Neulich, bei der Verleihung der Golden Globes, rührte sich die Schauspielerin Meryl Streep selbst zu Tränen, als sie gegen Donald Trump das Wort ergriff. Es war, wenn man so will, nur die Bestätigung des Diktums Stefan Zweigs, wonach jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich birgt und keine Wirkung hat, nichts als selbstgefällig ist.
Das Einrennen offener Türen ist selten eine Tugend. Andererseits lässt sich das preaching to the choir in der Populärkultur kaum vermeiden – wer Fans hat, spricht nun einmal in erster Linie zu seinem Kreis. Kritisch betrachtet, macht die Antilopen Gang aus Düsseldorf und Aachen mit ihrem zweiten Album Anarchie und Alltag genau das. Schon auf ihrem Debüt Aversion standen Danger Dan, Koljah und Panik Panzer auf der richtigen Seite – sie bezogen Stellung gegen Nazis und Homophobie, gegen Verschwörungstheorien und Chemtrails. Themen also, auf die sich die Besonnenen längst verständigt haben. Große Aufmerksamkeit erlangte ihr Song Beate Zschäpe hört U2, der verdientermaßen in gleich alle Richtungen schoss.
Wir ahnen es
Aber nicht nur in Zeiten antisemitischen Irrsinns, wie er durch Rapper wie Kollegah in die Szene getragen wird, sollten wir für die Gegenstimme der Antilopen Gang dankbar sein. Schaut man sich die Mühen im Ground Game gegen rechts an, die die Punk-Band Feine Sahne Fischfilet seit Jahren auf sich nimmt, ahnen wir, dass es etwas jenseits der rührseligen Widerstandsgeste gibt. Die Bands verbindet ein gemeinsames Anliegen; im 2015 veröffentlichten Video Verliebt küssen sich Danger Dan und Fischfilet-Sänger Monchi Fromm, spätestens da galten die Antilopen als politisch. Zugegeben, auf Anarchie und Alltag reizen sie ihre Dissidenz bisweilen aus, so beginnt das Album mit dem Song „Trojanisches Pferd“: „Haben viel dafür getan, es in die Schweinwelt zu schaffen / Mit dem einzigen Ziel, sie dann einstürzen zu lassen. / Und mit der Tarnung als studentische Rap-Band, / Dringen wir vor in das Zentrum der Bestie.“ Den Verwertungsketten fügt sich das Album dennoch – so erscheint die Platte in einer „Doppel-CD-Deluxeversion mit Bonus-Album“, was nicht gerade nach Umsturz und Revolution klingt.
Neben plakativen Songs wie „ALF“, „Pizza“ oder „Tindermatch“ finden sich Perlen, etwa wenn Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen in „Fugen im Parket“ singt: „Und irgendwo da unten, verlorenes Potenzial. / Die Parallelgesellschaft der Loser an der Bar.“ Apropos Parallelgesellschaft, gelungen ist die Abrechnung mit der verbliebenen Rote Armee Fraktion. In „RAF Rentner“ heißt es: „Scheinbar war’n sie pleite, jedenfalls haben sie Geld gebraucht. / Ich stelle mir das witzig vor, die seh’n wie meine Eltern aus. (…) Das ist also, was von der Revolte übrig bleibt, / Wenn die Bullen sie nicht kriegen, regelt es die Zeit.“ Es ist eine überzeugte, gut getimte Stimme, die auf der gesamten Platte Widersprüche benennt.
Und während Meryl Streep in erster Linie sich selbst und einen Saal voller Millionäre adressierte, dürfen wir davon ausgehen, dass ein ungleich höheres Risiko eingeht, wer Zeilen wie diese singt: „Wäre es nicht praktischer, wenn da wo vorher Deutschland war / In ein paar Jahren ein Baggersee entsteht? / Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton. / Komm, wir bomben einen Krater, und dann fluten wir das Loch.“ Eine Lösung ist das nicht, eine Haltung schon.
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Anarchie und Alltag Antilopen Gang JKP
Kommentare 2
da nun alles sofort aufgesogen wird vom pop und dann für immer pop ist, interessieren zeilen wie:
„Haben viel dafür getan, es in die Schweinwelt zu schaffen / Mit dem einzigen Ziel, sie dann einstürzen zu lassen. / Und mit der Tarnung als studentische Rap-Band, / Dringen wir vor in das Zentrum der Bestie.“
... wie früher eine frisur, derzeit ein tatoo. alles im grunde wurscht, gelle. und jeder weiß schon, die werden natürlich gar nix einstürzen lassen. man mag (als fan), dass sie ein märchen erzählen, in dem sie es tun. aber da wird keine polizei das konzert stürmen müssen. kein bayrischer rechtsaußen wird seine zombies zur kassettenvernichtung in die kinderzimmer schicken, und die fans werden am nächsten tag tun, was sie gestern taten, garantiert.
und so wirkt alles kalkuliert, gerade wegen der revolutionsattitüde, und das ist natürlich teil des dilemmas, an dem, konkret, die antilopen und von mir aus frau streep nicht schuld sind, sondern leiden. (wenn man es denn als leiden sieht, wenn "trojanisches pferd" im ÖR läuft und frau streep weltweit im fernsehen weint.)
vielleicht hätten sie das blut auf musikalischer ebene zum kochen bringen können. aber da kann ich nur spekulieren. ich wollte das mögen, übrigens!
Okay – die Hausband der Antideutschen hat frische politische Programmatik in Töne und Reime gefasst – die A-Bombe auf Germany als reimtechnisches Bomber-Harris-Zitat gehört da natürlich ebenso mit dazu wie Stairway to Heaven als Zugabe bei einem Led Zeppelin-Konzert. Haltung ist das sicherlich – nur was für eine? Irgendwie kommt mir die Programmatik der Band vor wie die gesammelte Agenda aller Identitätslinken (oder jedenfalls derem entschiedenen Anti-Rechts-Flügel). Sollte man wissen – auch wenn ich persönlich jetzt nicht der Ansicht bin, dass sie man partout nicht hören sollte (das soll jede und jeder mit sich allein abmachen).
Gefehlt hat mir in der Rezension eine Bezugnahme auf ihre direkten Antipoden – K.I.Z. So wie man Fehlfarben nicht verstehen und würdigen kann ohne das Gegenmodell Ideal, ist die Antilopen Gang letztlich nicht verstehbar ohne den Vergleich mit der ähnlichen, letztlich jedoch deutlich anderen Formation aus Berlin. Was K.I.Z. haben – den Zynismus, die leckt-mich-am-Arsch-Attitüde, den Spaß am Experimentieren, aber auch die popkulturelle Leichtigkeit –, kontert die A-Gang mit puritanisch-düsterer Es-ist-fünf-nach-zwölf-Haltung sowie dem verbittert in die Luft gestreckten Zeigefinger des altlinken Sozialpädagogen.
Kurzum – vergleicht man die Front-Acts der derzeitigen Party-Antifa mit den linken Spitzenbands der Achtziger, nehmen Antilope Gang zweifelsohne den Part der Schmetterlinge ein: politisch bis aufs gescheitelte Haar korrekt, (weitgehend) richtig in den Ansagen, allerdings nur bedingt partytauglich. K.I.Z. hingegen stehen eindeutig für die Party-Fraktion und demzufolge eher in der Tradition der Scherben – nicht so stramm auf Linie gepolt, dafür jedoch eher Magnet für all diejenigen, die existenziell die Fresse dick haben.