Vergeltung

Das Kind der Rache Härtere Strafen und der Wille des Volkes

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion



Wir sehen derzeit an Frankreich und anderen Ländern, die jüngst von Terroranschlägen betroffen waren, wie reflexhaft nach härteren Strafen bis hin zur Todesstrafe gerufen wird. Auch in Deutschland wird diese punitive Tendenz im Falle eines Terroranschlages noch stark zunehmen. Das gibt Anlass, das Prinzip Vergeltung zu hinterfragen, zunächst anhand der Unterpunkte:

  1. Wollen alle, oder zumindest die meisten Menschen Vergeltung?

  2. Fordert das Demokratieprinzip unseres Grundgesetzes eine unmittelbare Orientierung der Vergeltung, mithin der Höhe und Härte von Strafen, am Willen der Mehrheit?

Zu 1:

Inwieweit ist der Vergeltungswunsch (wobei Vergeltung hier als das zumindest etwas vernünftigere Kind der Rache gesehen wird und als rein rückwärtsorientierte Maßnahme abzugrenzen ist von zukunftsorientierten Zielen wie Abschreckung oder Resozialisierung) überhaupt in den Mitgliedern unserer Gesellschaft verankert? Vorliegende Studien deuten, auch wenn ihre Aussagekraft notwendiger Weise begrenzt ist, auf den Willen der Mehrheit der Menschen hin, dass schädigendes Verhalten im strafenden Sinne vergolten wird. Beispielsweise wurden spieltheoretische Experimente primär zu ökonomischen Fragestellungen durchgeführt: wie verhalten sich Wirtschaftsteilnehmer, wie sollten sie sich verhalten usw. Die Ergebnisse solcher Studien konnten dann auch kriminologisch fruchtbar gemacht werden, vor allem auch zur Frage, inwieweit Menschen einen Wunsch nach Vergeltung haben. So wurden beispielsweise 6 Probanden ausgewählt, von denen jeder die Möglichkeit bekommen hat, zehn Euro in eine Gemeinschaftskasse zu geben. Wenn alle diese 10 Euro gegeben haben, bekam die Gruppe als Ganze 100 Euro vom Spielleiter, die dann zu gleichen Teilen aufgeteilt werden, ansonsten wurde das eingezahlte Geld durch 6 geteilt und verteilt. Die Besonderheit besteht nun darin, dass keiner wusste, ob bzw. wie viel die anderen einzahlen. D.h., wer einzahlte, ging das Risiko ein, dass er ein Teil seines Geldes verliert, wer nicht einzahlte, konnte nichts verlieren, konnte aber von der Einzahlung der anderen profitieren und hat verhindert, dass die Gruppe als Ganze profitierte. Wenn nun die „Trittbrettfahrer“ vom Leiter des Experiments aufgedeckt wurden, hat sich herausgestellt, dass die meisten „Einzahler“ den Wunsch hatten, diese zu bestrafen, und zwar auch dann, wenn sie selbst dafür zahlen mussten und das Spiel danach endet, sie also nicht von einer möglichen Abschreckungswirkung profitieren konnten.

Die Ergebnisse anderer Studien, in denen Probanden bestimmte Szenarien beurteilen mussten, in denen ein Mensch einem anderen Schaden zufügt, deuten zudem darauf hin, dass auch unbeteiligte Dritte das Bedürfnis haben, sich unkooperativ oder schädlich verhaltende Personen zu bestrafen. In diesen Studien waren die Probanden also nicht die Geschädigten und sie waren auch nicht aufgefordert zu überlegen, wie sie reagieren würden, wenn sie selbst die Geschädigten wären. Es stellte sich heraus, dass die Probanden grundsätzlich sowohl den Vergeltungs- als auch den (zukunftsorientierten) Abschreckungsgedanken für richtig hielten. Interessanter Weise stellten die Probanden jedoch, obgleich sie beide Strafzwecke als Motive benannten, in der Strafzumessung fast ausschließlich auf Faktoren (z.B. Schwere des Delikts) ab, die für die Vergeltung von Belang waren, und weniger auf Faktoren, die für die Abschreckung entscheidend waren (z.B. die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden). Auch die psychologische Forschung deutet also darauf hin, dass zumindest unbewusst für Strafe und für die Höhe bzw. Härte der Strafe in erster Linie der Vergeltungsgedanke eine Rolle spielt, auch wenn bewusst z.B. die Abschreckung als höherwertiger Strafzweck genannt wird. Insgesamt spricht damit einiges dafür (ohne dass dies jedoch eindeutig geklärt wäre), dass sowohl die Opfer als auch die Gesellschaft (im Sinne außenstehender Unbeteiligter) verlangen, dass vergolten und tatangemessen bestraft wird. Der Wunsch nach Vergeltung scheint ubiquitär zu sein, und wer sich selbst hinterfragt, wird feststellen müssen, dass sich zumindest der Wunsch nach Rache (auch wenn er nicht ausgelebt wird) kaum leugnen lässt. Die Umfragen zur öffentlichen Befürwortung der Todesstrafe in Deutschland fallen ganz unterschiedlich aus, zur Zeit scheint keine Mehrheit dafür in Sicht. In Zeiten des RAF-Terrors allerdings lag die Befürwortung der Todesstrafe bei deutlich über 40 %!


