Weg in die Katastrophe

Klimapolitik Wie weiter mit dem Kyoto-Protokoll? Lieber ein völlig neues Abkommen als einen schlechten Folge-Kompromiss, sagt James E. Hansen, einer der führenden Klimaforscher

Ausgerechnet der Wissenschaftler, der die Welt erst dazu brachte, die drohende Gefahr der Erderwärmung wahrzunehmen, hält ein Scheitern des bevorstehenden Klimagipfels für das geringere Übel. Angesichts der schleppenden Verhandlungen werde jedes Abkommen so große Mängel aufweisen, dass es besser wäre, noch einmal ganz von vorne anzufangen.

„Das wäre mir lieber als wenn die Leute in dem Glauben gelassen werden, man sei auf dem richtigen Weg, obwohl der in Wahrheit in die Katastrophe führt“, sagte Hansen. „Der ganze Ansatz ist so grundsätzlich falsch, dass es besser wäre, die Situation noch einmal neu zu überdenken. Wenn etwas nach Art des Kyoto-Protokolls dabei herauskommen soll, wird es Jahre dauern, die Inhalte genau zu bestimmen.“

Hansen, der das Goddard Institut für Weltraumstudien der NASA in New York leitet, trug mehr als jeder andere Wissenschaftler dazu bei, die Politik über die Ursachen der Erderwärmung aufzuklären. Er ist jedoch ein entschiedener Gegner des Zertifikatehandels, der von der EU und anderen Regierungen als der effizienteste Weg zur Reduzierung der Emissionen und als Schritt hin zu einer neuen sauberen Energiewirtschaft angesehen wird. Auch Barack Obama und Al Gore, der für seine Bemühungen, die Welt zum Handeln gegen den Klimawandel zu bewegen, den Friedensnobelpreis erhielt, werden von Hansen heftig kritisiert. Er wirft der Politik vor, sie würden sich der moralischen Herausforderung unserer Zeit nicht stellen.


Seiner Auffassung nach lässt der Klimawandel keinen Spielraum für Kompromisse, wie sie das politische Geschäft bestimmen. „Mit der Erderwärmung verhält es sich wie mit der Sklaverei, mit der Abraham Lincoln sich auseinandersetzen musste oder der Herausforderung des Nazismus, der sich Winston Churchill gegenübersah“, so Hansen. „Bei so etwas kann man keine Kompromisse eingehen. Man kann nicht sagen: Lasst uns die Sklaverei zurückfahren, lasst uns einen Kompromiss finden und sie um 50 oder 40 Prozent reduzieren. Es gibt keinen politisch Verantwortlichen, der das begreift und sagt, was wirklich vonnöten ist. Stattdessen versuchen wir so weiter zu machen wie bisher.“

Die Wandlung des zurückhaltenden Mannes aus Iowa vom Klimawissenschaftler zum Aktivisten hat sich in den letzten Jahren der Amtszeit George W. Bushs beschleunigt. Hansen, der ungern in der Öffentlichkeit auftritt, sagt, die immer deutlicher werdende Bedrohung durch Dürren, Flutkatastrophen und Hungersnöte, habe ihn erst dazu gebracht. Zur Kontroverse um möglicherweise manipulierte Daten von Klimaforschern sagte Hansen, „all das, worüber sie in Bezug auf die Daten diskutieren, ändert überhaupt nichts an der Analyse. Es hinterlässt allerdings einen sehr schlechten Eindruck.“

Hansen ist ein erklärter Gegner der Kohle, deren Verbrennung mehr CO2 produziert als jede andere Energiequelle. Im vergangenen Sommer wurde er bei einer Demonstration gegen einen Tagebau in West Virginia verhaftet. Hansens Eintreten für eine direkte CO2-Steuer auf Brennstoffe verärgert bisweilen andere Umweltschützer. Die werfen dem Professor vor, mit seiner Forderung die Anstrengungen für ein Gesetz über den Emissionshandel zu torpedieren.

Hoffnung noch nicht aufgegeben

Die Novelle wird gegenwärtig im Kongress verhandelt – und von Hansen scharf kritisiert: „Dies entspricht dem Ablasshandel, den die katholische Kirche im Mittelalter betrieben hat. Die Bischöfe sackten jede Menge Geld ein und die Sündigen erhielten die Absolution. Trotz seiner Absurdität fanden beide Seiten an diesem Arrangement Gefallen. Genau dasselbe geschieht im Augenblick: Die Industrieländer wollen mehr oder weniger so weitermachen wie bisher und die Entwicklungsländer brauchen Geld, das sie durch den Verkauf von Zertifikaten bekommen.“

Trotz seines Pessimismus hat Hansen die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „Es kann sein, dass wir bereits dafür gesorgt haben, dass der Meeresspiegel um einen Meter oder sogar noch mehr ansteigen wird, aber das bedeutet nicht, dass man die Flinte ins Korn werfen kann. Denn wenn man das tut, könnte es sein, dass man in Zukunft von Dutzenden von Metern sprechen muss. Von daher ist es verrückt, wenn Leute argumentieren, es sei bereits zu spät dafür, etwas zu unternehmen. Was denken die denn: Sollen wir den Planeten aufgeben? Es geht darum, den Schaden so gering wie möglich zu halten.“


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Übersetzung der gekürzten Fassung: Holger Hutt
Geschrieben von

Suzanne Goldenberg, The Guardian | The Guardian

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