Dicht gedrängt warten Jair Bolsonaros Anhänger in der Ankunftshalle des Amazonas-Flughafens von Boa Vista. Was sie vereint, sind Verachtung für die Linke und der unerschütterliche Wille, ein Selfie mit dem Mann zu ergattern, den sie „die Legende“ nennen. „Er ist Brasiliens Hoffnung! Ein Licht am Ende des Tunnels! Eine neue Ära!“, schwärmt Fernando Vieira, einer von zu Hunderten erschienener Fans, die zur Begrüßung des rechtspopulistischen Aufwieglers erschienen sind, der für die Diktatur trommelt und schon bald Staatschef der viertgrößten Demokratie der Welt werden könnte – nach der Präsidentenwahl am 7. Oktober.
Als schließlich die Landung von Flug Nr. 2020 im nördlichen Bundesstaat Roraima bekanntgegeben wird, bricht Tumult los. „Legende! Legende! Legende!“, skandiert die Menge und hebt ihren Hoffnungsträger in die Höhe, während sich der Ruf draußen fortsetzt, wo eine Gruppe von Polizisten wartet. Dort besteigt Bolsonaro einen Karnevalswagen, der wie ein Leopard bemalt ist, und wird danach auf einer einstündigen, ohrenbetäubenden Prozession durch die Provinzhauptstadt Boa Vista unterwegs sein. Während der Wahlkampftross, begleitet von massenhaft hupenden Geländewagen und Motorrädern, nach Süden kriecht, bellt ein Zeremonienmeister: „Die Legende ist da! Die Legende ist in Roraima! Die große Demokratie-Party hat begonnen!“
Die letzte Behauptung würden viele in Frage stellen. Schließlich sind Bolsonaro und sein Partido Social Cristão (PSC) eher als frauen- und demokratiefeindlich, nicht als Fans der Wahlurne bekannt. Seit der Chiles einstigen Diktator Augusto Pinochet lobende Ex-Fallschirmjäger vor drei Jahrzehnten in die Politik ging, hat er wiederholt verlangt, zur Autokratie der Obristen zurückzukehren, wie sie Brasilien bis 1985 erduldet musste. „Ich bin für die Diktatur“, brüstete sich Bolsonaro während seiner ersten von sieben Amtszeiten als Kongressabgeordneter. Derartige Brandstifter-Reden wurden lange als Verstiegenheit eines respektlosen und irrelevanten Extremisten abgetan – ebenso wie seine verbalen Angriffe gegen Frauen, Schwarze, Homosexuelle, Fremde und indigene Communities. Attacken, für die er inzwischen von der Generalstaatsanwaltschaft wegen Aufstachelung zum Hass angeklagt wurde.
Gut vier Monate vor dem Präsidentenvotum geraten Bolsonaros Ansichten wieder ins Scheinwerferlicht. Die Verhaftung seines Erzfeindes und Hauptrivalen, des Ex-Staatschefs Inàcio Lula da Silva vom linken Partido dos Trabalhadores (PT), hat die Position des Rechtspopulisten deutlich verbessert. Ein Zeichen dafür, dass mit einer möglichen Präsidentschaft Bolsonaros ernsthaft gerechnet wird, war kürzlich ein Meeting des britischen Botschafters mit dem 63-jährigen Bewerber, das der Diplomat als „interessantes Treffen“ bezeichnete. „Es ist unwahrscheinlich, dass er gewinnt – aber auch sehr gut möglich“, meint Brian Winter, Chefredakteur von Americas Quarterly, der längere Zeit beim Bolsonaro-Clan verbracht hat. „Für seine Anhänger repräsentiert dieser Mann Recht und Ordnung. Und das ist eine sehr überzeugende Botschaft in einem Land mit jährlich 60.000 Morden und den weltweit größten Korruptionsskandalen, die je aufgedeckt wurden.“
Bei dem Versuch, aus Lateinamerikas Rechtsruck Kapital zu schlagen, präsentiert sich Bolsonaro als Waffen-Befürworter und Anti-Establishment-Kreuzritter, der ausgezogen ist, den Sumpf trocken zu legen, in dem Brasiliens futuristische Hauptstadt Brasilia versunken sei. Auf seinen Wahlkampftouren wettert er nicht wie einst Donald Trump gegen „Schleimer“ und „Bad hombres“, sondern gegen Vagabundos (Taugenichtse), Canalhas (Bastarde) und Bandidos (Verbrecher). Kritikern wirft er vor, gefälschte Nachrichten zu verbreiten. Regelmäßig attackiert er die Chinesen: „Wir werden mit ihnen Handel treiben, aber ihnen niemals unser Land überlassen!“, ruft er unter lauten Anfeuerungsrufen seiner Anhänger in Boa Vista.
