetzlich zu verankern, Neonazis bei Kinderveranstaltungen öffentlich Drag-Queens bedrohen und online Hassreden gegen LGBTQ+ zunehmen. Im vergangenen Jahr wurden in den USA mehr Transgender-Personen wegen ihrer sexuellen Ausrichtung getötet als je zuvor in einem Jahr. Erst kürzlich zeigte der Amoklauf in einem Homosexuellen-Nachtclub in Colorado, bei dem fünf Menschen erschossen und über zwanzig verletzt wurden: Selbst sichere Räume sind nicht immer sicher.Letztlich schuldet uns niemand einen Blick in sein Schlafzimmer, nicht einmal Künstler:innen unserer Lieblingsfilme oder Lieblingsmusik. Queerbaiting ist im Kern rückschrittlich und nimmt Queerness all ihre Nuancen und ihren Zauber. Der Weg zum Coming-Out ist chaotisch, nicht linear und verändert sich ständig – eine Reise, die durch Online-Gemeinschaften, die darauf bestehen, Identitäten zu kennzeichnen, die immer fließend und persönlich sein werden, völlig entwertet wird.