Bezahlkarten für Asylsuchende: Vorwort über die Kontrollgesellschaften

Kolumne Asylsuchende in Deutschland sollen Gelder in Form von Bezahlkarten erhalten. Das ist nicht nur rechte Symbolpolitik und Schikane, sondern auch ein Testlauf für eine neue Form der Überwachung
Entscheidet bald die Bezahlkarte, was geflüchtete Menschen in Deutschland kaufen dürfen?
Entscheidet bald die Bezahlkarte, was geflüchtete Menschen in Deutschland kaufen dürfen?

Foto [M]: Pond5 Images/Imago Images

In Deutschland läuft derzeit ein, man muss es so nennen, perverses technopolitisches Experiment, das regelmäßig Schlagzeilen macht: Die Bezahlkarten, mit denen verhindert werden soll, dass Asylsuchende ihre kaum existenzsichernden staatlichen Hilfen in die Heimat schicken. Dieses Phänomen kann zwar niemand nachweisen, aber Fakten würden den Populismus des Ganzen eh nur stören. Sagen wir’s wie es ist: Die Bezahlkarte ist ein Produkttest. Stiftung Warentest für Kontrollmechanismen Made in Germany und Tested on Leuten, die sich nicht wehren können.

„Es ist einfach, jede Gesellschaft mit Maschinentypen in Beziehung zu setzen, nicht weil Maschinen determinierend sind, sondern weil sie Gesellschaftsformen ausdrücken, die fähig sind, sie ins Leben zu rufen und einzusetzen“, schreibt der französische Philosoph Gilles Deleuze in seinem hellsichtigen Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, an das ich während der Berichterstattung über die Karten immer wieder denken musste. Technologien spiegeln stets die Umstände wider, in denen sie entwickelt und eingesetzt werden. In einer solchen Lesart ist die Bezahlkarte für Asylsuchende ein mehr als unheilvolles Omen im technologischen Kaffeesatz einer nach rechts rutschenden Bundesrepublik. Doch der Reihe nach.

Die Karte wurde schon vor Monaten beschlossen, doch da die Bundesländer ein großes Maß an Freiheit bei der Gestaltung der Karten genießen, zeigt sich erst langsam das wirkliche Ausmaß der Schikane. Hamburg begrenzt Bargeldauszahlungen auf gerade einmal 50 Euro im Monat. In Greiz, Thüringen, darf die Karte nur innerhalb der Stadt genutzt werden, was Asylsuchende effektiv einsperrt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Bundesland beschränkt, in welchen Läden man mit der Karte bezahlen kann – technisch möglich ist es.

Die Bezahlkarte ist eine neue Form der Überwachung

Wenn wir an einen Überwachungsstaat denken, denken wir meist an George Orwell. Doch 1984 ist heute etwas angestaubt, wurde von abertausenden Vergleichen überstrapaziert und ausgehöhlt und wirkt mit seinen Kameras in der Wohnung, Spionen an jeder Ecke und seiner Gedankenpolizei erschreckend low-tech und altbacken. Es hat sich den Status als Pflichtlektüre verdient, jedoch aus literarischen und längst nicht mehr aus politischen Gründen.

Zeitgemäßer erscheint hier Deleuzes Postskriptum. Hier ist Überwachung abstrakt, algorithmisch und flexibel. Er stellt sich unter anderem eine Stadt der Zukunft vor, „in der jeder seine Wohnung, seine Straße, sein Viertel dank seiner elektronischen […] Karte verlassen kann, durch die diese oder jene Schranke sich öffnet; aber die Karte könnte auch an einem bestimmten Tag oder für bestimmte Stunden ungültig sein; was zählt ist nicht die Barriere, sondern der Computer, der die – erlaubte oder unerlaubte – Position des einzelnen erfaßt“ – es ist alles zu nah an der Realität, um witzig zu sein.

Es ist einfach, die Bezahlkarte als Symbolpolitik nach rechts abzutun, doch das fasst es nicht vollständig. In Wahrheit sind es Dehnungsübungen einer neuen Form von Überwachung, ein Testlauf zulasten der Gruppe, die derzeit die schwächste Lobby im nach rechts lechzenden Bundestag hat. Über die weitere Ausbreitung wird längst diskutiert. Abgeordnete von Union und FDP fordern bereits, die Bezahlkarte auch für Bürgergeldempfänger:innen einzuführen – wann knickt die nächste Partei ein? Welche Gruppe guckt man sich als nächstes aus?

Um zum Zitat am Anfang zurückzukehren: Welche Gesellschaftsform ist fähig, solche Technologien ins Leben zu rufen oder zu nutzen? Die Antwort muss hier verkürzt bleiben: Eine, die gerade die Büchse der Pandora öffnet. Denn mit der Bezahlkarte gilt dasselbe wie mit jeder anderen Demo-Version rechtspopulistischer Politik. Man ist niemals so gut wie the real thing, man wird immer von denen überflügelt, denen man da nacheifert. Alles, was man tut, ist zu normalisieren. Alles, was man tut, ist das Vorwort zu schreiben, für das, was folgt.

Maschinentext

Titus Blome beschäftigt sich in seiner Kolumne Maschinentext mit neuen Technologien.

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