Versöhnungstrommeln werden gerührt

Afghanistan Die Nachricht, dass die UNO erste Sondierungen über Friedensverhandlungen mit Kommandeuren der Taliban gesucht hat, weckt Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung

„Solange keine Seite triumphiert, gibt es eine einzige Möglichkeit, einen Krieg zu beenden – mit dem Gegner sprechen“, meinte gerade der französische Außenminister Kouchner. Tage zuvor hatte schon NATO-Kommandeur Stanley McChrystal die Ansicht geäußert, dass der Krieg auch nach vier weiteren Jahren des Kampfes gegen die Taliban schließlich nur durch eine politische Lösung beendet werden könne. „Als Soldat habe ich das Gefühl, dass genug gekämpft wurde“, sagte er der Financial Times.

Was sagt Mullah Omar?

Einer Verhandlungslösung stehen freilich nach wie vor große Hindernisse im Weg: Die Auflösung aller Verbindungen zu al-Qaida und die Akzeptanz grundlegender Menschenrechte, einschließlich der Frauenrechte, sind für die afghanische Regierung und den Westen Voraussetzung möglicher Verhandlungen. Zur Eröffnung der Londoner Konferenz sagte Präsident Karsai: „Wir müssen uns um alle unsere Landsleute bemühen, vor allem um unsere enttäuschten Brüder, die nicht al-Qaida oder anderen terroristischen Netzwerken angehören und die afghanische Verfassung akzeptieren.“

Die Bedingungen dürften für den als „unversöhnlich“ geltenden Vorsitzenden des Quetta-Führungspräsidiums, Mullah Omar, wohl zu weit gehen. Das Fernziel der NATO-Strategie bestand darin, von Omars Führungspersonal alle abzuwerben, die einem Bündnis mit Osama bin Laden ablehnend gegenüber stehen und glauben, die Taliban hätten einen zu hohen Preis bezahlt. Dass einige Taliban-Regionalkommandeure sich beim UN-Sondergesandten Kai Eide über die Sicherheitsgarantien im Falle einer Waffenniederlegung informierten, weckt bei den westlichen Alliierten zarte Hoffnungen, die Truppenaufstockung um fast 40.000 Mann könnten eine demoralisierende Wirkung hinterlassen haben. Doch es ist Vorsicht geboten. Nach Ansicht der NATO-Generäle glauben die meisten Taliban immer noch an den Sieg. „Unsere Truppenaufstockung hat noch keinen Einfluss auf sie gehabt“, sagte ein hoher NATO-Offizier. „Ihre Zuversicht ist ungebrochen.“

Großer Friedensrat

In London herrschte die Ansicht vor, wirkliche Friedensverhandlungen mit den Taliban seien erst möglich, wenn Letztere durch die militärische Offensive der NATO sowie Bemühungen um die Abwerbung von Aufständischen erheblich geschwächt worden seien. Dennoch ist Eide der Ansicht, dass parallel zu den Wiedereingliederungsmaßnahmen auf der unteren Ebene Gespräche mit der Taliban-Führung über eine Aussöhnung geführt werden müssen. „Der Prozess der Reintegration ist von großer Bedeutung, er muss aber von politischer Aussöhnung begleitet werden“, so der UN-Sondergesandte nach der Konferenz in London. Er verwies auf das US-Gefängnis Bagram am Kabuler Flughafens. Die Fälle dort müssten neu untersucht werden. „Das bedeutet, dass man die Liste der Inhaftierten durchgeht und diejenigen entlässt, die nicht unbedingt in Haft sein müssen.“ Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters über ein Treffen, das im Januar in Dubai stattgefunden haben soll, hätten Taliban bei dieser Gelegenheit kein Hehl aus ihrer Befürchtung gemacht, sie könnten in solchen von der CIA geführten Geheimgefängnissen verschwinden.

Der Friedensplan, den Hamid Karsai in London vorgestellt hat, umfasst die Einrichtung eines Nationalen Friedensausschusses, um die Reintegration der einfachen Taliban-Kämpfer zu überwachen, von denen – Schätzungen zufolge – 75 Prozent aus rein lokalen Gründen und ausschließlich in der näheren Umgebung ihrer Dörfer kämpfen. Den Kommandeuren stellte Karsai eine Aussöhnung in Aussicht, die durch das saudische Königshaus ausgehandelt werden könne. Als erster Schritt werde „in den kommenden Wochen“ ein großer Friedensrat abgehalten, so Außenminister Rangeen Dadfar Spanta. Dieser solle für Stammesälteste aus dem ganzen Land offen sein, auch für diejenigen, die aufgrund ihrer Verbindungen zu den Taliban nicht an der Bonner Friedenskonferenz von 2001 teilgenommen hätten. Diese Leute seinerzeit ausgeschlossen zu haben, wurde nun von EU und USA gleichermaßen als schwerwiegender Fehler bezeichnet.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Julian Borger/Ian Black | The Guardian

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