Nichts außer Sand
Bolsonaros Reden sind häufig ausschweifende, Fakten entbehrende Angriffe auf die Syntax, die unsinnig erscheinen, würde man sie aufschreiben, aber merkwürdig überzeugend wirken, wenn man sie hört. Auf die Frage bei einer Pressekonferenz, was er als Präsident als Erstes tun werde, antwortet Bolsonaro: „Sie sind hier, weil Sie sich für Brasilien und diese Gegend interessieren. Wenn Sie arm wären, wären Sie nicht hier. Richtig? Das hier ist eine sehr reiche Region. Machen Sie die Augen auf, denn die Chinesen kaufen Brasilien auf. Okay?“– Nach dieser mäandernden Antwort wird der Kandidat, der seine Ansichten mit mehr als fünf Millionen Facebook-Followern teilt, dann doch konkreter. Er wolle die Kompetenzen des Umweltministeriums beschneiden und sich jede ausländische Einmischung verbitten. „Diese feigen Machenschaften von Organisationen wie dem World Wide Fund For Nature und so vielen anderen aus England, die ihre Nasen in unser Land stecken, müssen aufhören! Und dieser Unsinn wird aufhören!“ Zum Schluss gerät er über die israelische Landwirtschaft ins Schwärmen: „Israel hat nichts außer Sand, und dennoch züchten sie Fische in der Wüste.“
Chefredakteur Brian Winter ist überzeugt, dass Bolsonaro „offen Teile von Trumps Strategie kopiert“ und sich dies als Erfolgsrezept erweisen könnte: „Der US-Präsident wurde gewählt, weil er sagte, das Verbrechen gerate in den Innenstädten außer Kontrolle, die Wirtschaft sei eine Katastrophe und die gesamte politische Klasse korrupt ... Diese drei Dinge treffen unbestreitbar auch auf Brasilien zu. Wenn also Trump gewählt werden konnte, stellen Sie sich vor, was erst in diesem Land möglich ist.“
Eduardo Bolsonaro, Sohn des Kandidaten und ebenfalls Mitglied des Kongresses, wehrt sich gegen die Beschreibung seines Vaters als rechtsextrem. Viel eher sei der Teil einer globalen Bewegung, zu der Geert Wilders, Marine Le Pen und Donald Trump gehören würden, sagt Bolsonaro jr., der vor kurzem angeklagt wurde, eine Journalistin bedroht zu haben. Das brasilianische Establishment habe nur Angst, „weil sie wissen, wie stark wir die Dinge ändern werden“.
Darauf hofft jedenfalls Bolsonaros Anhang in Boa Vista. „Er will Gewalt mit Gewalt bekämpfen – und dahinter stehen wir“, begeistert sich der 28-jährige Security-Mitarbeiter Wellington Vasconcellos. Und der 23-jährige Student Bruno Queiroz preist Bolsonaro als „Brasiliens Erlösung“: „Wir brauchen jemanden mit einem starken Arm, der die Ordnung wiederherstellt – selbst wenn es mit Gewalt geschieht.“
Für Millionen progressiver Brasilianer freilich ist ein Präsident, der die Todesstrafe befürwortet, Folter billigt und sich selbst fremdenfeindlich nennt, eine Horrorvorstellung. Für Guilherme Boulos, der als Präsidentschaftskandidat des Partido Socialismo e Liberdade (PSoL) ins Rennen geht, gehört es zu den dringendsten Aufgaben der Linken, Bolsonaros Wahlsieg abzuwenden. „Bolsonaro präsentiert sich als jemand, der die Kriminalität bekämpfen wird. Dabei ist er selbst ein Krimineller“, sagte Boulos. „Er ist nicht Trump, sondern eine Karikatur von Trump.“
Für all jene, die sich vor Bolsonaro fürchten, könnte das Wahlsystem die Rettung sein. Es sieht eine Stichwahl vor, wenn bei der Abstimmung Anfang Oktober kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht. Laut Brian Winter hat sich die Unterstützung für Bolsonaro in den Umfragen auf 20 Prozent eingependelt, was darauf hinweise, dass ihn viele Wähler für „verrückt und gefährlich“ halten. Aber auch für diese Möglichkeit scheinen die Bolsonaros eine Trumpsche Taktik in der Hinterhand zu haben, indem sie das Gespenst des Wahlbetrugs heraufbeschwören, genau wie es der heutige US-Präsident 2016 getan hat. Eduardo Bolsonaro jedenfalls ist überzeugt, dass sein Vater die erste Runde gewinnt, es sei denn, seine Befürchtungen einer manipulierten Abstimmung bewahrheiten sich. „Wie wir hier sagen: In dem Wald, da ist ein Hund“, sagt der 33-Jährige.
Mit dieser angedeutetem Verschwörungstheorie dreht sich der Bürstenhaarschnitt tragende Kongressabgeordnete um und kehrt zum Wahlkampfzug zurück. Neben dem Bild eines Sturmgewehrs prangt auf seinem T-Shirt-Rücken auf Englisch die Botschaft an die Wähler: „Verteidige die Freiheit, verteidige Amerika, verteidige dich selbst!“
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