„Blutgeld“: Europas heimlicher Handel mit syrischen Phosphaten
Sanktionen Trotz der Sanktionen gegen Syrien gibt es einen versteckten Handel mit Phosphaten, um billigen Dünger herzustellen – auch in Europa. Davon profitiert das System von Baschar al-Assad und ein russischer Oligarch
Phosphat ist Bestandteil vieler Düngemittel und teuer. Der versteckte Handel mit sanktioniertem Phosphat aus Syrien ist oft billiger
Foto: Remy Gabalda/AFP via Getty Images
Im Januar verschwand ein Frachtschiff, das unter der Flagge von Honduras fuhr, vor der Küste von Zypern aus dem internationalen Schiffstracking-System. Als die Sea Navigator eine Woche später wieder auftauchte, war das Schiff auf dem Weg nach Norden Richtung Europa. Das Schiff war nicht verloren gegangen – es war in einen von Russland kontrollierten Hafen in Syrien verschwunden, um Phosphate an Bord zu nehmen, einen wichtigen Bestandteil zur Herstellung von Dünger.
Preisgünstige Phosphat-Exporte aus Syrien haben in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Europa besitzt wenige eigene Phosphatreserven und die europäischen Landwirte hatten bereits Schwierigkeiten, sich Phosphatdünger leisten zu können, bevor der Krieg in der Ukraine die Kosten noch we
sich Phosphatdünger leisten zu können, bevor der Krieg in der Ukraine die Kosten noch weiter nach oben trieb. Aber dieser heimliche Handel hat seinen Preis. Die Phosphat-Exporte stützen die repressive Regierung von Baschar al-Assad und lassen europäische Gelder an Syriens Hauptpartner im Phosphathandel fließen: den russischen Milliardär Gennadi Timtschenko, einen engen Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.Die EU-Sanktionen gegen Syrien verbieten zwar nicht ausdrücklich die Einfuhr von Phosphaten, aber Geschäfte mit dem syrischen Minister für Erdöl und Bodenschätze, der für Phosphate zuständig ist. Beteiligte europäische Unternehmen sind daher in Gefahr, mit den weltweit angelegten US-Sanktionen gegen die syrische Regierung in Konflikt zu geraten. Timtschenko war einer der ersten Oligarchen, gegen den Großbritannien und die EU nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar Sanktionen verhängten. Europäische Unternehmen bezahlen so ein verschlungenes Netzwerk von Briefkastenfirmen und Mittelmännern, die syrische Phosphate kaufen. Diese werden dann heimlich auf Schiffen wie der Sea Navigator transportiert.Schiffe verschwinden regelmäßig vom TrackingsystemDie Analyse dutzender solcher Lieferfahrten mit Hilfe von Schiffstrackingdaten zeigen, dass regelmäßig Schiffe mit Phosphaten aus Syrien an Bord vom Trackingsystem der International Maritime Organisation AIS verschwinden, während sie nach Syrien fahren und eine oder zwei Wochen später auf der Route nach Europa wieder auftauchen.Timtschenkos Mitarbeiter gründeten zudem in Syrien Scheinfirmen, um Phosphate nach Europa zu schicken. „Der Handel mit syrischen Phosphaten macht deutlich, warum das Sanktionssystem der EU seinen Zweck nicht erfüllen kann: Die Umgehung der Sanktionen funktioniert und ist nicht einmal besonders schwierig“, erklärte der syrische Rechtsexperte Ibrahim Olabi, der die Umgehung von Sanktionen überwacht. „Russland hat in Syrien gelernt, wie das geht. Es kann diese Erfahrung jetzt nutzen, um Sanktionen wegen des Ukrainekriegs zu vermeiden.“In Zusammenarbeit mit Journalist:innen in sieben Ländern haben Organised Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), Lighthouse Reports sowie Syrian Investigative Reporting for Accountability Journalism (SIRAJ) zu diesem Thema recherchiert. Anhand von Open-Source-Analysen, finanziellen Dokumenten und Handelsdaten aus dutzenden Ländern wurden Phosphatlieferungen aus den Minen in der syrischen Wüste an europäische Dünger-Hersteller verfolgt.Offizielle Handelsaufzeichnungen zeigen, dass Spanien, Polen, Italien und Bulgarien alle vor kurzem begonnen haben, syrische Phosphate zu importieren. Serbien und die Ukraine, die sich als Teil der Abkommen mit der EU an deren Sanktionen gegen Syrien angeschlossen haben, sind große Abnehmer.