Demokratischer Blackout

Lützerath Gewaltexzesse der Polizei: Die Knüppel auf unseren Köpfen und die vielen gebrochenen Knochen, wurden uns von unseren politischen Vertreter:Innen zugefügt.

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Demokratie ist die Herrschaft des Volkes. Oberstes Staatsoberhaupt ist die Gesellschaft.

Nun könnte man meinen, ein paar Protestierende sind nicht die Gesellschaft. Das mag stimmen.

Doch nach offiziellen Angaben waren 35.000 Menschen, ich meine sogar über 50.000, in Lützerath, um gegen die Erweiterung des Tagebaus zu protestieren. Sie haben einen großen Teil der Gesellschaft repräsentiert, denn eine Zahl von Protestierenden ist immer auch eine Stellvertretung für einen um ein Vielfaches größeren Teil einer Gesellschaft.

Was wir am 14.01.2023 in Lützerath sahen, war eine kritische Masse mit dem Anspruch ernstgenommen zu werden.

Darüber hinaus entschieden sich erst kürzlich in einer Umfrage des ZDF-Polit-Barometers fast zwei Drittel der Befragten gegen die Ausweitung des Tagesbaus bei Lützerath.

Die Rahmenbedingungen und das Anliegen sind entscheidend

Wir müssen uns ehrlich machen: Der Großteil des Demonstrationszuges wollte nach Lützerath und den Ort besetzen. Zeitweiße war es nur noch ein kleiner Teil der Teilnehmenden am Kundgebungsort. Manche waren fest und andere latent dazu entschlossen den Ort zu erreichen. Wieder andere schienen erstmal nur schauen zu wollen.

Die Anwesenden an diesem Tag waren zu 99,9 Prozent friedliche Menschen, das haben sie zuvor und auch vor Ort immer wieder deutlich gemacht.

Weder war dies ein Mob der den Bundestag stürmen wollte um ihn von Reptiloiden zu befreien und Minister:Innen zu hängen, noch war es das Ziel bspw. die RWE-Konzernzentrale in Schutt und Asche zu legen.

Die Protestierenden traten mit einer Menge Rückenwind an: dem wissenschaftlichen Konsens um die menschengmachte Klimakatastrophe, dem völkerrechtlich relevanten Pariser Klimaabkommen, dem Artikel 20a des Grundgesetzes, sowie den von der Bundesregierung eigens auferlegten Klimazielen und der Rechtsprechung durch die Klimaklage aus dem Jahr 2021.

Es handelte sich also um ein Anliegen das durch Wissenschaften, Grundgesetz, Verfassung, oberste deutsche Rechtsprechung, Völkerrecht und eigens gesteckte Zielen der Bundesregierung begründet war.

Dem Gegenüber stand ein wissenschaftlich nicht haltbarer Kompromiss, dessen energiepolitische Notwendigkeit durch wissenschaftliche Studien widerlegt und dessen Torpedierung der deutschen Klimaziel wiederum belegt wurden.

Die einzigen Fakten auf Seiten von RWE und der NRW-Landesregierung wurden durch Profitinteressen geschaffen.

Polizeigewalt steht außerhalb des demokratischen Spektrums

Dass die Polizei dazu verpflichtet ist Eigentum zu schützen, mag in so mancher Hinsicht eine Notwendigkeit sein. So kann nach dem aktuellen Eigentumsverständnis nicht angeeignet oder enteignet werden wie es Jeder/m beliebt.

Doch in Lützerath ergab sich ein Konstellation die weit darüberhinaus geht.

Insgesamt haben sich schätzungsweise an die 20.000 Menschen dazu entschieden, sich auf den Weg nach Lützerath zu machen. Das wichtige Detail dabei; sie waren um ein Vielfaches mehr als die Polizist:Innen vor Ort.

Spätestens ab dem Punkt als die Einsatzleitung der Polizei dies bemerkte, hätte sie deeskalieren müssen.

Doch wie hätte das aussehen können?

Da - wie oben dargelegt - weder für die Protestierenden noch für andere Beteiligte und Unbeteiligte eine unmittelbare Gefahr ausging, hätte die Einsatzleitung den vollständigen Rückzug anordnen müssen.

Nun mag das Areal juristisch korrektes Eigentum von RWE sein, daraus ergab sich jedoch kein unmittelbares Anliegen, dass durch eine erneute Besetzung hätte unterlaufen werden können.

Der Polizeieinsatz und darin eingefasste vorsetzlich Körperverletzungen passierten ohne jegliche Rechtfertigung.

Außer unser Demokratieverständnis sieht es vor, dass Menschen durch die Polizei schwer verletzt werden, um ein leeres Grundstück zu schützen.

Dieser Samstag hat Deutschland einen großen Schritt weiter in einen repressiven Polizeistaat verwandelt und ein weiteres Mal der Demokratie eine Tritt verpasst.

Ein mutiger demokratischer Staat hätte in Lützerath einen Präzedenzfall geschaffen

Es ist fatal und gefährlich, das politische Entscheider:Innen nicht verstehen, welche Chance der Fall Lützerath für unsere Demokratie bieten könnte.

Doch statt mutige Schritte zu wagen und sich einem völlig überholten Verständnis von Eigentum entgegenzustellen, haben die Ampel und die NRW-Regierung unserer Demokratie großen Schaden zugefügt.

Ein mutiger demokratischer Staat, der verstanden hat in welcher Katastrophe wir uns befinden und auf welches Desaster wir zusteuern, hätte mit Lützerath einen Präzedenzfall schaffen können.

Dieser Präzedenzfall hätte sich dadurch auszeichnen können, dass ein korrupter und profitgieriger Konzern ohne Entschädigung enteignet wird.

Ein mutiger demokratischer Staat hätte es darauf ankommen lassen, von diesem Konzern verklagt zu werden.

Ein mutiger demokratischer Staat versteht, dass die Bearbeitung der aktuellen sozialökologischen Frage nur bewerkstelligt werden kann, wenn wer ein neues Verständnis von Eigentum und darauf aufbauend neue Eigentumsverhältnisse schafft.

Wen der einzige Mut eines demokratischen Staates darin liegt, einen verlassenen Ort, dessen Bedeutung für das Land und die Gesellschaft lediglich in der Befeuerung der Klimakatastrophe liegt mit brutalster Polizeigewalt zu schützen, dann haben wir einmal mehr ein tiefgreifendes Demokratieproblem.

Die Knüppel auf unseren Köpfen, die Faustschläge in unsere Gesichter, die Tritte in unsere Magengruben und die vielen gebrochenen Knochen, haben uns nicht nur die Polizist:Innen zugefügt, es sind die Taten unserer politischen Vertreter:Innen.

Unsere Wunden sind Zeugnis eines tiefgehenden politischen Versagens.

Das werden wir euch nie vergessen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tino Pfaff

Umweltaktivist, Campaigner, Sozialarbeiter/-pädagoge, Student MA Gesellschaftstheorie

Tino Pfaff

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