Sänger des Abschieds

Valentin Silvestrov Der ukrainische Komponist wird heute 75. Obwohl immer noch relativ unbekannt, ist er einer der individuellsten und bemerkenswertesten Komponisten der Gegenwart.

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Valentin Silvestrov ist der große Außenseiter unter den zeitgenössischen Komponisten. Er scheint immer irgendwo abseits zu stehen, immer sich hinaus schleichen zu wollen. Seine Musik ist eine Musik im Flüster- und Wisperton, der ein gewisses Moment der Beiläufigkeit und des Flüchtigen mit einkomponiert ist.

Das Uneigentliche, scheinbar nur so nebenher laufende seiner Musik, das sich auch in Titeln wie "Postludium" und "Metamusik" ausdrückt, ist jedoch nichts Äußerliches oder Nebensächliches sondern bildet das Zentrum von Silvestrov ästhetischem Kosmos.

Seine Musik ist "Metamusik" in dem Sinne, dass sie in einem Kontext steht, sich in ästhetisch historischer Brechung immer auf etwas bezieht, immer etwas anderes kommentierend mitschwingen lässt. Die Gefahr seine Musik misszuverstehen ist denn auch sehr groß. Leute, die seiner Musik völlig unvorbereitet und ohne Wissen um den Kontext begegnen, könnten sie für sentimental kitschige Neo-Romantik halten, was leider auch immer wieder geschieht.

Ein Schlüsselwerk zum Verständnis Silvestrovs ist das für seine verstorbene Frau geschriebene "Requiem für Larissa". Es vertont den klassischen Requiem Text in fragmentarischer Form. Darin drückt sich einerseits das brüchig-werden einer Welt unter dem Eindruck des Verlustes eines wichtigen Menschen aus. Doch gewinnt dieser persönliche Eindruck für Silvestrov auch eine universelle Bedeutung. Er empfindet auch die moderne Welt als brüchig geworden, seiner gesellschaftlichen und kulturell ästhetischen Bindungskräfte beraubt.

Das Mozart-hafte Zitat, das im Requiem plötzlich wie aus dem nichts auftaucht, ist die Chiffre für eine Erinnerung an eine verlorene Vergangenheit. Und dieser Moment wirkt noch trauriger als das vorausgegangene ukrainische Klagelied. Man empfindet den Verlust hier nicht als subjektiv emotionale Äußerung sondern in einer historisch und gleichzeitig persönlich schicksalhaften Dimension.

So ist im Grunde alle Musik Silvestrovs seitdem Trauermusik. Die Zartheit und Schönheit, an die sich Silvestrov behutsam rantastet, ist Trauerarbeit und der oft rührend verzweifelte Versuch zumindest für wenige Augenblicke eine Harmonie herzustellen, die sich gleichzeitig ihrer Flüchtigkeit und ihres illusionären Charakters vollkommen bewusst ist.

Das erinnert sehr an Franz Schubert, dessen Musik in den letzten Jahren vor seinem Tod auch immer schlichter, immer inniger und immer schönheitssüchtiger wurde. Auch der improvisatorische Ansatz, der sich bei Schubert in Formen von "Impromptus" und "Moments musicaux" und dem weitschweifigen Charakter der Sonatenwerke manifestiert, ist Silvestrovs sich vorantastenden Komponierstil eng verwandt.

Leute, die diesen Kompositionsstil fragwürdig finden, begreifen nicht, dass auch Kunst und Musik so vielgestaltig wie die Welt ist. Planung und handwerkliche Formung sind nur eine Möglichkeit die Welt in Kunst zu bannen. Manchen Dingen kommt man damit nicht auf die Spur. Die Musik Schubert und Silvestrovs erfordert eben jenen flüssigen Aggregatszustand des Schweifens und Suchens.

Silvestrovs Musik ist tatsächlich wohl auch "zeitgenössischer" als viele Musik, die diesen Titel offensiv vor sich herträgt. Der Unterton von Abschied und Kulturmüdigkeit, der bei Silvestrov immer mitschwingt, reflektiert unser Zeitalter wohl wahrhaftiger als die hohl und ziellos gewordene Verheißung der avantgardistischen Grenzüberschreitung.

Einige Stücke nannte Silvestrov "Serenaden", also "Abendmusiken". Bei Silvestrov gewinnt das eine ganz andere Dimension, er besingt die Abenddämmerung einer ganzen kulturhistorischen Epoche.

Diverse Alben mit Musik Silvestrovs sind beim Label ECM New Series erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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