Politische und private Katastrophen

Bühne Claus Guth inszeniert Mozarts Oper Cosi fan tutte bei den Salzburger Festspielen: mit Sinn für dessen Formalismus und einem untrüglichen Gespür für die Wahrheit

Welcher vernünftige Mensch würde die Probe auf die Treue, die die Männer mit den Frauen in Mozarts Oper Così fan tutte machen, nicht verurteilen? Das verstellt den Blick auf die Oper aber eher, als dass es ihrem Verständnis diente, wenn man sie mit der Psychologie, der romantischen Liebesauffassung, der christlichen Prüderie und dem bürgerlichen Realismusanspruch des 19. Jahrhunderts überfrachtet.

Zu viel aktualisierende Psychologie verbaut den noch dem 18. Jahrhunderte geschuldeten Formalismus von Mozarts Meisterwerk, und dessen Reiz liegt nicht zuletzt in der Symmetrie als strukturierendem Prinzip. Claus Guth hat es in seiner Neuinszenierung bei den Salzburger Festspielen in einem mit Selbstzitaten gespickten Bühnenbild zum Glück beachtet. Die Mittelachse, der Don Alfonso, ist bei ihm mehr tänzelnder Luzifer als aufgeklärter Sarkastiker mit Realitätssinn. Sein weibliches Gegenstück und seine Verbündete in der Intrige, Despina, trägt hier Jeans, Lederjacke und unterm Arm einen Motorradhelm und bringt ihren Arbeitgeberinnen das Frühstück in der Plastiktüte. Sie muss sich als Arzt nicht und als Notar nur minimal verkleiden, weil die Frage, wieso die neuverliebten Damen sie nicht und noch nicht einmal ihre verkleideten Verlobten erkennen, von Guth als unsinnig begriffen wurde. Und so verrät der Gesang in dieser musikalisch vor allem durch Miah Perssons Fiordiligi erfrischenden Inszenierung die Wahrheit. Wenn Despina den falschen Freiern mitteilt, dass die Frauen bereit seien, sie zu heiraten, und sie fragt, ob sie zufrieden seien, pressen sie ihr knirschendes "contentissimi" durch die Zähne.

Nichts, hört man aus interessierten Kreisen, sei so "out" wie politisches Theater. Ausgerechnet in Salzburg wurde der imponierende Gegenbeweis erbracht, mit der längst kanonisierten "szenischen Aktion" Al gran sole carico d’amore von Luigi Nono. Jürgen Flimms Intimfeind Martin Kušej hat sie 1998 in Stuttgart inszeniert und wurde dafür gerühmt. Dramaturg war damals Klaus Zehelein, wie 20 Jahre zuvor bei der Frankfurter Inszenierung von Flimm. Zehelein hat auch die Salzburger Version von Katie Mitchell betreut.

Die englische Regisseurin montiert fünf fragmentarische Geschichten von Revolutionärinnen: Louise Michel in der Pariser Commune, die "Mutter" aus Gorkis Roman und Brechts Theaterstück, Deola, eine fiktive Figur von Cesare Pavese, eine Turiner Arbeiterin und Tania Bunke, die Genossin Che Guevaras. Zusammengehalten werden sie durch die dynamisch differenzierten, Kampflieder zitierenden Cluster der über die Breite der Felsenreitschule ansteigend platzierten Wiener Philharmoniker unter Ingo Metzmacher, des Chors und der fünf Soprane.
Die Minimalaktionen, die Schauspielerinnen in fünf minutiös realistisch gebauten Zimmern vollziehen, werden synchron von zahlreichen Videokameras auf eine Riesenfläche übertragen. Das ermöglicht die genaue Wahrnehmung von Mimik und Details, fesselt aber auch den Blick: das projizierte Bild droht, nicht nur wegen des Formats, sondern auch wegen seiner Schönheit, die Bühnenwirklichkeit zu dominieren.

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