Zurab Chavchavadze lässt keinen Zweifel an seiner Agenda: „Wir ziehen hier eine neue Elite auf.“ Der 74-jährige Schuldirektor ist eine elegante Erscheinung, wie er da so unter einem großen Porträt des letzten russischen Zaren Nikolaus II. thront. „Unsere Schüler werden von gefestigter Moral, religiös, intellektuell und patriotisch sein und jede Chance haben, eine mächtige Position zu erreichen.“
Die Schule liegt in einem vornehmen Moskauer Vorort. Sie ist nach dem Heiligen Basilius benannt und besteht aus mehreren prächtigen Gebäuden, die sich um eine neu gebaute Kathedrale gruppieren. Das Bildungsprogramm ist ganz auf die zaristische Tradition Russlands gepolt. Man könnte sagen: Den rund vierhundert Schülerinnen und Schülern wird hier Patriotismus eingeimpft.
Direktor Chavchavadze gehört einem zwar kleinen, aber durchaus einflussreichen Teil der russischen Gesellschaft an: Menschen der oberen Mittel- beziehungsweise der alten und neuen Oberschichten, die sich über die vergangenen Jahre immer stärker und hörbarer der zaristischen Vergangenheit des Landes zugewandt haben – und von denen manche sogar auf eine Wiedereinführung der Monarchie in nicht allzu ferner Zukunft hoffen.
Dass sich die russische Februarrevolution von 1917, bei der die Zarendynastie der Romanows nach 300-jähriger Herrschaft abgesetzt wurde, nun zum hundertsten Mal jährt, verleiht den Neo-Zaristen Auftrieb. „Schauen Sie sich doch einmal an, wie das russische Volk auf Lenin, Stalin und Putin reagiert hat. Sobald jemand hier ein paar Jahre lang an der Macht ist, bekommt er einen Heiligenstatus. Das russische Volk strebt nach Monarchie, die russische Seele ist monarchisch“, merkt Chavchavadze schwärmerisch an.
In den Fluren der Schule blicken die Konterfeis verschiedener russischer Zaren auf die Schüler herab, in einem der Korridore prangt eine Statue von Katharina der Großen, auch der Festsaal ist mit Romanow-Porträts geschmückt. Die Stundenpläne beinhalten Bibelstudien und Lateinunterricht, und die Geschichtsbücher wurden eigens in Auftrag gegeben – denn sie sollen keine allzu positive Darstellung der Sowjetzeit enthalten, wie es in den russischen Standardlehrbüchern üblich ist.
Finanziert wird die Schule von einem vermögenden russischen Privatmann: Konstantin Malofejew, auch als „der orthodoxe Oligarch“ bekannt. Malofejew unterhält nachweislich gute Verbindungen zum Kreml. Gerüchten zufolge soll er russische Rebellentruppen in der Ostukraine mit Geld unterstützt haben. Gesichert ist, dass er die noble Zarismus-Schule vor den Toren Moskaus als „Herzensangelegenheit“ betrachtet und dass er einen christlich-orthodoxen TV-Sender mit nationalistischer Ausrichtung ins Leben gerufen hat: Tsargrad heißt der Kanal.
Ein „orthodoxes Eton“ ...
Die Schule des Heiligen Basilius, so erklärt Malofejew es im Gespräch mit dem Guardian, solle ein „orthodoxes Eton“ sein und eine neue Elite für die künftige russische Monarchie vorbereiten. „Die Mission unserer Schule ist, dafür zu sorgen, dass unsere Absolventen Patrioten sind, die die russischen Traditionen der zurückliegenden tausend Jahre weiterführen – nicht bloß die der letzten zwanzig oder hundert.“ An den Wänden seines Büros im Zentrum Moskaus hängen auch wieder entsprechende Bilder: orthodoxe Ikonen-Motive sowie ein großes Porträt von Zar Alexander III., einem für seinen ausgeprägten Konservatismus bekannten Herrscher aus dem 19. Jahrhundert. „Mir ist es sehr wichtig, die Traditionen wieder aufleben zu lassen, die 1917 unterbrochen wurden.“
Nach der Februarrevolution – die nach dem damals in Russland gültigen Julianischen Kalender benannt ist – wagte das Land ein kurzes liberales Experiment. Doch die Übergangsregierung wurde im Oktober des gleichen Jahres durch den bolschewikischen Aufstand Wladimir Lenins gestürzt. Nikolaus II .und seine Familie wurden 1918 hingerichtet. Im russischen Bürgerkrieg schlugen sich viele Aristokraten auf die Seite der Weißen Armee (auch „Weiße Garde“ genannt), die gegen die aufständischen Bolschewiki kämpfte. Oder sie flohen, nach Westeuropa oder noch weiter weg.
In der Sowjetzeit wurde über die Weiße Garde nicht gesprochen. Chavchavadzes Familie war nach der Revolution aus Russland geflohen und kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947 in einer Welle des Patriotismus zurück, jetzt: in die Sowjetunion. Sein Vater wurde kurz darauf als Spion verhaftet und für 25 Jahre in den Gulag geschickt, während die Familie ins kasachische Exil verbannt wurde.
Erst in der postsowjetischen Periode lebten das Interesse und das öffentliche Gespräch über die Geschichte der pro-zaristischen Kräfte wieder auf. Nikolas II wurde von der russisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochen. Die Regierung Wladimir Putins hat zwar stets ihre Bewunderung für die Errungenschaften der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht – deren Gründung 1917 gilt aber aufgrund des damaligen Blutvergießens und Chaos im heutigen Russland auch als Tragödie.
