Wer sich in den späten 1990er, den frühen 2000er Jahren in den Nebensektionen der Berlinale für asiatisches Kino interessierte, hat die verschmitzte Begrüßungsformel „Hallo, ich bin Sabu, das Genie“ vielleicht das eine oder andere Mal nach einer Filmvorführung gehört. Der japanische Nachwuchsregisseur, der sich kokett eine Position im Film-Pantheon bescheinigte, heißt eigentlich Hiroyuki Tanaka und sorgte damals mit einer Reihe toll durchgeknallter Filme für Aufsehen: Mit Dangan Runner (der im Verdacht steht, Tom Tykwers Lola rennt inspiriert zu haben), Postman Blues und Monday formulierte er sein Programm eines Bewegungskinos, in dem „kleine Leute“ unversehens in haarsträubende Situationen geraten.
Schnelle, wendige,
Situationen geraten.Schnelle, wendige, eskalative, auf handlichem 16mm-Material gedrehte Filme waren das, die Figuren wie Publikum wenig Verschnaufpause gönnten und erheblichen Reiz aus den Zentrifugalkräften des Absurden bezogen: In Postman Blues gerät ein Briefzusteller in den Verdacht, ein Terrorist zu sein. In Monday erwacht ein kleiner Büroangestellter mit schwerem Kater in einem Hotelzimmer, nur um festzustellen, dass das Gebäude militärisch umstellt ist – seinetwegen.Kurz: In Sabus Filmen musste man stets mit allem rechnen – mit bizarren Wendungen, überraschenden Volten, aber auch mit unvorhergesehenen Registerwechseln im Tonfall, wenn etwa ein Exzess aufrichtiger Sentimentalität jene grenz-sadistische Strukturmechanik, durch die Sabu seine Figuren jagt, im Nu hinwegfegt. Unzweifelhaft ist Sabu ein Kind des postmodernen Kino-Zynismus der 1990er – doch ebenso unzweifelhaft versucht er stets, diesem gefühlsskeptischen Kino-Entwurf warme Mitmenschlichkeit unterzuheben.Filme folgten, die einerseits den Abrieb des Konzepts, andererseits eine Professionalisierung in Richtung Arthouse offenlegten, was man einem verdienten, mit gesundem Selbstvertrauen gesegneten Underdog-Regisseur aus Gründen biografischer Gerechtigkeit zwar durchaus wünschen kann, was aber von der Kunst her gesehen oft nicht mehr viel hergibt. So blieb Sabus Debüt im Berlinale-Wettbewerb 2015, Chasuke’s Journey, enttäuschend.Töpfern statt TötenEbenfalls im Wettbewerb lief in diesem Jahr Mr. Long, den nun der Kölner Verleiher Rapid Eye Movies, seit langem treuer Weggefährte Sabus, in die Kinos bringt. Der Film beginnt wie ein typischer Yakuza-Noir im globalisierten 21. Jahrhundert: Hart digitale Neonlicht-Nachtaufnahmen eines in spätkapitalistischem Glanz erstrahlenden Tokio, schwere Jungs bewachen sensible Ware und hauen sich wüste Anekdoten um die Ohren, bis der Messer schwingende taiwanesische Auftragskiller Mr. Long (Chen Chang, zuletzt in Hou Hsiao-Hsiens The Assassin) buchstäblich von hinten durch die Brust die Szenerie betritt.Ein weiterer Job in einem dekadenten Nachtclub allerdings schlägt fehl: Nach einer – fantastisch inszenierten – Auseinandersetzung in der Schwärze der Nacht flieht Long schwer verletzt in eine desolat verfallene Vorstadtsiedlung, in deren Trümmern er auf die drogensüchtige Lily (Yiti Yao) und deren Sohn Kenji (Sho Aoyagi) trifft. Erstere heilt er von der Sucht, für Letzteren wird er zur Vaterfigur. Und da er verdammt gut kochen kann, wird rasch die Bevölkerung in den nahegelegenen Siedlungen auf ihn aufmerksam, die ihr kulinarisches Glück nicht fassen kann und dem ausländischen Auftragskiller aus blankem Überschwang heraus prompt Anschubhilfe für eine Karriere als Straßenkoch leistet.Wie gesagt, bei Sabu muss man mit allem rechnen – auch damit, dass ein Yakuza-Thriller, der anfangs noch eine japanische Variation auf Melvilles Eiskalten Engel in Aussicht stellt, sich zum Kandidaten für Kosslicks kulinarisches Kino mausert. Trieb Sabu in früheren Filmen beschauliche Situationen ins filmisch Entgrenzte, geht es in Mr. Long genau umgekehrt darum, eine zugespitzte Kino-Standardsituation in Alltäglichkeit zu entschleunigen – gemeinsame, von sanftem Klavier-Klingklang unterlegte Ausflüge der neuen Quasi-Familie zum Töpferkurs und Nachmittage auf dem Baseball-Feld inklusive.Er wollte einen Film über einen Menschen drehen, der seinen menschlichen Kern wiederentdeckt, hat Sabu in einem Berlinale-Gespräch erklärt. Fotografiert ist das insbesondere in der ersten Hälfte als filmischer Stillstand in zerstörten Lebenswelten mitunter virtuos (Kamera: Kôichi Furuya) – doch zieht sich insbesondere die Wiederentdeckung des kleinen Lebensglücks spürbar länglich hin (Laufzeit: 129 Minuten), ohne dass es dabei etwa gelingt, die Schilderung des Banalen filmisch zu transzendieren oder dem japanischen Genre des shomingeki anzunähern, dem Alltagsfilm, in dem Yasujiro Ozu Meisterleistungen vollbrachte.Wenig überraschend von langer Hand angekündigt ist, dass das Töpfer- und Baseball-Glück nur kurze Dauer hat: Lilys Schicksal ist ebenfalls mit Longs Häschern verbandelt, was in die Katastrophe mündet. Noch einmal muss Long mit seinem Messer Menschenkörper statt Gemüse bearbeiten – der weiße Pulli wird als Leinwand für das Gemetzel vielsagend blutig rot. Ein abgeschmacktes Stilmittel, ähnlich wie die Binse, dass, wer ein Leben für die Gewalt führt, von der Gewalt auf ewig heimgesucht wird. Dass Sabu, als Meister filmischer Überraschungen, sich auf so ein überraschungsarmes Ende einlässt, ist am Ende dann doch eine Überraschung.Placeholder infobox-1