Wie eine Hydra

Anschlag Die Spur der Attentäter vom Flughafen Domodedowo führt in den terroristischen Sumpf des Nordkaukasus, wo Separatisten und Islamisten nach unabhängigen Kalifaten streben

Seit seiner Renovierung und Aufteilung in einen inländischen und einen internationalen Sektor ist der Moskauer Flughafen Domodedowo zum Symbol des zeitgenössischen Russland unter Wladimir Putin geworden: Der Airport ist ein generalüberholter, geschäftiger internationaler Knotenpunkt, eine fortschrittliche Vision Russlands. Vielleicht wurde das Gelände deshalb zum Ziel von Gruppen, die für die Unabhängigkeit ihrer Region von Russland kämpfen.

Im August 2004, ein paar Tage bevor Terroristen in einer Schule der nordossetischen Stadt Beslan 1.200 Geiseln nahmen, stiegen Selbstmordattentäter in zwei Flugzeuge, die von Domodedowo aus starteten. Die Maschinen explodierten in der Luft, zig Passagiere kamen ums Leben. Obwohl sich Tage später die bis dahin unbekannten Islambouli-Brigaden zum dem Anschlag bekannten, verdächtigten die russischen Behörden den tschetschenischen Topterroristen Shamil Bassajew und Gruppen mit Verbindungen in den Nordkaukasus.
Monate später bekannte sich Bassajew tatsächlich zu den Anschlägen und identifizierte sie als Teil einer blutigen Welle von Angriffen auf „Symbole der russischen Vorherrschaft“. Zwangsläufig werden auch jetzt wieder Kräfte, die mit dem Aufstand im Nordkaukasus in Verbindung gebracht werden, für den Selbstmordanschlag gegen ein weiches Ziel verantwortlich gemacht.

Nach den Ereignissen vom Spätsommer 2004 ergriffen die Russen neue Sicherheitsmaßnahmen, um der Gefahr von Selbstmordattentaten begegnen zu können. Die Regierung Putin erhielt auch von der internationalen Gemeinschaft Beistand für ihr Engagement im „Krieg gegen den Terror“, während im Nordkaukasus die von Moskau unterstützte tschetschenische Regierung weiter einen schmutzigen Krieg führte.

Diffuser militanter Untergrund

2006 mussten die Rebellengruppen, die in Tschetschenien und anderen Teilen des Kaukasus kämpften, in den Untergrund gehen. Die Selbstmordanschläge und unverfrorenen Angriffe unter Bassajews Kommando, die Ende 2002 in Tschetschenien begannen und mit dem Attentat auf die Schule in Beslan (dabei starben nach offiziellen Angaben 331 Menschen) kulminierten, konnten die politische Normalisierung in Tschetschenien nicht wirklich aufhalten und haben nach Ansicht vieler der Sache der Separatisten eher geschadet. Die Armut in der Region und die harte Linie der Kreml treuen Regierungen in Tschetschenien und Inguschetien führten jedoch dazu, dass schwelende Spannungen nie ganz verschwanden. Besonders in Inguschetien hat die Gewalt im Verlauf des Jahres 2008 ständig zugenommen. Militante Separatisten erklärten, im Nordkaukasus ein Kalifat errichten zu wollen. So entstand ein diffuser militanter Untergrund, der in der Lage ist, in Dagestan, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien und vielleicht auch in Russland Anschläge zu verüben. Ende 2008 hat denn auch der nominelle Anführer, Dokku Umarow, Selbstmordanschläge mehrfach als legitimes Mittel im Krieg erklärt. Gruppen, die sich ihm gegenüber zur Loyalität verpflichtet fühlten, haben prompt Selbstmordanschläge in Inguschetien und Dagestan verübt.

Die Reaktion ist entscheidend

Zu derartigen Attakcne kam es auch 2009 und 2010. Im Vorjahr führte der Tod zweier dagestanischer Rebellenführer mutmaßlich zu einer Reihe massiver Angriffe gegen Ziele in Moskau, bei denen viele Menschen ermordet wurden. Die Anschläge auf die Metro im vergangenen März forderten 40 Todesopfer. Innerhalb von Wochen gaben russische und dagestanische Offizielle den Tod der dafür Verantwortlichen bekannt.

Sollten Gruppen mitBindung an den Nordkaukasus auch für das Blutbad auf dem Moskauer Flughafen verantwortlich sein, dürfte eine kurzfristige militärische Reaktion, mit der die Probleme der Region nur übertüncht werden können, nicht ausreichen. Es könnte entscheidend sein, wie die russischen Behörden reagieren, um den Beweis anzutreten, dass Russland mit langwierigen Problemen umgehen kann – mit politischen ebenso wie mit gesellschaftlichen.

Cerwn Moore ist Dozent für internationale Beziehungen an der Birmingham University

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Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Cerwyn Moore | The Guardian

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