Queere Georgische Künstler: Im Krieg mit der Kirche
Georgien Künstler:innen wie David Apakidze kämpfen in Georgien gegen die Hetze gegen queere Menschen durch die aktuelle Regierung und der Kirche. Wird sich der Hass angesichts der EU-Kandidatur verringern?
Nach der Veröffentlichung dieses mittels KI erstellten Bildes erhielt der Künstler Morddrohungen
Foto: Courtesy of David Apakidze
Voller Anspannung beobachtet David Apakidze, wie die von ihm gezeichnete Figur langsam zum Leben erwacht. Nach wenigen Minuten ist das Harz im Glaskasten ausgehärtet: Ein weißer Adler mit weit ausgebreiteten Flügeln hat seine Krallen fest in einen jungen Mann, „den Schönsten aller Sterblichen“, geschlagen. Seine Plastik aus dem 3-D-Drucker zeigt eine der bekanntesten Darstellungen der griechischen Mythologie: Zeus in Gestalt des Adlers entführt Ganymed auf den Olymp, damit dieser dort den Göttern als Mundschenk dient. Das Vorbild des Göttervaters soll die Liebe zwischen Männern legitimieren – damals in der Antike und heute in Georgien.
Zwar sieht die große Mehrheit der georgischen Gesellschaft laut Umfragen die Zukunft ihres Lan
ihres Landes in der Europäischen Union, doch die Hass gegen LGBTQ-Menschen nimmt in dem Land im Südkaukasus zu – auf offizieller Ebene und in der Öffentlichkeit. So stürmten vergangenes Jahr rechtsradikale Gruppen das Pride-Festival in Tbilisi, die Regierung sprach sich für ein Verbot von „homosexueller Propaganda“ aus und die Priester der georgisch-orthodoxen Kirche verbreiteten ihre hasserfüllte Stimmungsmache gegen LGBTQ-Menschen auf der Straße, im Fernsehen und in den Gottesdiensten.Dagegen setzt sich David Apakidze als Queer-Artist, Aktivist und Kurator zur Wehr. Der 25-jährige Künstler hat sein Atelier im Dachgeschoss einer ehemaligen Jugendherberge eingerichtet. Das Gebäude liegt im Zentrum der Hauptstadt Tbilisi, versteckt in einer kleinen Gasse. Jenseits der verkratzten und vielmals überstrichenen Türen machen Künstler:innen hier Front gegen Stereotype, Vorurteile und Ressentiments in ihrem Land. Sie malen, nähen, komponieren, fotografieren und erzählen kaukasische Traditionen mit einem frischen Blick. Auf diese Weise kreieren sie ganz nebenbei auch neue Trends in der Club- und Modekultur – im Inland wie im Ausland.Placeholder image-1Apakidze fühlt sich in der Räumlichkeiten des Gemeinschaftshauses sicher. Doch die Bedrohung für queere Menschen sei stets präsent, erzählt er. Nachdem ihm ein Mann auf der Straße ein Messer an den Hals gehalten hatte, hat er sich seine langen Haare vor einigen Jahren abrasiert. „Der Hass hat seine Wurzeln in der Armut. Viele Menschen kämpfen um ihr täglich Brot, sie haben Hunger und lassen sich leicht von der Regierung manipulieren“, sagt Apakidze. Er erzählt, wie Menschen aus den Dörfern für 20 Euro zu den Demonstrationen in die Hauptstadt kommen, um Schwule zu verprügeln.„Ein Mann, der seine alten Eltern und seine verwitwete Schwester pflegte, kletterte auf den Balkon einer LGBTQ-Organisation während der Pride und zerriss die Regenbogenfahne. Alles nur wegen Geld. Dafür ging er für acht Jahre ins Gefängnis“, sagt Apakidze und sucht nach seinem Tabak auf einem rissigen Holztisch – zwischen Tausenden von Zeichnungen, Bleistiften, Penisfiguren und verschiedenen Werkzeugen.Das Berghain des KaukasusEr ist ein Gegner der Pride. „Der Aktivismus, der jetzt in Georgien stattfindet, führt dazu, dass wir jedes Mal verlieren und unsere Regierung der Verabschiedung eines Anti-LGBTQ-Gesetzes einen Schritt näher kommt“, sagt er. Er zeigt seine tätowierten Arme: ein rosa Dreieck, das Symbol der Homosexuellen-Gemeinschaft während des Holocausts, und eine grüne Nelke, das Symbol von Oscar Wilde, dem irischen Schriftsteller und Dramatiker, der wegen seiner sexuellen Orientierung zu Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt wurde. Für einen nachhaltigen Aktivismus habe er andere Vorbilder. Wie die Queer-Events im Bassiani, dem bekanntesten Nachtclub in Tbilisi.In der ehemaligen Schwimmhalle finden die größten Queer-Partys und Queer-Festivals der Region statt, der Technoclub gilt als das Berghain des Kaukasus. „Viele Leute tanzen gerne. Das hat die Menschen mit der Queer-Community wirklich zusammengebracht.