Dumm

Linksbündig Von der linken Unfähigkeit, mit Abtrünnigen umzugehen

Erinnert sich niemand mehr daran, mit welcher gespielter Empörung und Anmaßung die Parteien, die sich selbst als demokratisch deklarierten, in den Jahren des Kalten Krieges ihre Überlegenheit gegenüber den Kommunistischen Parteien versicherten, in denen Parteidisziplin und Fraktionsverbot herrschte und ausgeschlossen wurde, wer von der Parteilinie abwich? Weit her scheint es bei der Sozialdemokratie mit der innerparteilichen Demokratie nicht zu sein. Ob man den Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement lieber nicht aus der Partei ausschließen solle, ist offen gestanden nicht das Problem derer, denen an einer sozialen Politik gelegen ist. Für sie war dieser Mann ohnedies niemals satisfaktionsfähig. Aber selbst jenen, die Clement für einen Sozialdemokraten halten, muss einleuchten: Wenn einer öffentlich von der Wahl der eigenen Partei abrät, ist genau besehen die Schmerzgrenze erreicht, nicht nur für eine SPD.

Anders verhält sich die Sache mit Andrea Ypsilanti, die ihren Gegner in der eigenen Partei so unkontrolliert reagieren ließ. Auch sie kann bekanntlich nicht mit ihren Genossen rechnen. Gerne akzeptierten wir, dass es die Furcht vor dem Verlust an Glaubwürdigkeit, der Bruch einer Wahlaussage sei, was Ypsilantis Ankläger auf die Palme treibt, wenn die SPD jeden Politiker, der nach der Wahl anders handelt als er es zuvor versprochen hat, aus der Partei ausschlösse. Dann aber hätte es kaum einen sozialdemokratischen Regierungschef gegeben, jedenfalls keinen mit Namen Tony Blair, Gerhard Schröder oder Alfred Gusenbauer.

Nein, so recht glaubwürdig ist dieser plötzlich erwachte moralische Eifer nicht. Nicht der Verlust an Glaubwürdigkeit treibt Ypsilantis Gegner um, sondern die Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen aus der bürgerlichen Mitte, von der sich die SPD seit Jahren das Heil erhofft. Eine Koalition mit den Konservativen auch dort, wo eine sozialdemokratische Partei sie vor den Wahlen ausgeschlossen hat, wird hingenommen. Nicht aber auch nur die geringste Annäherung an eine (immerhin vom Wähler legitimierte) Linke. Panik ergreift große Teile der Partei angesichts der dramatisch sinkenden Sympathiewerte, wenn sie links von sich eine Alternative sehen, die sie an ihre eigene Vergangenheit erinnert. Immerhin lehrt die Geschichte etwa Frankreichs oder Italiens, das linkssozialistische Parteien nicht einflusslos bleiben müssen. Darum erkennen selbst angeblich dem linken Flügel angehörende SPD-Funktionäre in dem "Renegaten" Oskar Lafontaine den Gottseibeiuns und dulden sie zugleich die Mitglieder des Seeheimer Kreises, dessen Äußerungen sich auch mit den minimalsten Unverzichtbarkeiten eines sozialdemokratischen Selbstverständnisses nicht vereinbaren lassen.

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Heiner Geißler, wäre er Mitglied der SPD, wegen Linksabweichung aus dieser ausgeschlossen würde. Die CDU verkraftet ihn, trotz Mitgliedschaft bei Attac, und sie kann sich ins Fäustchen lachen, wenn sich ihr als Partner verkleideter einziger ernst zu nehmender Konkurrent in der Tschistka der eigenen Reihen aufreibt.

Die SPD ähnelt den Parteien leninistischen Typs mehr, als sie wahrhaben will. Wir erinnern uns noch gut, wie die Mitglieder der DKP, selbst vom (sozialdemokratisch initiierten!) Berufsverbot verfolgt, zu den verweigerten Anstellungen von Maoisten geschwiegen, wie sie deren Ausschluss aus der Gewerkschaft befürwortet haben. Die Dummheit wiederholt sich in der Geschichte, leider nicht immer als Farce. Die Rechnung, es sei etwas dabei zu gewinnen, wenn man sich von jenen, die weiter links stehen, distanziere, wenn man sie isoliere und ausschlösse, geht nicht auf. Es handelt sich hier nicht um Toleranz, sondern um die Tatsache, dass nur die Rechte vom Mangel an innerparteilicher Demokratie bei ihren Gegnern profitiert.

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