Yves und Joseph im Jacuzzi

Musik Bei der Saarbrücker Rap-Crew Genetikk gehört die Uneindeutigkeit zum Selbstbild
Ausgabe 49/2016

Von allen Subkulturen ist Hip-Hop wohl die schizophrenste. Nirgendwo sonst stehen Credibility und Realness derart hoch im Kurs – und in so krassem Gegensatz zur Wirklichkeit. Wäre es anders, säßen Haftbefehl, Bushido und Kollegah nicht vor ihren prallgefüllten Einkaufstüten, sondern im Gefängnis. Immerhin verprügeln sie ja rund um die Uhr Menschen, verkaufen Drogen oder hehlen mit schwerem Schießgerät.

Während kein Fan von Tim Bendzko (hoffentlich) davon ausgeht, er habe tatsächlich alle 148.713 Mails gecheckt, wollen die Fans der genannten Epigonen ja irgendwie doch, dass sich das alles so zugetragen hat. Was für Obama die Geburtsurkunde, ist für jeden kommenden Gangsta-Rapper der Eintrag im Strafregister – CVs können auch nach unten optimiert werden.

Die Selbstbehauptung ist konstitutiv für den Hip-Hop, wie bei allen Kunstformen aber wird es dort spannend, wo die Zeichen uneindeutig werden. Haftbefehl gelang dies, als er im Video zu Saudi Arabi Money Rich eine Gang orthodoxer Juden auftreten ließ, und bei der aus Saarbrücken stammenden Crew Genetikk soll die Uneindeutigkeit gar zum Selbstbild gehören.

Nun ist das fünfte Studioalbum von Rapper Karuzo und Produzent Sikk erschienen, es heißt Fukk Genetikk und enthält alles, was Hip-Hop schon immer zum anschlussfähigsten Genre im Kapitalismus machte: Konsum und Affirmation; von Yves Saint Laurent bis Joseph Beuys und Tiffany wird hier alles in einen Jacuzzi gekippt – erfreulicherweise aber unterscheiden sich Genetikk von Rappern wie ihrem einstigen Label-Kumpel Kollegah: Der Lifestyle bei Genetikk kennt Widersprüche.

Am deutlichsten wird das bei einem der stilistisch spannendsten Tracks, der so heißt wie das Album und weitestgehend auf Reime verzichtet: „Glaubt ihr, dass euer Glück währt? / Ist das ein Scherz? / Ihr werdet das alles verlieren / Man kann nichts besitzen / Das ist nur geliehen / Ihr tragt eine Breitling und fühlt euch wie Herren der Zeit / Reich, berühmt, gehypt, geliebt, belügt / Euch selbst genügt die Welt / Ich glaube nicht.“ Während man bei Kollegah immer das Gefühl hat, er habe sein mangelndes Talent für Rhythmus und Sprache so lange mit der Stoppuhr auszutreiben versucht, bis er zwar kein bisschen besser, dafür aber doppelt so schnell rappen konnte wie alle anderen, spürt man bei Karuzo ein Taktgefühl, das sich nicht strecken muss – auch live ist das zu beobachten. Zum ausverkauften Release-Konzert in Berlin pilgerten 2.000 Kids, und Karuzo verfügt derart über Timing und Stimme, dass tatsächlich so etwas wie Partystimmung aufkommt. Eine aufs Wesentliche reduzierte Show, die nicht mehr braucht als gute Beats und einen Rapper mit Präsenz.

Genetikk ist eine der erfolgreichsten Crews des Landes, bei Facebook zeugen davon eine halbe Million Fans, doch Kritiker gibt es: zu hochoptimiert, zu professionalisiert, mit eigenem Modelabel und ausdifferenzierter Verwertungskette – dazu kommt, dass Red Bull das Album finanzierte, Studios stellte und für die Promo sorgt. Mit ihrem Albumtitel versuchen sie diese Kritik schon im Vorfeld zu brechen, der Sell-out ist eingepreist. Kann man machen. So heißt es in Saint Laurent: „Ich mach Vampire aus den A&Rs / Ich mach alle Labels arm / Ihr müsst mehr bezahln, mehr bezahln / Jedes Jahr, jedes Jahr, mehr bezahln, jedes Jahr.“

Ihr Lifestyle, das weiß Genetikk, ist mit Blut erkauft, und niemand ist unschuldig – außer vielleicht Kollegah, denn der rettet gerade mit Pseudodokumentationen aus Palästina das Morgenland. Ihm ist nicht mehr zu helfen. Bei Genetikk indes bekommt die Selbstbehauptung Risse, so ist das im Endstadium der Schizophrenie. Und da wir letztlich alle Genetik(k) sind, bedeutet Fukk Genetikk eigentlich: Ecce homo. Oder: Fick dich selbst.

Info

Fukk Genetikk Genetikk Selfmade Records

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden