Frauen, schnaubt lauter!

Feminismus Rebecca Solnit ist die Analystin des untergebutterten Geschlechts: Ihre Essays wissen vieles besser als die Besserwissermänner
Ausgabe 04/2018

Eigentlich sollte Rebecca Solnit mit ihrem neuen Buch durch Deutschland reisen. Ein Interview war angefragt, doch dann kommt die Absage vom Verlag. Solnit befände sich in Nepal, man wisse nicht, wie lange. Um etwas über Amerikas Star-Feministin zu lernen, bleibt man also vorerst auf ihre Bücher angewiesen. Und natürlich auf das Internet, in dem Solnit längst eine Ikone ist.

Seit ihrem Essay Wenn Männer mir die Welt erklären von 2014 gilt Solnit als die prominente feministische Stimme in den USA. Sie erzählt darin, wie ihr der Gastgeber einer Party den Inhalt eines Buchs vorträgt, ein „ausgesprochen wichtiges Buch“, deren Autorin sie kurioserweise selbst ist. Der Gastgeber kann sich das aber offenbar nicht vorstellen. „Männer erklären mir die Welt, mir und anderen Frauen, ob sie nun wissen, wovon sie reden, oder nicht“, erinnert sich Solnit Jahre später an dieses Erlebnis. Weil sie „jeder Frau auf jedem Gebiet“ das Leben erschwerten und „zugleich das durch nichts gestützte überzogene Selbstvertrauen der Männer“ stärkten, seien jene Exemplare der Selbstherrlichkeit wahre „Zivilisationshindernisse“. Der Text verbreitete sich im Netz, unter dem Hashtag #mansplaining berichteten Tausende Frauen Ähnliches. Über Nacht wurde Solnit zur feministischen Ikone.

In Die Mutter aller Fragen beschreibt sie ein ähnliches Erlebnis, das vielleicht auch erklärt, warum Solnit lieber Nepal bereist, als auf Buchtournee zu gehen. Vor gut zehn Jahren war sie in Großbritannien und wurde bei einem Gespräch von ihrem männlichen Gegenüber plötzlich mit der Frage konfrontiert, warum sie keine Kinder habe. Hinter seiner Annahme, dass die Mutterschaft ein zentrales Merkmal ihrer weiblichen Identität sein müsse, stecke die irrtümliche Annahme, „dass sich nur über Kinder die eigene Liebesfähigkeit befriedigen lässt“, schreibt Solnit. „Er schien der Ansicht zu sein, dass ich Kinder haben müsse und dass es vollkommen unverständlich sei, warum ich keine hatte, weswegen wir eher darüber sprechen müssten, warum ich denn keine hätte, als über die Bücher, die ich ja immerhin hatte.“

Zwischen Woolf und Thoreau

Zwanzig Bücher hat die in San Francisco lebende Autorin seit 1990 geschrieben, darunter eine kulturgeschichtliche Erkundung der Wanderlust (erscheint im März 2018 bei Matthes & Seitz), ein Buch über den Abschied von ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter (Aus der nahen Ferne) oder eine Enzyklopädie des Ärgers und der Weite, in der sie Essays über hungrige Polarbären und atomare Unfälle in Japan versammelt. Beeinflusst von Virginia Woolf und Henry David Thoreau wechselt sie schreibend zwischen Natur und Kultur, Landschaft und Gesellschaft. Ihre Autorschaft mündet im Engagement und umgekehrt. Solnit ist nicht nur eine Ikone der amerikanischen Umweltbewegung, sondern auch eine der brillantesten Vordenkerinnen, wenn es um Menschenrechte geht.

Während junge Feministinnen wie Laurie Penny vor allem in ihrer Generation Resonanz finden, gelingt es Solnit, sowohl ältere als auch jüngere Leser zu erreichen. Die 56-Jährige scheint immer wieder bereit, ihre eigenen Unsicherheiten zu thematisieren, sich selbst und ihre Generation zu hinterfragen. Der Abhang, auf dem die Stellung der Frau in unseren Gesellschaften verhandelt wird, ist in ihren Augen steil und rutschig. „Ein Mann handelt in dem Glauben, du hättest kein Recht zu sprechen und dürftest nicht definieren, was vor sich geht. Das kann sich schlicht darin äußern, dass dir beim Abendessen auf der Konferenz das Wort abgeschnitten wird. Es kann aber auch heißen, dass dir jemand den Mund verbietet, du bedroht wirst, wenn du den Mund aufmachst, oder dass du für deine Äußerung geschlagen oder umgebracht wirst, damit du für immer schweigst.“

Dass Sätze wie dieser beim Autor dieses Textes nicht für empörtes Schnauben sorgen, liegt zum einen daran, dass er glaubt, dass es noch ausreichend Exemplare seines Geschlechts gibt, auf die diese Charakterisierung zutrifft. Die selbst ernannte Krönung der Schöpfung tendiert eben noch mehrheitlich dazu, sich in der eigenen Dominanz zu sonnen, statt sie zugunsten einer gerechten Gesellschaft zu hinterfragen. Das mag sich perspektivisch ändern, dazu braucht es aber das Umdenken anstoßende Texte wie den zitierten. Zum anderen geben derlei Ausschnitte nur begrenzt Solnits Argumentation wieder. Denn immer wieder betont sie die Verpflichtung, zu differenzieren und genau hinzusehen. Zugleich fordern solche Aussagen natürlich zur Selbstbefragung heraus: Höre ich Frauen genauso zu wie Männern? Gebe ich ihren Argumenten genauso viel Raum wie meinen eigenen? Warum reagiere ich bei Debatten über die gesellschaftliche Position von Frauen weniger emotional als meine weiblichen Zeitgenossinnen? Und ist das wirklich eine Stärke? Die Antworten auf diese Fragen fallen von Mann zu Mann verschieden aus, entscheidend ist, dass Männer sich ihnen stellen.

Es ist das auferlegte Schweigen, auf das Solnit in ihren Schriften immer wieder zurückkommt, das ihrer Ansicht nach auf der ungleichen Verteilung von Macht beruht und verbunden ist mit Scham, Demütigung, Ausschluss, Diskreditierung und Drohung. Warum das funktioniert? Weil den Opfern zu glauben bedeute, grundlegende Annahmen in Zweifel zu ziehen. Der Fall Harvey Weinstein stützt diese These. Jahrzehntelang konnte der Produzent seine Macht missbrauchen. Nun wurde das Schweigekartell unter dem Hashtag #metoo gebrochen. Dass allein damit das Problem der Machtverhältnisse noch nicht gelöst ist, macht Solnit deutlich. Sie fordert die Transformation des feministischen Diskurses und treibt sie zugleich mit voran, etwa wenn sie die Literatur in den Blick nimmt und erklärt, dass „die besten 80 Bücher, die Männer lesen sollten“, im Kern vermitteln, dass Frauen „nichts als Dreck“ seien. Denn: „Kunst gestaltet die Welt, Kunst ist relevant, Kunst macht uns. Oder bricht uns.“

Die Mutter aller Fragen Rebecca Solnit Kirsten Riesselmann (Übers.), Hoffmann und Campe 2017, 320 S., 18 €

Wenn Männer mir die Welt erklären Rebecca Solnit Kathrin Razum Bettina Münch (Übers.), Hoffmann und Campe 2017, 220 S., 18 €

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