Tariq Aziz weiß zu viel

Irak Der Umstand, dass der irakische Ex-Außenminister noch manch explosive Geschichte aus den achtziger Jahren erzählen könnte, macht seine Begnadigung eher unwahrscheinlich

Die Entscheidung des höchsten irakischen Gerichts, Tariq Aziz, das einstige Gesicht von Saddam Husseins Regime im Ausland, wegen der „Verfolgung islamischer Parteien“ zum Tode zu verurteilen, trägt einen Beigeschmack von Vergeltung. Denn schließlich wird dieses Urteil gefällt, nachdem Aziz schon 2009 wegen seiner Rolle bei der Ermordung Dutzender Kaufleute im Jahr 1992 bereits zu 15 Jahren und für seine Rolle bei der Zwangsumsiedlung von Kurden aus dem Nordirak zu weiteren sieben Jahren verurteilt wurde. Die Strafen sind eigentlich hoch genug, um sicherzustellen, dass er das Gefängnis nie wieder verlassen wird.

Ich war möglicherweise der letzte westliche Journalist, der Tariq Aziz in den riesigen, widerhallenden Räumen des alten Außenministeriums in Bagdad interviewte, wenige Wochen bevor die Marschflugkörper und Bomben der Operation Shock and Awe (Schrecken und Ehrfurcht) in der Stadt einschlugen. Er saß in einem großen, von irakischen Flaggen eingerahmten Sessel und schmauchte eine extra-große Zigarre. „Ich habe Ihren Mr. Heath und Ihre Mrs. Thatcher getroffen, ihren Mr. Blair aber noch nicht“, sagte er mir. „Richten Sie Mr. Blair doch bitte aus, dass wir hier im Irak keine Massenvernichtungswaffen haben und dass er gern vorbeikommen oder jemanden schicken kann, um sich selbst davon zu überzeugen.“

Ich war mir nicht sicher, ob Tariq Aziz es mit diesem Angebot ernst meinte – aber ich war mir ziemlich sicher, dass er in Bezug auf die Massenvernichtungswaffen die Wahrheit sagte. Also leitete ich die Botschaft an Blair weiter, der mich aber eher mit Befremden ansah.

Geschichten über Rumsfeld

Könnte es vielleicht sein, dass die Todesstrafe gegen Aziz zum Teil auch als Versicherung für den Fall fungiert, eine künftige irakische Regierung könnte ihn begnadigen? Aziz ist alt und krank, aber er hat die interessantesten Geschichten zu erzählen, die man sich vorstellen kann. Die ganzen achtziger Jahre hindurch, als Saddam als unverzichtbares Bollwerk gegen die Mullahs im Iran betrachtet wurde, gaben sich westliche Politiker und Geschäftsleute die Klinke in die Hand, um Tariq Aziz an seinem Hof ihre Aufwartung zu machen. Es gibt sogar ein Bild von Donald Rumsfeld, wie er sich auf der Halbinsel Faw den Abschuss irakischer Raketen ansieht. Vielleicht verhält es sich wirklich so, dass man Aziz, der die ganze Geschichte des westlichen Engagements im Irak, vor, während und nach dem Krieg erzählen könnte, loswerden muss. Die britische Regierung wird daher wohl kaum ein Gnadengesuch für ihn einreichen, auch wenn sie dies sollte.

„Die Besatzer müssen bleiben“, noch im August gab Tariq Aziz dem Guardian sein erstes Interview seit seiner Verhaftung durch die amerikanischen Truppen und forderte zur Überraschung vieler die Amerikaner auf, sie sollten doch vorerst im Land zu bleiben

Mark Seddon ist ehemaliger Al Jazeera-Korrespondent, Ex-Redakteur des TribuneMagazine and Mitglied des National Executive Committee (Bundesvorstand) der Labour Party.

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Geschrieben von

Mark Seddon | The Guardian

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