„Rechtlich mag das richtig sein“Nach den Importen gefragt, gaben Unternehmen und staatliche Agenturen an, keine Sanktionen zu brechen, da syrische Phosphate nicht konkret verboten seien und sie nicht mit Leuten handelten, die direkt mit Sanktionen belegt sind. „Rein rechtlich mag das richtig sein. Aber Sie geben auch Blutgeld an ein sanktioniertes Regime, das die Menschenrechte verletzt, und an einen sanktionierten russischen Oligarchen“, kommentierte die frühere Nachrichtenoffizierin beim US-Finanzministerium Irene Kenyon.In der Wüste rund um Palmyra, der alten Stadt, die von Kämpfern des Islamischen Staats zerstört wurde, graben aus den nahegelegenen Städten herbeigefahrene Arbeiter Phosphatgestein aus Syriens staubigen Minen. Nur noch wenige Syrer*innen leben in den Dörfern dieser wüstenartigen Region, in der Schläferzellen des Islamischen Staats (IS) weiterhin gelegentlich Angriffe verüben. Unterdessen bewachen russische und syrische private Sicherheitsfirmen die Phosphatminen und die Transportkonvois an die Küste.Phosphate sind essenziell für den Anbau von Getreide und Tierfutter. Die europäische Landwirtschaft ist daher abhängig von der globalen Phosphatindustrie, die rund 55 Milliarden US-Dollar wert ist. Vor dem Beginn des Krieges in Syrien 2011 war das Land einer der größten Phosphat-Exporteure der Welt. Als 2015 der IS das Gebiet rund um die Minen eroberte, brach die Industrie zusammen.Im selben Jahr schickte Russland Truppen nach Syrien und half Assad, fast das gesamte Land zurückzuerobern. Die syrische Regierung revanchierte sich, indem sie großzügige Verträge in einigen der profitabelsten Branchen des Landes an russische Unternehmen vergab.Die syrischen Scheinfirmen eines russischen Oligarchen2018 übergab das syrische staatliche Unternehmen für Phosphate und Minen Gecopham, das dem Ministerium für Öl und Rohstoffe gehört, die Kontrolle über Syriens größte Phosphatminen an den russischen Baukonzern Unternehmen Stroitransgas.Stroitransgas gehört Gennadi Timtschenko, einem der reichsten Männer in Russland. Timtschenko und Putin sind mindestens seit Anfang der 1990er Jahre befreundet, als der heutige Präsident noch Ölhändler in Sankt Petersburg war. Timtschenko weist Vorwürfe zurück, Frontmann für Putins persönliche Geschäfte zu sein. Er sagt, sie seien nichts weiter als Judo-Partner.Nach der russischen Annexion der Krim verhängten die USA 2014 Sanktionen gegen Stroitransgas. Daher distanzierte sich Timtschenko von den Operationen seines Unternehmens in Syrien, die auf den Anfang der 2000er Jahre zurückgehen.2016 übernahmen führende Stroitransgas-Mitarbeiter eine obskure russische Logistik-Firma und nannten sie in Stroitransgas (STG) Logistic um. Auf dem Papier gehört STG Logistic einem Unternehmen mit Sitz in Moskau, dasfür anonyme Kunden Firmen managt. Für die syrische Regierung kümmert es sich um die Phosphatexporte - für 70 Prozent des Gewinns.2018 verkaufte Timtschenkos Unternehmen seine Tochterfirma Stroitransgas (STG) Engineering an zwei Briefkastenfirmen mit Sitz in Moskau. Kurz darauf erhielt das Unternehmen den Zuschlag, den syrischen Exporthafens in Tartus und Syriens staatlich geführte Dünger-Fabriken zu leiten. Damit hatten Unternehmen, die Stroitransgas im Namen haben, Kontrolle über die gesamte Phosphat-Lieferkette in Syrien.Heute streitet Stroitransgas jede Verbindung zu diesen Unternehmen ab. „STG Engineering ist eine separate legale Einheit und nicht Teil unserer Unternehmensgruppe. Es ist nur eine ähnliche Abkürzung des Unternehmensnamens“, sagte Unternehmenssprecherin Natalia Kalinitschewa.Der Eigentümer wird vertuschtAllerdings zeigen syrische und russische Unternehmensaufzeichnungen, dass führende Stroitransgas-Mitarbeiter eine zentrale Rolle bei der Gründung dieser Unternehmen spielten, darunter der frühere Stroitransgas-Direktor Igor Kasak und der derzeitige Timtschenko-Mitarbeiter Sakhid Schaksuwaroff.Irene Kenyon, Sanktionen-Expertin und Direktorin für Risiko-Intelligence bei der Beratungsfirma FiveBy erklärte, die Geschichte der Unternehmen „mache sie ziemlich sicher“, dass sie im Besitz von Timtschenkos Unternehmen sind oder von ihm kontrolliert werden. „Das sind ganz übliche Methoden: Schichten um Schichten von Scheinfirmen zu schaffen, um zu vertuschen, dass am Ende sanktionierte Personen die Eigentümer sind und profitieren,” erklärte sie. Syrien ist der größte Phosphatlieferant der Ukraine - trotz Kiews angespannter Beziehung zu Damaskus seit der