Parentifizierung in der Klimakatastrophe

Kinder haften wegen der Eltern Wer wenn nicht die Eltern sollen die Speerspitze des Widerstandes gegen die ökologische Zerstörung sein? Was wir derzeit sehen, ist kollektiver Suizid, bei dem die Eltern die Stricke für die eigenen Kinder an der Zimmerdecke anbringen.

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Gerade boomen die Märkte für Solaranlagen und Wärmpumpen. Viele die es sich leisten können geben alles, um noch einen Termin für die Installation zu bekommen. Ihr Ziel ist es mehr energetische Unabhängigkeit zu erlangen.

Der Eindruck liegt nah, dass ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet und die Bedrohung durch einen Klimakollaps zunehmend verstanden wird. Es scheint als treibt die Sorge um die Zukunft der eigenen Kinder Eltern an, endlich Teil einer sozialökologischen Revolution zu sein.

Doch der Grund für diese Engagement ist ein anderer. Es ist die Sorge, dass die Kosten für die verbrauchte Energie steigen.

Statt, sich als Teil der Energiewende zu verstehen, weil andernfalls brennende Wälder, Hitzewellen und Dürren, Sturmfluten und Pandemien, Ernteausfälle und dysfunktionale Lieferketten in Häufigkeit und Heftigkeit zunehmen, ist es die Furcht davor, tiefer ins Portmonee greifen zu müssen.

Dekadenz, politische Meinungsbildung und Tatenlosigkeit

Dekadente Eltern, die einen dicken SUV besitzen, einen riesigen Pool im eigenen Garten haben oder mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen, sind Teil einer Generation des Egalismus.

Dieser Egalismus ist der Mittelfinger in die Gesichter ihrer Kinder. Er definiert sich durch die Ignoranz um die negativen Auswirkungen der eigenen Lebensweise für andere Menschen in Gegenwart und Zukunft.

Die Kritik am gelebten Egalismus kann den Anschein erwecken, die großen Bedrohungen durch die menschengemachte Klimaerhitzung und Ökosystemzerstörung ließen sich durch Konsumkorrekturen beheben. Gewiss sind die dadurch möglichen Einsparungen ein wichtiger Teil einer sozialökologischen Revolution, doch die größeren Hebel für eine rasches Ende der fossilen Sucht liegen woanders.

Auch Eltern, die sich weniger Dekadenz leisten können, sind Teil der Generationen, die die planetaren Lebensgrundlagen zerstört haben, wenn auch zu anderen Anteilen. Die Lebensrealitäten von Eltern und Großeltern sind mitunter sehr verschieden. Während die einen gut bezahlte Jobs, Eigenheime und finanzielle Rücklagen besitzen, stehen andere Monat für Monat mit dem Rücken zur Wand. Aber es gibt auch ein großes „Dazwischen“. Doch die Stilisierung von Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen als hilflose Opfer des Systems taugen nicht für eine Realität, in der es zunehmend ums Ganze geht.

Debatten um Tatenlosigkeit dürfen nicht vor Klassenzugehörigkeit halt machen.

Ob arm, ärmer, reich oder sehr reich, die Stimmenabgaben an den Wahlurnen und die fehlende Beteiligung an sozialen Protesten zeigen, dass Eltern- und Großelterngenerationen ihre Fürsorge-Versprechen, die sie ihren Kindern qua Geburt gegeben haben, brechen. Immer und immer wieder.

Es ist die Mischung aus Egalismus und Tatenlosigkeit, die Kinder und Jugendliche dazu zwingt ihr junges Leben mit Existenzängsten und Hilflosigkeit zu bewerkstelligen.

Die Welt brennt, doch die Eltern haben nichts als Ausreden.

Lieben Eltern ihre Kinder oder nur das Leben mit ihnen

Eltern und Großeltern müssen sich dringend fragen, ob sie ihre Kinder lieben, weil sie ihnen wichtig sind und sie um ihretwillen in erfülltes Leben haben sollen, oder geht es überwiegend um das besitzen wollen einer Familie, den gesuchten Sinn im Leben und die Anerkennung von anderen.