Malofejew ist heute 42 Jahre alt. Er wurde in der Nähe von Moskau geboren und wuchs in einem Wohngebiet auf, das sowjetischen Wissenschaftlern vorbehalten war. Als Teenager – es war die Zeit der Perestroika unter Michail Gorbatschow – verschlang er Literatur über die Weißen und wurde so zum Monarchisten. „Mit 14 habe ich zwei Bücher gelesen, die mich enorm beeindruckt haben“, erinnert er sich. Bei einem handelte es sich um die Memoiren eines ehemaligen zaristischen Offiziers, der später in Argentinien eine Zeitung für russische Emigranten herausgab. Das andere war J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe. „Das Bild des nach Gondor zurückkehrenden Aragorn war mein zweiter Eindruck von der Monarchie. Es hat mich ebenfalls beeinflusst“, sagt Malofejew.
Begeistert vom Gedanken der Monarchie schrieb Malofejew einen Brief an den in Paris lebenden Großherzog Wladimir Kirillowitsch Romanow, der 1917 geboren worden war und als Oberhaupt der Zarenfamilie galt, nachdem der Großteil von ihnen hingerichtet oder im Exil gestorben war. Nachdem der Großherzog Malofejews Brief gelesen hatte, beauftragte er seinen Vertrauten Zurab Chavchavadze, die Antwort persönlich zuzustellen. So haben der Finanzier und der heutige Schulleiter sich kennengelernt.
Malofejew hat Jura an der Staatlichen Universität Moskau studiert. Seine Dissertation widmete er einem Verfassungsmechanismus, mithilfe dessen die Wiedereinführung der Monarchie im modernen Russland möglich wäre. Dann wechselte er ins Bankenwesen und wurde rasch zu einem der reichsten Männer des Landes. 2012 gründete er „seine“ Schule und bat Chavchavadze, deren Leitung zu übernehmen. Die Absolventinnen und Absolventen, so Malofejews Hoffnung, werden eines Tages das Rückgrat der „unvermeidlichen“ zaristischen Ordnung Russlands sein.
Von Berufspolitikern heutiger Art hält er nicht viel. Sie seien korrupt und zu sehr auf Wahlerfolge bedacht. Monarchen hingegen könnten unbehelligt vom schmutzigen Geschäft der Politik regieren. Wladimir Putin zählt er allerdings nicht zu den zwielichtigen Gestalten der Demokratie – denn Putin sei einst von Boris Jelzin persönlich als dessen Nachfolger ausgewählt wurde. „Er hat sich nie bemüht, gewählt worden. Er wurde gefunden und seinem Platz zugewiesen – und es stellte sich heraus, dass er gottgesandt ist. Wer hättet 1999 vermutet, dass Putin zu uns kommen und Russland wieder beginnen würde, Russland zu sein? Es war ein Akt Gottes.“
Während die Schüler beim Heiligen Basilius jetzt in klassischem, sozusagen höfischem Paartanz unterrichtet und von ihren Eltern mit Ballkleidern und Smokings ausgestattet werden, und während zehntausende junger Russinnen und Russen parallel dazu gegen die demokratisch nicht kontrollierte Macht der Oligarchen überall auf den Straßen des Landes protestieren, zeigen Umfragen angeblich, dass der Anteil der Russen, die sich die Rückkehr der Monarchie wünschen, in den vergangenen zehn Jahren von 15 auf 25 Prozent gestiegen ist. Das behauptet jedenfalls Konstantin Malofejew. Der Grund dafür? Die Popularität Wladimir Putins, sagt der 42-Jährige.
... für die neue, alte Ordnung
Zu seinen monarchistischen Mitstreitern zählt auch Leonid Reschetnikow, ein ehemaliger General des KGB und des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR. Heute leitet er aus seinem mit Darstellungen Putins und – wieder – Nikolaus II. geschmückten Moskauer Büros die sogenannte Doppeladler-Gesellschaft. Zum Monarchisten sei er in den 1980er Jahren geworden, als er als KGB-Agent auf dem Balkan stationiert gewesen sei. Damals sei ihm klar geworden, dass es niemanden gebe, der wirklich an den Kommunismus glaube, auch in der Sowjetunion nicht, sagt Reschetnikow heute.
Von der Demokratie zeigt er sich genauso unbeeindruckt. „Unsere Liberalen wollen sein wie die Europäer. Aber Gott hat uns anders geschaffen“, referiert er. „Die liberale Demokratie ist wie der Marxismus. Sie wurde aus London, Paris und New York zu uns gebracht. Wir müssen nach 1917 zurückkehren, an den Punkt, an dem wir den falschen Weg eingeschlagen haben.“ Bis es zu einer Umkehr komme, müsse die russische Gesellschaft aber noch „reifen“ – und religiöser werden. Das könne seiner Einschätzung nach noch Jahrzehnte dauern.
Schulfinanzier Malofejew hingegen hat ein ganz anderes Tempo im Kopf. Er hält es sogar für möglich, dass Wladimir Putin eines Tages zum Zaren gekrönt werde: „Niemand wollte, dass Jelzin ewig weitermacht. Aber alle wollen, dass Putin ewig bleibt.“
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