Ein Universitätsbetrieb zulasten von Bildung

Hochschule Das Wintersemester beginnt in Kürze, die Herausforderungen, vor die Universitäten und Studierende seit Bologna gestellt sind, bleiben unverändert

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Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles vergessen hat, was man gelernt bleibt“, verlautbarte bereits im 17. Jahrhundert jemand.

Der Begriff der Bildung stellt etwas länger währendes dar, ist prozesshaft und auf Dauer statt auf Kürze angelegt. Das humanistische Bildungsideal eines universal gebildeten Menschen, der nicht nur in seiner Fachrichtung eine Expertise besitzt, sondern auch darüber hinaus über Bildungvefügt, gibt eine ähnliche Stoßrichtung vor.

Bildung darf nicht etwas sein, das nur in einer wissenschaftlichen Disziplin erlangt wird, sondern muss diese scheinbar so fixierten Grenzen überschreiten. Dieses Unterfangen ist mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden, der nicht in einem universitären Semester absolviert werden kann. Lernen als lebenslanger Prozess, der nicht auf Schule und Hochschule beschränkt werden darf.

Nun muss man sich allerdings im Hinblick auf den aktuellen bundesdeutschen Universitätsbetrieb und -dschungel fragen, ob diese Ausgestaltung von Hochschulen noch einen ausreichenden Beitrag zu diesem hehren und erstrebenswerten Ziel leisten.

Seit der Einführung des Bachelor-Master-Systems im Zuge der Bologna-Reform, die eine europaweite Vergleichbarkeit der Hochschulabschlüsse schaffen sollte, ist ein Studium, eine Bildungsaufgabe mit dem höchsten erreichbaren Abschluss, in Punktegrenzen gepresst. Dieses Ziel hat Bologna mehr als verfehlt, stößt es doch schon im bundesdeutschen System an Landesgrenzen.

Für den Bachelor benötigt man in der Regel 180 Arbeitspunkte, Anrechnungspunkte oder Creditpoints – der Inhalt und die Herausforderung für Studierende bleibt trotz divergenter Begriffe gleich – für die Erlangung eines Masterabschlusses 120.

Doch wie können Punkte einen Studienerfolg, einen Bildungserfolg verzeichnen? Die oberste Maxime an den Universitäten lautet nicht mehr umfassende Bildung, sondern schlichtweg: Punkte. Die Bologna-Währung.

Keine Leistungen mehr ohne diese obligatorischen Angaben. Kaum ein Studierender belegt Seminare, die keinen Erfolg hinsichtlich der Erlangung der zu erreichenden Punktzahl versprechen. Anspruchsvolle Seminare bei anspruchsvollen Dozenten werden gemieden, weil hier keine ausreichenden Erfolgsaussichten hinsichtlich der Punkteverzeichnung erwartet werden, braucht man doch teilweise einen fixierten Bachelordurchschnitt, um anschließend ein Masterstudium aufnehmen zu dürfen.

Auf der Strecke bleibt der Prozess der Selbstbildung, Seminare zu besuchen, die zum Ziel des „Bildungsbürgers“ zielführend wären.

Lehrer an allgemeinbildenden Schulen sind immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie kein ausreichendes Niveau in den Unterricht brächten, Fragen und Klausuren zu sehr aus reiner Faktenabfragerei, à la, „Wann und mit welchem Ereignis begann die Französische Revolution?“, bestünden. Doch muss man sich fragen, ob Hochschulen in diesem Land ein höheres Leistungsniveau verlangen. Klausuren bestehen oftmals aus dem Multiple-Choice-System, wo lediglich blanke Fakten abgefragt werden können. Und das in einem noch schlimmeren Ausmaß, da manche Antwortmöglichkeiten lediglich durch eine Silbe voneinander differieren. Universitärer Anspruch? Fehlanzeige.

Der momentan etablierte Hochschulbetrieb setzt in großen Teilen noch offensiver und verwerflicher auf „Bulimie-Lernen“, als die allgemeinbildenden Schulen dies tun. Sicherlich ist dieser Sachverhalt auch Ausdruck dessen, dass wissenschaftliches Personal und Studierende zahlenmäßig weiterhin in einem deutlichen Missverhältnis zueinander stehen. Dennoch darf dies nicht allein als Grund für die Missstände an deutschen Universitäten gelten, die zulasten der individuellen Bildung lehren. Individualität ist es nämlich auch, was Bildung ausmacht. Sich durch vermittelte Kompetenzen ein eigenes Bild der Realität konstruieren, in diesem Rahmen argumentieren zu können. Multiple-Choice, wofür lediglich das Wiederkäuen von Fakten erforderlich ist, leistet dazu keinerlei Beitrag.

Einem Seminar ist es kaum noch möglich, sich mit individuellen Themen abseits des geforderten Solls zu beschäftigen, sich darüber auszutauschen, Kompetenzen in Argumentation und Denkweisen zu erlangen. Vielmehr sind die Studierenden gefordert, sich dem Dozenten anzupassen, sich dem Duckmäusertum zu verschreiben. Keine eigene Meinung mehr zu vertreten, damit anzuecken, sondern sich an der vorgesteckten Linie entlangzuhangeln. Alles an dem Ziel der Konformität orientiert, damit am Ende des Semesters die Punkte für die Lehrveranstaltung auf dem Konto gutgeschrieben werden und man den Hochschulbetrieb möglichst rasch hinter sich lassen kann.

Einerseits ist diese Beschleunigung Ausdruck einer Gesellschaft auf der Überholspur, andererseits - angesichts der universitären Ausbildung - eine möglicherweise gewinnbringende Entscheidung. Denn wo Lehre auf Punkte, und damit auf Denkverbote, trifft, da bleibt Bildung auf der Strecke.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

TE

Student der Politikwissenschaft und Germanistik.

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