Invasion der Krim-Halbinsel. Früher kauften ukrainische Dünger-Unternehmen direkt von der syrischen Regierung. Seit der Wiederaufnahme der Importe 2018 dagegen läuft der Handel über ein Netzwerk obskurer neuer Unternehmen.Die große Mehrheit syrischer Phosphate kommt über den Nika-Tera-Hafen in der im Südwesten gelegenen Stadt Mykolaiw in die Ukraine. Sie befindet sich heute an einer Frontlinie im russischen Krieg in der Ukraine. Der Hafen gehört dem ukrainischen Oligarchen Dymitro Firtasch, der gleichzeitig den größten Produzenten von Phosphat-Dünger in der Ukraine, Sumykhimprom, kontrolliert.Putins Mann in der UkraineWährend Sumykhimprom technisch gesehen staatlich ist, wird es von einem engen Geschäftspartner Firtaschs geleitet und schuldet den Unternehmen des Oligarchen laut einer Investigation von Radio Free/Radio Liberty Millionen von US-Dollar. „Es ist nicht ungewöhnlich für mächtige Player in der Ukraine, staatliche Unternehmen auf diese Weise zu kontrollieren“, erklärte, der Russland- und Ukraine-Experte John Lough vom britischen Thinktank Chatham House.Firtasch ist einer der reichsten Männer in der Ukraine. Er verdankt sein Vermögen Geschäften mit vom Kreml kontrollierten Unternehmen, darunter ein Rund-3-Milliarden-Dollar-Programm, bei dem er günstiges russisches Erdgas in der Ukraine weiterverkaufte und die Differenz einsteckte. Im Gegenzug unterstützte er russlandfreundliche Politiker in der Ukraine finanziell. Im April stellte sich Firtasch gegen Putins Krieg in der Ukraine und sagte dem Sender NBC: „Ich war niemals pro-russisch, aber Sie müssen verstehen, dass ich ein Geschäftsmann bin. Und mein Ziel ist, Geld zu verdienen.“Früher reichte sein Einfluss bis nach Großbritannien, wo er ein großes Haus in Londons teuerstem Stadtviertel besitzt und ein großer Unterstützer der Universität Cambridge wurde. Sein riesiges Wirtschaftsimperium führt er heute von Österreich aus, wo er die vergangenen acht Jahre damit verbracht hat, gegen eine Auslieferung in die USA zu kämpfen, wo eine Klage wegen Korruption im Raum steht.Bis 2020 war Sumykhimprom der größte Importeur von Phosphaten in die Ukraine. Dann verschwand es aus den Import-Aufzeichnungen. Während das Unternehmen weiter Phosphat-Dünger produzierte, schien es sein Material über Dritte zu beschaffen. Auf zahlreiche Anfragen, ob es syrische Phosphate kaufe, antwortete Sumykhimprom nicht.Der wachsende europäische MarktIn jüngerer Zeit haben auch Unternehmen in EU-Ländern wieder begonnen, Phosphate aus Syrien zu beziehen. Italien nahm den Handel 2020 wieder auf, gefolgt im vergangenen Jahr von Bulgarien sowie Polen und Spanien im Januar.Laut europäischen Importeuren und Industrie-Analysten wächst der Handel aufgrund steigender Preise. „Syrische Phosphate sind nicht nur wegen des Konflikts in Syrien stark mit Blut behaftet, sondern auch wegen der Ereignisse in der Ukraine“, sagte Glen Kurokawa, Phosphat-Analyst bei der Rohstoff-Forschungsgruppe CRU. „Syrien muss zu einem politischen Rabattpreis verkaufen, weil es so schädlich ist, mit Waren aus dem Land zu handeln.“Unterdessen wird die Nachfrage in Europa wahrscheinlich weiter zunehmen, da der Krieg in der Ukraine die Phosphat- und Düngermärkte stört. Syriens Phosphathandel zeige, wie Europas lückenhafte Durchsetzung von Sanktionen und die Schwierigkeit, Schlupflöcher zu schließen, die jüngsten Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekriegs untergraben könnte, sagte Sanktionen-Experte Julius Seidenader. „Ob es um Oligarchen geht oder Privatjets: Die Russen sind Meister darin geworden, Vermögen in verschachtelten Scheinfirmen zu verstecken“, erklärte er. „Das ist regelmäßig eine kritische Frage bei Sanktionen: Wenn sich hinter Scheinfirmen versteckt wird, ist es sehr schwer, Sanktionen durchzusetzen, sei es in Syrien oder in Russland.“Diese von Lighthouse Reports, OCCRP und dem Journalistenkollektiv Syrian Investigative Reporting for Accountability Journalism (SIRAJ) angeführte Investigation wurde in Partnerschaft mit Journalisten vom Mykolaiw Zentrum für investigative Berichterstattung (Ukraine), dem Zentrum für Investigativjournalismus in Serbien, Bivol (Bulgarien), RISE (Rumänien) sowie dem Projekt für investigative Berichterstattung in Italien umgesetzt.