Sie werden nicht umhinkommen sich zu fragen, was die Liebe zu ihren Kindern, in einer kollabierenden Welt, wert ist. Und sie werden erstrecht nicht umhinkommen für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verantwortlich gemacht zu werden. Noch können sie Verantwortung übernehmen. Andernfalls werden sie als Schuldige auf der Anklagebank neben den Entscheider:Innen fossiler Konzerne platznehmen müssen. Wenn auch nur fiktiv.

Es ist nicht genug lediglich stolz darauf zu sein, dass die eigenen Kinder seit Jahren Freitags die Schule ausfallen lassen, um das zu tun, was eigentlich ihr Aufgabe ist: Widerstand zu leisten.

Parentifizierung in der ökologischen Katastrophe

Die Medienlandschaft der vergangenen vier Jahre war voll von Befürwortungen für die Proteste der FFF-Bewegung. Diese haben dazu geführt, die jungen Generationen immer intensiver in die Pflicht zu nehmen, statt die Verantwortungs-Frage zu stellen.

Das ist ein fatalistisches Rollenverständnis in unserer Gesellschaft.

Jede Debatte um den Verbleib der FFF-Bewegung ist eine fehlende Debatte darüber, wo denn die Erwachsenen bleiben.

Die Psychologinnen Lea Dohm und Mareike Schulze widmen sich in ihrem neu erschienen Buch „Klimagefühle“ u.a. dem Thema „Kinder und die Klimakrise“. Sie schreiben, dass es Kindern Mut macht, wenn ihre Eltern sich für eine Sache einsetzen und plädieren dafür beim Klimaschutz als Vorbilder voranzugehen. Nicht nur weil es unbedingt nötig ist, auch weil es Kindern Sicherheit gibt und den eigenen Blick in die Zukunft erträglicher macht.

Es gibt diese Eltern und Großeltern, diese Erwachsenen, die sich engagieren und Teil der Veränderung sein wollen. Soziale Bewegungen wie Parents for Future oder Psychologists for Future, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation zeigen in Ansätzen wie es gehen kann.

Doch der Großteil versteckt sich hinter Ignoranz oder einer Pseudosolidarität. Das Ergebnis ist eine „Parentifizierung“. Ein Phänomen bei dem „ein Kind Funktionen und Aufgaben übernimmt, die eigentlich die Eltern […] übernehmen müssten.“

Während die erwachsenen Mitverursachenden der menschengemachten Klimakatastrophe weiter tatenlos bleiben, sind Kinder, Jugendliche und junge Menschen existenziellen Ängsten und belastenden Kämpfen ausgesetzt.

Apokalypse now, tomorrow and later

Immer mehr Wissenschaftler:Innen fordern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Wahrscheinlichkeiten von Aussterbe-Szenarien. Sie wollen der Frage auf den Grund gehen, wie wahrscheinlich das Aussterben der Menschen sein könnte. Doch beunruhigend ist nicht dieses Endzeitszenario.

Noch lange bevor Menschen von der Erde verschwinden, werden zivilisatorische Leitplanken durchbrochen sein, Gesundheits- und Versorgungssystemen zusammenbrechen und ganze Landstriche auf der Erde für Menschen unbewohnbar werden. Welche Auswirkungen dies auf ethische und moralische Grundwerte einer Gesellschaft haben wird, sehen wir bereits an den europäischen Außengrenzen.

Menschen werden Kriege um Ressourcen führen, faschistische Regime werden sich ausbreiten und es wird zu extremen sozialen Verwerfungen kommen.

Doch gerade jene die Veränderungen antreiben können, gehören zu den größten Blockier:Innen: Die Erwachsenen, die Eltern und Großeltern. Sie sind jene mit eine festen Platz in der Gesellschaft, mit Zugängen und Möglichkeiten, mit Ressourcen und Netzwerken.

Widerstand war schon immer das Instrument für positive Veränderungen. Jegliche Freiheiten und Rechten die wir heute als selbstverständlich erachten, wurden von unseren Vorfahr*innen tapfer erkämpft.

Wer wenn nicht die Eltern sollen Teil der Speerspitze des Widerstandes gegen zerstörende, ausbeutende und mordende Konzerne sein?

Doch was wir derzeit sehen, ist ein kollektiver Suizid, bei dem die Eltern die Stricke für die eigenen Kinder an der Zimmerdecke anbringen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tino Pfaff

Umweltaktivist, Campaigner, Sozialarbeiter/-pädagoge, Student MA Gesellschaftstheorie

Tino Pfaff

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