Im Reich der Panther: Teju Coles Essayband „Black Paper“
Black Empowerment Der Kulturkritiker Teju Cole gehört zu den wichtigsten Intellektuellen Amerikas. Sein jüngster Essayband „Black Paper“ führt von berühmten Existenzen zu denen, die niemand kennt
„Undeutlich, ungesehen und im Dunkeln zu bleiben“ gilt Cole als Menschenrecht
Foto: Billy Barraclough
Selbst Statistiker arbeiten mit dem Gegensatz von Hell und Dunkel. Während im Hellfeld das liegt, was mit Zahlen, Daten und Fakten bis ins Letzte belegt werden kann, verbirgt sich hinter der Dunkelziffer oder dem Dunkelfeld der Graubereich, zu dem keine oder nur zu wenige Informationen vorliegen. Es ist nicht so, als könnte man diesen Schattenbereich des Daseins nicht beleuchten, ihm wird schlicht zu wenig Beachtung geschenkt.
Der italienische Maler Caravaggio war ein unangefochtener Meister des Chiaroscuro. Für dieses ins Auge springende Spiel mit Licht und Schatten interessiert sich Teju Cole seit Jahrzehnten. Erstmals stieß er in der elterlichen Bibliothek auf Caravaggios Kunst. Jahrzehnte später reiste er durch Südeuropa, um dessen Meisterwerke endlich im O
dlich im Original zu bestaunen. In dem seinen Essayband eröffnenden Text Wie Caravaggio erzählt Cole von dieser Reise, aber auch vom Leben des Malers selbst, der aufgrund seines feurigen Charakters zeit seines Lebens auf der Flucht war.Caravaggios Kunst und das Motiv der Flucht laufen in Coles Reflexion lange Zeit parallel, bis sie sich in Sizilien kreuzen. In Syrakus stößt der weltgewandte Kunsthistoriker auf einige Migrierte, die nach der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer in der Stadt gestrandet sind. Ein junger Mann aus Gambia begleitet Cole schließlich in die Kirche, in der Caravaggios Begräbnis der Heiligen Lucia den Altar schmückt. „Wir sahen uns das Bild eine Weile gemeinsam an, dann verließen wir die Kirche. Draußen schienen D.s Augen von Verwunderung erfüllt zu sein, sowohl von Caravaggio, wie ich annahm, als auch von mir, diesem seltsamen westafrikanischen Nachbarn, der aus dem Nichts auftauchte und merkwürdige Fragen stellte.“Die Verwunderung, die hier unterstellt wird, stellt sich auch bei der Lektüre der von Uda Strätling und Anna Jäger sensibel übersetzten Essays des amerikanischen Schriftstellers, Kulturwissenschaftlers und Fotografen Teju Cole ein. Diese erzählen von der Hilfe, „die ich bei denen gesucht und gefunden habe, die fotografieren, dichten, malen, komponieren, übersetzen, reisen, trauern und um die Weisheit wissen, die im Dunkeln liegt“, heißt es im Vorwort zu Black Paper.Von Aretha Franklin, W.G. Sebald, Bisi Silva bis Okwui EnwezorSie handeln von James Joyce, Aretha Franklin, Tomas Tranströmer, Toni Morrison, W.G. Sebald, Edward Said, Okwui Enwezor, Bisi Silva oder Kerry James Marshall und davon, wie ihr Schaffen Coles Blick auf die Welt prägt. Das Spiel mit Hell und Dunkel zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Texte. Angewandt auf Kunst, Literatur und Fotografie fragt der Schriftsteller, welche verborgenen Existenzen unter Farbschichten, hinter Texten und im Schatten von Fotografien liegen. Vom Hellfeld konkreter Objekte geht sein Blick in die Tiefe, um die Geschichten zu erzählen, die verborgen unter dem Offensichtlichen liegen. Der Weg vom Glanz der europäischen Hochkultur zur düsteren Realität von Europas Flüchtlingspolitik ist da ein kurzer.Cole, 1975 in Michigan als Sohn nigerianischer Eltern geboren, wuchs in Lagos auf. Anfang der 1990er ging er zum Studium zurück in die USA. Mit den Romanen Open City und Jeder Tag gehört dem Dieb hat er sich in den Kanon der amerikanischen Literatur eingeschrieben. Seine Fotografien werden weltweit in Galerien gezeigt, seine kulturkritischen Interventionen erscheinen in der New York Times und im New Yorker. Längst ist er einer von Amerikas wichtigsten Intellektuellen.Blinder Fleck (der Freitag 26/2018)lautet der Titel eines vor Jahren erschienenen Text-Bild-Essays, in dem Cole nach einer vorübergehenden Erblindung das Verhältnis von Körper und sichtbarer Welt erkundete. Sein neues Buch ist gewissermaßen eine Fortschreibung dessen. Eine Schule des Sehens und Hinsehens, des Hörens und Einhörens in eine Weltgeschichte, die uns so beständig um die Ohren pfeift, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Black Paper ist eine ebenso emotionale wie empathische Archäologie der Welt, die Orientierung im Dunkeln bieten will.„Alle schwarzen Panther und Black Panther sind schwarz, schwarz wie die Nacht und Schwarz wie ich.“Das Dunkel kann auch Schutzraum sein, wie Cole anhand der kolonialen Fotografie zeigt. In der Hand der Eroberer wird die Kamera nicht zum Zeugen von Machtmissbrauch, sondern zum Tatwerkzeug, weil sie Menschen wie Trophäen aus- und zur Schau stellt. Aber nicht alles will gesehen werden. „Zu den Menschenrechten gehört auch das Recht, undeutlich, ungesehen und im Dunkeln zu bleiben.“Die schmerzhafte Gleichzeitigkeit von Macht und Unterdrückung klagt Cole auch an anderer Stelle an. Mit Bezug auf Edward Said empört er sich über das Schweigen, das über die Gewalt im Nahen Osten herrscht. Es müsse aber „möglich und notwendig und unerlässlich“ sein, „sich entschieden gegen Antisemitismus zu stellen und gleichzeitig das Leid der palästinensischen Bevölkerung anzuerkennen und alles dafür zu tun, um diesem Leid ein Ende zu bereiten“. Zeugen/innen- und (Mit)Täter/innenschaft sind für ihn in einer Wahlverwandtschaft verbunden.„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, bist du nicht nah genug dran“, soll Magnum-Mitbegründer Robert Capa mal gesagt haben. Cole geht immer wieder ganz nah an seine Objekte ran. Das funktioniert auf den längeren Strecken besser als in den kurzen Texten, weil er da Bezüge zum eigenen (Er)Leben einflicht. Der Essay Wie schwarz ist der Panther? ist so ein Beispiel augenöffnender Kulturkritik, in der er ausgehend von der eigenen Faszination für die geschmeidige Raubkatze über ihre kulturelle Bedeutung nachdenkt. Wie er dabei in Rilkes Gedicht Der Panther das nicht intendierte, aber anwesende Bild der „hinter tausend Stäben“ ausgestellten Sklaven aufscheinen lässt und von dort über die revolutionäre politische Bewegung bis hin zu Ryan Cooglers Black-Panther-Verfilmung die Geschichte einer noch unvollendeten, aber kraftvollen Emanzipation schreibt, ist einfach grandios. „Alle schwarzen Panther und Black Panther sind schwarz, schwarz wie die Nacht und Schwarz wie ich.“Das Reich der Panther liegt im Dunkeln. Teju Coles Texte bringen Licht in diese mythische Zone, wo das Leben vielsagende Schatten wirft.Placeholder infobox-1