Reis, Fisch oder Pasta für die Geiseln

Selbstzeugnis "Wir betrachten uns als Helden, die der Armut entkommen" - Asad Booyah Abdulahi, Anführer einer ­Piraten-Gang vor der Küste Somalias, erzählt seine ­Geschichte

Ich bin 42 Jahre alt, mir unterstehen mehrere Boote, die im Golf von Aden und im Indischen Ozean operieren. Alles begann, als ich die High School abgeschlossen hatte, auf die Universität wollte und dafür kein Geld da war. Also wurde ich wie mein Vater Fischer in Eyl im Puntland, im Norden Somalias, auch wenn ich davon träumte, für ein richtiges Unternehmen zu arbeiten. Doch dazu kam es nie, weil 1991 die somalische Regierung zerschlagen wurde und das Land zerfiel.

Als Fischer auf See wurden wir oft von fremden Booten und Trawlern angegriffen. Manche hatten nicht einmal eine Fanglizenz, andere wiederum besaßen eine Erlaubnis der Behörden in Puntland und glaubten sich deshalb berechtigt, uns zu vertreiben, wie es ihnen passte, weil wir eine unerwünschte Konkurrenz waren. Sie drohten, unsere Boote zu zerstören – wir mussten fliehen, um unser Leben zu retten.

Besetzen und behalten

So fing auch ich an – das war nach meiner Erinnerung im Jahr 1998 –, Fischerboote zu entführen. Ich brauchte dafür weder eine besondere Ausbildung, noch hatte ich Angst. Für das erste Schiff, das ich mit anderen entführte hatte, gab es ein Lösegeld von 300.000 US-Dollar. Davon kauften wir uns AK 47-Gewehre und kleine Schnellboote. Ich weiß nicht genau, wie viele Schiffe ich seitdem gekapert habe, denke aber, dass es um die 60 gewesen sind. Manchmal entern wir Schiff in schwerer See, sind also zu gefährlichen Manöver unterwegs, die nicht jeder lebend übersteht.

Wenn wir auf Jagd sind, bevorzugen wir Schiffe aus Europa, weil sich dann ein höheres Lösegeld herausschlagen lässt. Um uns bemerkbar zu machen, überholen wir zunächst das betreffende Schiff. In der Regel stoppt der Kapitän, schon aus Sicherheitsgründen, und wir gehen über eine Strickleiter an Bord, zählen die Besatzungsmitglieder, ermitteln ihre Nationalität, inspizieren die Ladung und bitten danach den Kapitän, seinen Reeder anzurufen, um mitzuteilen: Das Schiff ist besetzt und bleibt besetzt, bis ein Lösegeld gezahlt wurde.

Neue Boote und neue Waffen

Nicht selten freunden wir uns mit den Geiseln an und sagen ihnen, dass wir nur auf Geld, nicht auf ihr Leben aus sind. Manchmal essen wir sogar mit ihnen zusammen Reis, Fisch oder Pasta. Wenn das Geld eintrifft, zählen wir die Dollars und lassen die Geiseln ziehen.

Zurück in Eyl werden wir von unseren Freunden begrüßt und fahren im Landrover nach Garowe, um das Geld aufzuteilen. Angenommen, wir haben 1,8 Millionen Dollar verdient, dann überweisen wir 380.000 Dollar an den Investor, der uns das Geld für die Missionen auf See vorgeschossen hat, und teilen den Rest zwischen uns auf.

Ich weiß, man hält uns für Piraten, die sich illegal Geld beschaffen. Wir aber betrachten uns als Helden, die der Armut entkommen. Mit den Entführungen begehen wir in unseren Augen keine Verbrechen, sondern fordern nur ein Wegegeld, da wir seit Jahrzehnten keine Regierung mehr haben, die unser Seegebiet kontrollieren könnte. Natürlich wird es gefährlicher, wenn jetzt fremde Kriegsschiffe gegen uns aufgeboten werden, aber wir bekommen neue Boote und neue Waffen. Wir werden solange weitermachen, bis es wieder somalische Autoritäten gibt, die unsere Hoheitsgewässer schützen und kontrollieren.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Xan Rice/Abdiqani Hassan, The Guardian | The Guardian

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