ESC 2024: Warum Palästina am Eurovision Song Contest teilnehmen sollte

Meinung In Finnland gibt es Rufe nach einem Ausschluss Israels von dem Musikwettbewerb. Schlechte Idee, findet unser Autor. Wenn das diesjährige Motto „United by Music“ kein Marketingsprech bleiben soll, müsste eher ein neuer Teilnehmer dazukommen
Ausgabe 06/2024 | Aktualisiert am 19.02.2024, 14:30
Palästina sollte am ESC 2024 teilnehmen, findet unser Autor
Palästina sollte am ESC 2024 teilnehmen, findet unser Autor

Illustration: der Freitag

Es war der Aufreger beim Eurovision Song Contest 2019: Während der Punktevergabe hielt die isländische Band Hatari eine Palästinaflagge in die Kamera – aus Protest gegen die israelische Besatzung. Schon vor dem Finale in Tel Aviv hatte die Gruppe Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem „isländischen Ringkampf“ aufgefordert. Der fand leider nicht statt. Stattdessen musste der TV Sender RÚV wegen der Flaggenaktion 5.000 Euro Strafe zahlen. Der European Song Contest (ESC) will unpolitisch sein. Doch irgendwie klappt das nicht so richtig.

Am 25. Februar 2022 wurde Russland wegen seines Angriffs auf die Ukraine ausgeschlossen. Und aktuell fordern über 1.000 Künstlerinnen und Künstler aus dem Gastgeberland Schweden, Israel wegen dessen brutaler Kriegsführung in Gaza zu boykottieren. Auch Menschen aus der finnischen und norwegischen Musikindustrie hatten mit Petitionen für einen Ausschluss getrommelt. Haben die im Norden denn das diesjährige ESC Motto gar nicht verinnerlicht? „Vereint durch Musik“ lautet das. Wenn man es ernst nähme, müsste nicht Israel rausgeworfen, sondern ein weiteres Land zur Teilnehmerliste hinzugefügt werden: Palästina.

Am 19. Januar habe ich einen Text auf freitag.de veröffentlicht, in dem ich gefordert habe, dass der palästinensische Künstler Bashar Murad zu dem Wettbewerb zugelassen wird. Er wohnt in Ostjerusalem, ist jung, queer und macht gute Musik. Keine Sorge, Hamas Propaganda auf offener Bühne wäre von ihm nicht zu erwarten. Er singt lieber über LGBTQI Rechte. Wenige Tage nachdem mein Text online ging, wurde bekannt, dass Murad tatsächlich am isländischen Vorentscheid Söngvakeppnin teilnehmen wird. Ganz überraschend war das nicht: 2019 hatte er zusammen mit Hatari (die mit der Palästinaflagge während der Punktevergabe) einen Song veröffentlicht. Er war also schon im isländischen ESC Kosmos, seit August bereitet er sich auf Söngvakeppnin vor. An meinem Freitag Text hat es also nicht gelegen, dass er da jetzt mitmacht. Leider …

Munition aus Blumen

Nachdem die ersten Gerüchte von seiner Teilnahme die Runde gemacht hatten, schossen die Wettquoten für einen isländischen Sieg bei der ESC-Finalshow am 11. Mai in die Höhe. Spricht das nicht schon Bände über die Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit? Anscheinend gehen viele davon aus, dass ein palästinensischer Künstler bei dem riesigen Musikwettbewerb mit sehr viel Solidarität rechnen dürfte. Zu Recht. Murad wäre ja auch der perfekte Kandidat.

In seinem Lied Intifada on the Dance Floor singt er, dass Kunst eine ebenso große Wirkung haben kann wie Streiks und Proteste. Der Text ist etwas kryptisch, wahrscheinlich geht es um Soldaten der israelischen Armee, die bewaffnet in ein palästinenisches Gebiet einfallen. Murads Antwort: „Wer auch immer ihr seid: Wir heißen euch willkommen, von Norden bis Süden.“ Man beachte: Er singt nicht, dass er die Soldaten von Ost bis West, geschweige denn „from the river to sea“ willkommen heißt. Murad ist Pazifist. In dem Lied sagt er, dass seine Waffe mit Munition aus Blumen geladen ist.

Sollte Murad am ESC teilnehmen, würden die Einschaltquoten nach oben gehen, der Nahostkonflikt hätte ein friedliches Forum auf der Bühne, Orient und Okzident reichten sich die Hand. Der Wettbewerb wird dieses Jahr im schwedischen Malmö ausgetragen. In jener Stadt also, in der es islamistische „No go Areas“ geben soll. Vielleicht würden ein paar Jungs da zum ersten Mal in ihrem Leben den ESC einschalten? Weil sie sich endlich repräsentiert fühlen? „In meiner Musik geht es immer darum, die Menschen zu mehr Toleranz und Akzeptanz zu ermutigen“, sagt Murad. Was für eine Chance.

Klar, noch besser wäre es, wenn ein Palästinenser nicht über das isländische Ticket mitmachen müsste, sondern unter eigener Flagge ins Rennen geschickt würde. Aber da kommen prompt die Bürokraten und verweisen auf die ESC-Regeln: Man muss von der UNO als eigenständiger Staat anerkannt sein, um mitmachen zu dürfen! Sonst könnte ja bald auch Schottland mit einem eigenen Interpreten um die Ecke kommen. Aber kann man Regeln nicht ändern? Ich hätte da einen Formulierungsvorschlag: „Um beim Eurovision Song Contest teilnehmen zu können, muss ein Land von mindestens 138 Mit gliedsstaaten der Vereinten Nationen als unabhängiger Staat anerkannt worden sein.“ Dann könnte es im Mai in Malmö heißen: Hier kommt Bashar Murad für Palästina!

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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