Vampire in Arkadien

Il pastor fido Wie kommt es, dass Alan Balls TV-Serie "True Blood" soviel Ähnlichkeiten mit Händels Oper "Il pastor fido" hat? Kehrt Kultur hier zyklisch wieder?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In diesem Jahr kam, 300 Jahre nach ihrer Uraufführung in London 1712, zum ersten Mal Händels Oper "Il pastor fido" auf CD heraus. Die Oper war Händels zweite Oper für London nach dem spektakulär erfolgreichen Debut mit "Rinaldo" (nach Torquato Tasso) und schon damals eigentlich ein Misserfolg. Nach Händels Tod fiel sie endgültig dem Vergessen anheim.

Dieses Vergessen hatte seine Gründe, war der Stoff, der einer der populärsten und einflussreichsten Stoffe des 16. und 17. Jahrhunderts war, doch zu Händels Zeiten eigentlich schon alt und bereits das x-te Remake. Genau genommen war schon das originale Theaterstück "Il pastor fido" von Giovanni Battista Guarini, das 1590 im Druck erschien, seinerseits ein Remake von Tassos Schäferstück "Aminta" (1573).

Diese literarische Welt, deren gewichtigste Vertreter neben Guarini Ludovico Ariosto und Torquato Tasso waren, verschwand spätestens 1789 hinter einem kulturellen Horizont. Zu sehr war diese Welt mit den gesellschaftlichen, moralischen und ästhetischen Vorstellungen einer aristokratischen Welt verknüpft, die der vermehrt bürgerlichen geprägten Gesellschaft seit der Aufklärung fremd geworden war. Goethe, der durch seine Biographie selbst diesen Übergang von aristokratischer zu bürgerlicher Kultur verkörperte, war einer der letzten, die Ariost und Tasso lebendig rezipierte und schätzte.

Doch auch Kultur verhält sich zyklisch. Was einmal am Horizont verschwand, taucht plötzlich in neuer Form am anderen Horizont wieder auf. Es ist durchaus verblüffend, wie nahe uns dieser Stoff, blickt man durch die historische Patina hindurch, wieder geworden ist.

Wir haben heute wieder einen ähnlichen Grad an Hedonismus und Liberalität erreicht, um an dieser Art von Spiel Geschmack zu finden. Denn anders als der Titel "Der treue Hirte" suggeriert, geht es eben nicht um Treue oder Moral. Mit eine Stoff wie Beethovens "Fidelio" hat diese Geschichte nicht das geringste zu tun. Ganz im Gegenteil.

Im Zentrum der Handlung steht der Hirte Mirtillo (der natürlich, wie sich am Ende herausstellt in Wahrheit das Kind eines Adeligen ist). Er ist der treue Hirte, der in die Nymphe Amarilli verliebt ist und an dieser Liebe allen Verführungen und Intrigen zum Trotz festhält. Doch die Rolle, die er im moralischen Koordinatensystem spielt - und das ist die fundamentale Differenz von aristokratischer und bürgerlicher Welt - ist eben nicht die des idealen Helden, sondern die des rührend naiven Dummkopfs.

Die aristokratische Welt des 16. und 17. Jahrhunderts, die auch die Welt Shakespeares ist, war, wenn auch unter dem äußeren Anschein von streng gewahrten Formen, sehr libertinär und hedonistisch. Arkadien ist die Welt jenseits des Hofes, die Welt, in der, wie es bei Tasso heißt "alles erlaubt ist, was gefällt". (Shakespeares Titel "As you like it" und "What you will" kommen nicht von ungefähr, eben in diesen beiden Stücken werden Motive von "Aminta" bzw. "Il pastor fido" verarbeitet.)

Die Grundkonstellation ist relativ simpel: Die beiden Nymphen Amarilli und Eurilla sind in den Hirten Mirtillo verliebt. Amarilli jedoch soll den Adeligen Silvio heiraten. Mirtillo liebt wie gesagt Amarilli und Eurilla versucht diese Beziehung durch eine Intrige zu zerstören. Schließlich ist da noch Dorinda, die in Silvio verliebt ist, der sich jedoch nur für das Jagen interessiert.

Im Grunde geht es bei diesem ganzen Spiel nur um Eros und Sex, was jedoch unter petrarkischen Versen und Chiffren verhüllt wird. So ist die Jagd nichts anderes als eine Chiffre für männlichen Sex ohne Verpflichtung. Und Nymphen stehen umgekehrt für weibliche sexuelle Freizügigkeit. Beides eigentlich ziemlich offensichtlich.

Gleichzeitig schwingen auch homosexuelle Konnotation mit. Silvio sagt man nach, dass er sich nicht für Frauen interessiert und die Nymphen veranstalten untereinander Kusswettbewerbe. Mit solchen Verwischungen der Geschlechterdifferenzen soll bewusst allen möglichen sexuellen Orientierungen Identifikationsangebote gemacht werden.

Entsprechend ist auch die Hauptgestalt Mirtillo betont androgyn gezeichnet (genauso wie Rosalind und Viola bei Shakespeare, die von Knaben gespielte Frauenrollen sind, die sich wiederum als Knabe verkleiden). Weil er wie ein Mädchen aussieht, gelingt es ihm, sich bei einem der Kusswettbewerbe unter die Nymphen zu mischen. Bei dieser Gelegenheit verliebt er sich in Amarilli. Wenn Amarilli und Eurilla ihre Liebe zu Mirtillo besingen, reden sie denn auch von seinen schönen Augen und Lippen, eigentlich klassischen weiblichen features.

*****

Wem das immer noch zu verstaubt und fern vorkommt, dem hilft vielleicht der Vergleich mit etwas heutigem auf die Sprünge.

Seit ein paar Jahren läuft im amerikanischen Pay-TV Sender HBO Alan Balls Vampirserie "True Blood" und es ist verblüffend zu sehen wie ähnlich die Konstellationen und Motive sind.

Die Vampire in dieser Serie leben in einer Parallelwelt nach ihren eigenen Gesetzen, eben "wie es ihnen gefällt". Diese Welt ist eine Welt harter Machtkämpfe und gleichzeitig der hedonistischer Ausschweifung. Sie blicken einerseits mit Verachtung doch gleichzeitig immer auch mit einer verhohlenen Sehnsucht auf die Welt der Menschen.

So verliebt sich dann auch ein Vampir, und später ein anderer, die sich dann wie Amarilli und Eurilla um dieses Mädchen streiten, in ein menschliches Mädchen. Dieses Mädchen Sookie Stackhouse verkörpert genau die Rolle, die Mirtillo bei Guarini hat. Sie ist ein schlichtes Mädchen (Bedienung in einem Diner), das weder besonders intelligent noch raffiniert, ja nicht einmal umwerfend hübsch ist. Doch wirkt gerade ihre Naivität und ihr treues und in dieser treue tapferes Herz, das Unschuld und Reinheit ausstrahlt, so unwiderstehlich auf die total abgebrühten und zynischen Vampire.

Auf merkwürdige Weise wird diese Sookie zum Dreh- und Angelpunkt der Machtspiele. Selbst wenn sie nicht direkt involviert ist in den zahlreichen Nebenhandlungen, so bildet sie doch das dramaturgisch emotionale Zentrum der ganzen Serie.

Es ist wohl auch eben jene dramaturgische Innenspannung von erotischen Sensationen und machtpolitischen Ränken (das Stück von Guarini hat zahlreiche und verwickelte Nebenhandlungen), die um dieses weiße Unschuldzentrum gebaut sind, die Guarinis Stück wie Alan Balls serie zu jenem Hit werden ließen.

Wie bei Mirtillo stellt sich übrigens auch bei Sookie später heraus, dass sie kein normaler Mensch ist, sondern irgendetwas besonderes (was genau wird bewusst offen gehalten).

Alan Ball muss allerdings heutzutage nicht mehr mit sexuellen Chiffrierungen arbeiten und so kommt in der Serie im Grunde alles, was es an sexuellen Spielarten gibt, nebeneinander vor.

Interessant ist jedoch die Verwendung von Fabelwesen wie eben Vampiren, Werwölfen, Feen, Hexen und vielem mehr. Wie die Götter und Fabelwesen der Antike, verbergen sich dahinter gesellschaftliche Chiffren. Im Grunde ist völlig offensichtlich, dass Vampire (die derzeit wohl populärsten Fabelwesen) einen Typus von kapitalistischen Alphatieren verkörpern.

An diesem Bespiel wird die Funktion solcher Chiffren deutlich. Würden diese Vampir Figuren in der Serie als das gezeichnet, was sie sind, würde man das wahrscheinlich als noch viel obszöner empfinden. Wie zu anderen Zeiten das Sexuelle muss heute eher das gesellschaftlich brisante durch Chiffren verschleiert werden.

*****

Schließlich doch noch ein Wort zu Händels Oper. Trotz zahlreicher wunderbarer Arien, die die Oper enthält, war der Misserfolg doch wohl nicht ganz unberechtigt. Händel war wohl noch zu jung, um das resignative Pathos, das in diesem Stoff (wie in jedem erotischen Stoff, man denke nur an "Cosi fan tutte") steckt, in seiner ganzen Dimension zu erfassen und auszudrücken. In "Orlando" (1733), einer variierten Bearbeitung des Stoffes, wird ihm das unvergleichlich besser gelingen.

Die Einspielung mit Lucy Crowe (als Amarilli), einer der jungen Nachwuchshoffnungen der Alten Musik Szene und dem Ensemble La Nuova Muisca unter David Bates ist, was das sängerische und instrumentale Niveau angeht, ausgezeichnet.

Und doch wird einem allmählich immer deutlicher, dass die Verschulung der Klassischen Musik, die einerseits zu einem enormen professionellen Niveau geführt hat, doch auch einen schrecklich hohen Preis hat.

Von individueller Ausstrahlung, wie sie etwa Anna Paquin als Sookie in Alan Balls Serie hat, und die eigentlich gerade für die Oper von essentieller Bedeutung ist, ist da praktisch gar nichts zu spüren.

Auch Händel arbeitete ja mit den absoluten Sängerstars seiner Zeit zusammen, die eben jenen individuellen Appeal hatten wie die Hollywoodstars von heute. Gelänge es etwas davon auch im Händelgesang wieder zurückzubringen, manche Opern und Oratorien Händels gewännen eine ganz neue Bedeutung. Denn man würde sie nicht nur oberflächlich (denn überspitzt gesagt war die Händel Renaissance der letzten Jahrzehnte nur oberflächlich) neu rezipieren sondern auch in ihren tieferen ästhetischen und ideelen Gehalten, die uns kulturell wieder näher rücken.

G.F. Händel: Il pastor fido (Fassung 1712)

Lucy Crowe u.a., La Nuova Musica, David Bates

2-CDs, Harmonia Mundi

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden