Durch die Nacht mit

Leuchten „Der Bunker“ macht zusammen mit anderen Filmen wie "Toni Erdmann" Hoffnung auf ein neues Genre: „New German Fantastik Cinema“
Ausgabe 30/2016

Gibt es das noch? Studenten, die sich bei Familien in karge Stuben einmieten, um dort mangels Prokrastinationsangebot konzentriert an universitären Herausforderungen zu knobeln? Auf diese Weise jedenfalls kommt „der Student“ (Pit Bukowski) bei der Familie unter, deren schmieriger Schnauzbartvater (David Scheller) und phlegmatische Mutter (Oona von Maydell) mit dem achtjährigen Sohn Klaus, der einzigen Figur mit einem Namen (in seiner Krötenhaftigkeit höchst irritierend gespielt vom über 30-jährigen Daniel Fripan), in der Weltabgeschiedenheit eines eingeschneiten Bunkers an einem Neurosengewebe stricken.

In dieser puppenstubenhaften, trotz Breitbildformat klaus(!)trophobischen Psychowelt ist der Student fortan gefangen. Zum Ausgleich für die in Anspruch genommenen Leistungen soll er Klaus am Nektar seines Wissens teilhaben lassen. Denn mit ihrem Sohn haben die Eltern viel vor: Mindestens Präsident von Machiavelli’schem Format soll Klaus der Kleinbürger-Allmachtsfantasie zufolge werden. Doch dem künftigen Machthaber mangelt es schon an der intellektuellen Mindestbegabung, sich die Hauptstadt von Frankreich zu merken. Das Projekt geht schief – die ödipal strukturierte Psychodynamik nimmt, einmal angestupst, ihren Lauf.

Der titelstiftende Bunker aus dem verblüffenderweise von Lindenstraße-Mastermind Hans W. Geißendörfer produzierten Langfilmdebüt von Nikias Chryssos, das nach einem Run von Berlinale über Fantasy-Filmfest bis Kinostart nun auf Heimkinomedien vorliegt – dieser Bunker also stellt eine hermetisch abgeschlossene Zeitkapsel dar, in der etwas von der alten Bundesrepublik, aber auch aus tiefer liegenden Sedimenten unter einer Schicht Schnee überwintert. Als wären die Nierentischjahre eingefroren, als hätte sich Ekel Alfred bei David Lynch infiziert. Fix-und-Foxi-Beschaulichkeit gone wild, Märchenbuch-Irrsinn im Schweinsgalopp.

Ein ästhetisches Ausstattungsprojekt zur Bergung von Mentalitätsschrott, wie es Ausnahmeregisseur Wenzel Storch nicht unähnlich betreibt. Doch wo dieser im Keller der BRD-Alltagskultur in liebevoller Zuwendung wühlt, herrscht bei Chryssos ein paranoischer Albdruck vor. Und wo Storchs Undergroundkino eine selbstgebastelte Welt entstehen lässt, zielt Chryssos in Inszenierung und Ausstattung auf Anschlussfähigkeit zum internationalen Post-Genrefilm, in dem die Grenzen zwischen Horrorkino und Filmkunst verwischen. Der Bunker mag Restbestände provinzieller, unter dem Firnis heutiger linksliberaler BRD-Befindlichkeiten vielleicht noch immer schlummernder Mentalität verhandeln – ganz im Sinn des BRD-Noir-Projekts, das Philipp Felsch jüngst anhand von Frank Witzels Buchpreisroman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manischdepressiven Teenager im Sommer 1969 identifiziert hat. Selbst provinziell ist Der Bunker allerdings nicht.

Sexy Mischung

Damit steht Chryssos’ Film im losen Kontakt zu einigen anderen jüngeren, im Festivalkontext auffällig erfolgreichen Produktionen. Nicht erst Maren Ades Film Toni Erdmann hat das hiesige Kino wieder interessant gemacht. Vielmehr zeichnet sich an den Rändern der Produktion ein junges, künstlerisch ambitioniertes Kino ab, das sich im Reservoir des fantastischen Films bedient, dabei vor dessen düsteren Implikationen nicht zurückschreckt, ohne sich bloß naiven Träumen einer deutschen Genrefilm-Renaissance hinzugeben.

Als „New German Fantastik Cinema“ hat der unter dem Künstlernamen AKIZ arbeitende Achim Bornhak seinen Nachtmahr beworben. Für dieses Label könnte man Till Kleinerts an der Berliner Deutschen Film- und Fernsehakademie entstandenen Der Samurai (2014) als Ausgangspunkt fassen. Darin jagt ein junger, von der Bevölkerung gegängelter Dorfpolizist einen in Frauenkleidern marodierenden Samurai durch die märchenhaft illuminierten Wälder Brandenburgs, um in seinem Gegenüber schließlich die Manifestation seines eigenen queeren Begehrens zu erkennen.

Für Aufsehen sorgten zuletzt Nicolette Krebitz’ Film Wild, der eine entfremdete, verhuschte Frau zärtlich dabei beobachtet, wie sie eine Beziehung zu einem Wolf aufbaut. Den holt sie sich in die Wohnung, um selbst glückselig zu verwildern – eine von den Verschlingungsimaginationen deutscher Märchen sanft informierte Meditation über die Tristesse der Arbeitswelt, die sich in eine romantische Befreiungsfantasie rettet. Und eben AKIZ’ rauschhafte Berliner Nachtlebenfantasie Der Nachtmahr, in dem eine junge Frau von einem Gnom heimgesucht wird, zu dem sie nach Vorbild von Spielbergs E.T. eine mentale Verbindung unterhält, wenn er nicht sogar aus dem Unterholz ihres Bewusstseins in die Welt gekommen ist.

Über den Aufgriff bloß generischer Versatzstücke weisen diese Filme allesamt hinaus. Sie verbinden vielmehr Facetten und allegorisch Potenziale des Genrekinos mit einer ausgeprägten Sensibilität dafür, an welchem Ort, in welcher Zeit und in welcher Gesellschaft sie entstanden sind, aus welchem Teig an Mentalitäten sie also schöpfen. Dem biederen Professionalismus zäher deutscher hervorragend ausgeleuchteter Konfektionsware setzen sie Wagemut, Überschuss und die Lust am uneindeutigen Bild entgegen, ohne stumpf Urständ zu feiern.

Mit einem Mal ist da also eine sexy Mischung aus Transgression und ästhetischer Präzision, die Hoffnung auf weitere Arbeiten macht. Am Ende von AKIZ’ Film steht eine nächtliche Fahrt auf dem Lost Highway mit dem Nachtmahr am Steuer. Vielleicht ein gutes Bild für dieses neue, am Rande des hiesigen Betriebs entstehende Sumpfblütenkino.

Info

Der Bunker Nikias Chryssos Deutschland 2015, 85 Minuten (bei Bildstörung auf DVD und Blu-Ray erschienen, circa 20 Euro)

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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