“ Im Dezember 2023 hat die EU Georgien den Status eines EU-Beitrittskandidaten verliehen. Zehntausende Menschen jubelten auf den Straßen von Tbilisi, weil ihr Traum, Teil der europäischen Familie zu werden, Gestalt annimmt. Apakidze ist jedoch skeptisch. Die georgische Regierung, allen voran Premierminister Irakli Gharibaschwili, schüre bewusst Homophobie, um nicht in die Europäische Union aufgenommen zu werden.Die Regierung verfolge eine pro-russische Politik und Apakidze befüchtet, dass sie im nächsten Wahlkampf 2024 ein Anti-LGBTQ-Gesetz verabschieden könnte. „Die prorussische Regierung konnte keinen anderen Weg finden, um der europäischen Integration aus dem Weg zu gehen.“ Apakidze und viele Queer-Aktivisten bliebe nur, sehr hart zu kämpfen oder das Land zu verlassen. In seinem Atelier, zwischen Fetischkleidern und -schuhen und einem Zahnarztstuhl in der Ecke, fällt etwas ganz Besonderes ins Auge: Heiligenbilder auf Fensterbänken und an den Wänden.Auf einem Tuch ist der heilige Sebastian aufgestickt, eines der Kultbilder der westlichen Queer-Community. Im Mittelalter war Sebastian der Beschützer vor der Pest, später wurde er in Europa und Amerika zum Symbol für den Schutz vor Aids. Eine weitere Ikone aus Bronze in quadratischer Form zeigt vier Spermien, die von den vier Ecken zur Mitte zeigen. „Ich wollte etwas finden, das wie das göttliche Licht aussieht“, sagt Apakidze, während er auf das Fenster zugeht, an dem ein dünner, langer Metallstab hängt. Es zeigt die Kreuzigung Jesu Christi. Doch das Kreuz fehlt. „Es geht nur um den Tod“, so Apakidze.Der Atheist trägt ein Kreuz um den HalsDer Künstler hat der Kirche den Krieg erklärt. Die georgisch-orthodoxe Kirche hat großen Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik. Sie betrachtet Homosexualität und Transgender-Identitäten als unnatürlich und sündhaft. Aus diesem Grund hat sich die Konfrontation zwischen der Kirche und der LGBTQ-Gemeinschaft zugespitzt. Apakidze versucht zu zeigen, dass es auch in der Kirche Raum für homosexuellen Sex gibt. „So wie die katholische Kirche angeprangert wird, muss auch die georgische Kirche angeprangert werden. Aber man drückt in Georgien beide Augen zu.“Als er Bilder von sich küssenden Priestern im Hintergrund der georgischen Berge mithilfe einer KI macht und auf TikTok veröffentlicht, erhält er Morddrohungen. Er löscht die Bilder und seinen Kanal auf TikTok. Dennoch werden die Bilder im Rahmen eines Queer-Festivals in Tbilisi im Herbst 2023 noch einmal öffentlich gezeigt.Als ehemaliger Student der Kunstgeschichte ist er oft in Kirchen, um die Ikonenmalerei zu studieren. Wo er Erotik sehe, zum Beispiel im Judaskuss, versuche er, das in seiner Kunst umzusetzen, erzählt er. Obwohl Atheist, trägt Apakidze eine Kette mit einem Kreuz um den Hals. Seit dem vierten Jahrhundert, als das Christentum in Georgien Staatsreligion wurde, ist das Weinstockkreuz das Symbol der georgisch-orthodoxen Kirche. Die Heilige Nino soll aus dem Weinstock und ihrem Haar ein Kreuz geflochten und es dem König dargereicht haben.Anlässlich der Pride 2021 wurde vor dem Parlament in Tbilisi das Kreuz der Heiligen Nino aus Metall aufgestellt. Als Zeichen dafür, dass die Gesetze in Georgien „getreu der christlichen Moral“ geschrieben werden müssen. Aber für Apakidze fühle es sich an wie ein Grabkreuz für die Menschenrechte. „Ich hoffe, der Tag kommt, an dem das Kreuz abgehängt wird. Dann werde auch ich mein Kreuz abnehmen.“ Sein Kreuz hält er die ganze Zeit in den Händen, als er die Geschichte erzählt. So schnell wird er sich wohl nicht von seinem Silberschmuck verabschieden können.
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