Crime Watch No. 53

Kriminalromane Wissen ist Macht. Exklusives Wissen lässt sich direkt umrechnen: in Geld, Profite und politische Vorteile. Das predigt man uns zumindest in der ...

Wissen ist Macht. Exklusives Wissen lässt sich direkt umrechnen: in Geld, Profite und politische Vorteile. Das predigt man uns zumindest in der Informations-Gesellschaft andauernd, als ob es eine neue Erkenntnis sei. Aber Informationen waren schon immer so wertvoll, dass man Informationsbeschaffung um jeden Preis, vulgo: Spionage, ruhig als eine grundlegende Kulturtechnik der Menschheit bezeichnen kann. Weil Informationsbeschaffung um jeden Preis vermutlich immer gegen jede Art von Regularien, sprich Gesetz und Ordnung verstößt, gehört sie zur noch umfassenderen, basalen Kulturtechnik des "Verbrechens". Also wird sie völlig zu Recht Gegenstand der Kriminalgeschichte, die um so sinnvoller ist, je genauer sie ein Mosaiksteinchen menschlicher Kultur analysiert. Insofern ist eine "Kriminalgeschichte der Kartographie" ein notwendiges Unternehmen. Der amerikanische Journalist Miles Harvey hat sie unter dem Titel Gestohlene Welten endlich geschrieben.

Karten sind seit Jahrtausenden Information pur. See- und Landkarten wiesen den Weg ins Unbekannte und mit dem Unbekannten konnte man Handel treiben. Wer gute Karten hatte, verfügte über Rohstoffe, über Märkte, über Produkte. Karten wiesen nicht nur den Weg zu neuen Reichtümern, sie waren auch unabdingbar, um die Routen zu verteidigen, zu verbergen oder zu verbreitern. Man konnte mit falschen Karten Desinformation betreiben, man konnte abschrecken (da liegt die historische Funktion von Seeungeheuern), das eigene Spezialistentum und damit die eigenen Pfründe sichern oder konkurrierende Energien im Nichts verpuffen lassen. Dieses Spiel funktionierte so lange prächtig, bis das geographische Wissen Allgemeingut geworden war. Dann wurde es historisch, aber keineswegs obsolet - in ökonomischer Hinsicht. Hier setzt Harveys Buch ein: Bei Leuten, die alte Karten stehlen. Mit erstaunlicher krimineller Kreativität und Energie plündern diese Spezialisten Bibliotheken und einschlägige Institute aus, die Landkarten sammeln und archivieren. Das ist nebenbei bemerkt nicht nur eine nette Marotte, weil dabei natürlich auch wertvolle alte Sammelwerke und Folianten gnadenlos zerschnitten oder sonst wie zerstört werden. Kauzige Retter wie der berühmte Bibliomane Stephen C. Blumberg, die als Freaks nur ihre Sammel-Obsession befriedigen, sind dabei allerdings in der Minderzahl. Die Mehrzahl der Karten-Diebe bedient eine regelrechte Subkultur aus Sammlern, Spinnern, Obskuranten und Spekulanten, die Millionensummen bewegt und die Harvey mit seinem Buch auszuforschen versucht. Als roter Faden seiner Erzählung dient ihm dafür ein Mann namens Gilbert Bland, der "Al Capone der Kartographie" - ein unauffälliges Individuum, das auf seinen Raubzügen wie Chamäleon jeden Sozialcharakter überzeugend darzustellen weiß. Die Rekonstruktion von Blands Leben und Persönlichkeit, die auch am Ende nur ein Vexierbild liefert, führt Harvey mitten hinein in die Geschichte der kriminellen Ranküne um Karten. Wir lesen von aufwändigen Geheimdienst-Operationen um Karten (Stichworte: die Seewege nach Indien und nach Amerika, die Magellan-Strasse; die alliierte Invasion 1944 usw.), von Sicherungsmechanismen (Augustus hatte für eine genaue Karte seines Weltreichs eine Art Tresor gebaut; karthagische Kapitäne mussten im Fall des Verlusts des Schiffes ihre Karten sofort versenken) und von moderneren Versuchen, die gute, alte Karte durch Satellitenbilder und andere High-Tech-Methoden überflüssig zu machen. Versuche übrigens, die - wie im Fall der weiland von den USA bombardierten chinesischen Botschaft in Belgrad zu sehen - entweder defizitär bleiben oder Manipulationen ausgesetzt sein können.

Gilbert Bland, der Mann mit den vielen Gesichtern, erweist sich so als historisch plausible Metapher für das Paradox der nur vordergründig klaren und eindeutigen Karte: Sie kann und soll Menschen den richtigen Weg weisen, sie ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Institut der Aufklärung, der Bildung und der demokratischen Information. Aber sie ist eben auch ein Agens der Desinformation, ein Instrument der Machtpolitik, ein Mittel zum Profit und ein Movens krimineller Energie seit Urzeiten. Also auch ein Beleg für die unerfreuliche Disposition von Homo sapiens. Und natürlich ein Gegenstand von großer Ästhetik.

Miles Harvey: Gestohlene Welten. Eine Kriminalgeschichte der Kartographie. Dt. von Andrea Ott. Karl Blessing-Verlag, München 2001, 351 S., 43,99 DM

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