Zu 2:

Wenn es nun ernstzunehmende Hinweise gäbe, dass die große Mehrheit der Gesellschaft härtere Strafen bis hin zur Todesstrafe fordert, ließe sich ein auch nur teilweiser Verzicht auf solche Vergeltung dann mit dem Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 GG vereinbaren? Gegen diesen Einwand sprechen vor allem zwei Argumente: Es ist erstens keineswegs geklärt, ob auch eine weit möglichst über die Ursachen straffälligen Verhaltens und die Umstände, Kosten und Folgen von Vergeltung aufgeklärte Mehrheit darauf bestehen würde. Nur auf eine solchermaßen aufgeklärte Mehrheit wird man sich jedoch legitimer Weise unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 2 GG berufen können. Alles andere wäre eine Missbrauch des Demokratieprinzips zur Ausnutzung einer unaufgeklärten und manipulierten Mehrheit für undemokratische Zwecke. Zweitens nimmt in einer wirklich demokratischen Gemeinschaft jeder Bürger als gleicher Partner an dieser Gemeinschaft teil, was mehr als nur das gleiche Wahlrecht einschließt (Dworkin: Gerechtigkeit für Igel, 2012, 19). Es gehört auch dazu, dass alle eine gleiche Stimme und einen gleichen Anteil am Ergebnis haben (Dworkin 2012, 20). Die Demokratie selbst verlangt also den Schutz der individuellen Rechte auf Gerechtigkeit (Dworkin 2012, 20). Eine auf Mehrheitsentscheidung beruhende ungerechte Maßnahme wäre damit undemokratisch. Gerechte staatliche Maßnahmen oder Institute müssten das Schicksal aller ihr unterstehenden Personen gleichermaßen berücksichtigen (Dworkin 2012, 15). Die Frage, inwieweit unser auf einer (mutmaßlichen) Mehrheitsentscheidung beruhendes Strafrecht die Interessen der Täter und der (künftigen) Opfer und aller Gesellschaftsmitglieder berücksichtigt und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringt, ist also untrennbar mit der Frage verbunden, inwieweit unser Strafrecht demokratisch legitimiert ist. Eine bloße Mehrheitsgrundlage reicht dafür nicht aus. Dass die Todesstrafe beispielsweise nicht zur Reduzierung schwerster Gewaltstraftaten beiträgt, ist ausreichend belegt. Es scheint im Gegenteil eher so zu sein, dass sie zu einer gesellschaftlichen Verrohung und einer Zunahme von Gewalttaten beiträgt. Nicht demokratisch zu rechtfertigen sind daher Vorschläge, Strafrahmen maßgeblich an Vergeltungswünschen der Allgemeinheit zu orientieren (so aber Walter: Jenseits der Rache. Warum Gesellschaft und Justiz Vergeltung brauchen, http://www.zeit.de/2011/51/Strafjustiz). Gleiches gilt für Aktionen wie die der englischen Regierung, die eine Webseite freigeschaltet hat, auf der Bürger ihre Meinung zur strafrechtlichen Ahndung von Hunde-Attacken kundtun konnten. Gefragt wurde unter anderem, welches maximale Strafmaß für Hundehalter die Bürger für welche Form von Attacke als angemessen empfinden. Bei Verletzungen eines Menschen durch Bisse gingen die Vorschläge der Regierung bis zu zehn Jahren, beim Tod eines Menschen von sieben Jahren bis zulebenslang. Ergebnisse dieser Umfrage sind bislang, möglicherweise aus gutem Grunde, nicht bekannt.


Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Mehrheit der Menschen in westlichen Gesellschaften wohl eine rein rückwärtsorientierte Vergeltung von schuldhaften Schädigungen fordert. Eine Orientierung von Höhe und Art der Vergeltung aber unmittelbar an den Vorstellungen der Mehrheit könnte in schwierigen Zeiten massive zivilisatorische Rückschritte zur Folge haben und dem Demokratieprinzip gerade widersprechen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden