Zum Tod von Jacques Rivette

Nachruf Persönliche Bemerkungen zum Tod des französischen Filmemachers

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Jaques Rivette, geboren 1928, verstarb am 29. Januar 2016 in Paris
Jaques Rivette, geboren 1928, verstarb am 29. Januar 2016 in Paris

Foto: DAMIEN MEYER/AFP/Getty Image

Mein Herz schlug immer ein wenig höher, sobald ich las, ein neuer Film von Jacques Rivette kommt in die Kinos. Ich war verliebt in seine Filme, man kann es wohl nicht anders sagen.

Dabei hatte ich ihn lange Zeit eigentlich kaum zur Kenntnis genommen. Godard, Truffaut und Rohmer spielten lange für mich eine größere Rolle. "La belle noiseuse" (Die schöne Querulantin) mit Emmanuelle Béart und Michel Piccoli, seinen wohl bekanntester Film, mochte ich durchaus, doch mein Verhältnis zu Rivette änderte sich erst später.

Es war, und vielleicht ist das durchaus bezeichnend, eine zufällige Begegnung. Ein Freund bat mich spontan ihn ins Kino zu begleiten, um den Film "Haut bas fragile" (Vorsicht -Zerbrechlich) zu sehen. Und irgendetwas an diesem Film traf einen Nerv in mir, brachte etwas zum Schwingen, was mich in Trance versetzte.

In der Folge studierte ich eifrig die Kinoprogramme um, wann immer ein Programmkino einen Rivette Film zeigte, hin zu pilgern. "La bande des quatre" (Die Viererbande) begeisterte mich fast noch mehr und der Zweiteiler "Jeanne La Pucelle" (Johanna, die Jungfrau) mit Sandrine Bonnaire war das größte Kinoerlebnis meines Lebens.

Natürlich habe ich seitdem alle neuen Filme gesehen und, seit sie auf DVD oder im Internet verfügbar sind, auch die älteren. Und auch wenn mich nicht alle gleichermaßen gefesselt haben und, wie es leider immer im Leben ist, jede Art der Begeisterung mit der Zeit ein wenig verblasst, sie alle haben etwas von jenem Fluidum, das mich immer aufs neue hypnotisiert.

Diese persönliche Voreingenommenheit macht es mir schwer, meine Eindrücke zu seinen Filmen zu objektivieren oder überhaupt einen analytischen Blick auf ihre Dramaturgie, auf Inszenierung und auf ihre Schauspieler zu werfen. Und natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass jenes Gefühl der Begeisterung etwas von Verliebtheit hat, das sich nicht zuletzt einer glücklichen Konstellation verdankt, und das sich daher auch durch viele Worte nicht vermitteln lässt.

Dass Frauen in seinen Filmen die Hauptrolle spielen ist offensichtlich. Und gewiss ist es nicht zuletzt die Dynamik eines männlichen Auges, das einer Frau neugierig folgt, was seine Filme in Bewegung setzt. Trotzdem spielen Liebe und Sex eigentlich kaum eine Rolle. Es ist vielmehr etwas keusches, eine merkwürdige Art der Sublimation, die als dramaturgische Energie freigesetzt wird.

Auch dialogische oder erzählerische Aspekte rücken stark in den Hintergrund, die meisten seiner Drehbücher sind nur skizziert, viele Szenen gänzlich improvisiert. Rivette liebte das verrätselte und labyrinthische, das Spielen mit einer numinosen Bedeutung, die wie eine Ahnung über der Szenerie schwebt.

Der tiefe Eindruck kommt daher auch weniger von Charakterzeichnung oder psychologischem Raffinement - gerade seine Lieblingsprotagonistinnen wie Laurence Côte oder Sandrine Bonnaire haben geradezu etwas spröde abstraktes - als vielmehr von einer Dramaturgie, die sich aus dem Spannungsfeld von improvisatorischer Offenheit und gefesseltem neugierigen Interesse speist.

Vielleicht ist "La belle noiseuese" nicht zu Unrecht sein bekanntester Film. Denn im Blick des Malers auf sein Objekt ist wohl tatsächlich etwas von jener völlig absorbierte Neugierde eines Kindes enthalten, das gebannt auf etwas noch nie gesehenes starrt. Und es ist jener Zustand dieser wohligen Trance, dieser zenhaften Absorption, den Rivette in den glücklichsten Momenten herstellen konnte.

Auch wenn seine Filme nicht die verspielte Leichtfüßigkeit von Rohmers Filmen haben, vielmehr oft ein fatalistischer schwarzer Rand über allem liegt, haben auch sie eine impressionistische Klarheit und Durchsichtigkeit, eine französische Eleganz und eine Art intellektuellen Understatements, die aus heutiger Sicht, wo harter und dampfender Realismus die Ästhetik bestimmt, merkwürdig fern erscheint. Rivette war als Mitbegründer der Nouvelle Vague eben auch ein Protagonist jener kulturellen Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Kunst noch intellektuelle Spielwiese und experimentelles Abenteurertum war.

Rivette war schon seit einigen Jahren an Alzheimer erkrankt und es war klar, dass er keine weiteren Filme mehr drehen konnte. Und doch war es ein Schock zu lesen, dass er jetzt gestorben ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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