Kaum ist klar, dass Dominique Strauss-Kahn wegen versuchter Vergewaltigung auf keiner Anklagebank landen wird, da fangen Frankreichs Sozialisten bereits an zu feiern. Parteichefin Martine Aubry, die bei den Präsidentschaftswahlen in neun Monaten möglicherweise gegen Nicolas Sarkozy antritt, nannte die Entscheidung des New Yorker Gerichts eine „große Erleichterung“ und erklärte: „Wir alle warten darauf, dass dieser Alptraum für ihn endlich vorbei ist“. Aubrys Hauptrivale François Hollande sprach davon, dass „ein Mann mit den Fähigkeiten Strauss-Kahns“ für die Partei nach wie vor „nützlich“ sein könne. Und Harlem Désir, kommissarische Generalsekretär der Partei, macht kein Hehl aus seiner Genugtuung über das „glückliche Ende“.
In welcher Welt lebt die Führung der Sozialistischen Partei eigentlich? Niemandem, der die ursprüngliche Anklageschrift gegen Strauss-Kahn und den 25-seitigen Antrag der Staatsanwaltschaft, die Anklage fallenzulassen, gelesen hat, käme es in den Sinn, derart unbekümmerte Bemerkungen fallen zu lassen. Wenn Anklage kassiert wurde, hat das nicht damit zu tun, dass zwischen dem ehemaligen IWF-Vorsitzenden und der Hotelreinigungskraft Nafissatou Diallo kein Sex stattgefunden hat. Für einen solchen Kontakt gibt es verlässliche forensische Beweise. Der Fall geht zu den Akten, weil Frau Diallos Glaubwürdigkeit als Zeugin gelitten hat. In der Erklärung der Staatsanwaltschaft heißt es: „Die Art und Anzahl der Lügen der Anklägerin machen es uns unmöglich, jegliche Zweifel an ihrer Darstellung der Ereignisse auszuräumen, was auch immer die Wahrheit über das Zusammentreffen zwischen der Anklägerin und dem Angeklagten sein mag.“ Wie so oft in Vergewaltigungsfällen sollte das Ergebnis nicht „große Erleichterung“, sondern großes Unbehagen bereiten.
Ein reines Politikum?
Nichtsdestotrotz war es juristisch richtig, die Anklage gegen Strauss-Kahn fallen zu lassen. Das jedoch rechtfertigt keineswegs den völlig unangemessenen Ton, den so viele französische Sozialisten nun anschlagen. Es rechtfertigt auch nicht die Tendenz, mit der ein großer Teil der politischen Klasse Frankreichs den Fall als reines Politikum ohne jegliche moralische Dimension behandelt. Im französischen Fernsehen behauptete gerade ein Kommentator, Strauss-Kahn habe ein Recht auf die Unschuldsvermutung, aber er sei nicht entlastet worden. Das stimmt nicht: Die Gründe für seiner Freilassung waren formale, aber sie waren zwingend.
Dominique Strauss-Kahns Rolle als Modernisierer in den oft schwierigen Debatten, die es in der Sozialistischen Partei nach François Mitterand zu führen gab, und die innovative Arbeit, die er in einer wichtigen Phase als Chef des Internationalen Währungsfonds geleistet hat, verlangen nach wirklicher Anerkennung. Aber seine öffentliche Karriere ist vorbei und sollte nicht wiederbelebt werden. Strauss-Kahn kann nicht mehr den Respekt einfordern, dessen ein hoher Minister bedarf, geschweige denn ein Staatsoberhaupt. Ein Berlusconi ist genug. Eine Rehabilitierung Strauss-Kahns würde dem Ansehen der französischen Linken sehr schaden. Die Sozialistische Partei hat genügend Probleme, als dass sie sich auf derart verstörende Art erniedrigen müsste.
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