Die Ökonomie des deutschen Zeitungsmarktes

Medien Der Zeitungsmarkt in Deutschland ist bestimmt von Ökonomisierung und Konzentration. Der Markt treibt die Zeitungen in diese Richtung.

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Die wichtigen Aufgaben des klassischen Journalismus

In seinem Buch „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ beschreibt Habermas (2022) neue Herausforderungen für den öffentlichen Diskurs. Durch die sozialen Medien konnten viel mehr Menschen mit ihrer Position in die Öffentlichkeit treten und dadurch den Diskurs mitprägen. Das könnte als eine Demokratisierung des Diskurses verstanden werden. Habermas konstatiert hingegen negative Folgen für den Diskurs. Diese äußern sich in einem Abflachen der inhaltlichen Qualität der Debatte und auch dem Aufschwung antidemokratischer Kräfte und Einstellungen. Durch diese negativen Folgen der Verlagerung der Öffentlichkeit auf die sozialen Plattformen sieht Habermas eine besondere Verantwortung für die klassischen Medien und einen Journalismus, der eine Öffentlichkeit in der Argumente und Wahrheiten rational abgewogen werden, möglich machen kann (Habermas, 2022).

Trotzdem kriselt es zunehmend

Dennoch steht es um diesen Journalismus nicht besonders gut. Der Journalismus ist eine Branche im Umbruch – nicht nur im guten Sinne. Nicht zuletzt hat die Digitalisierung die Branche tiefgreifend verändert. Insgesamt hat die Zeitungsbranche mit einem Rückgang der Auflage und damit einer Verschlechterung der finanziellen Situation zu kämpfen. Das betrifft nicht nur einzelne Medien, sondern die Branche insgesamt. Journalistische Medien, die sich nicht in der Krise befinden, sind heute eher die Ausnahme und weniger die Norm. Die Auflagen der deutschen Tageszeitungen sinken kontinuierlich schon seit Jahrzehnten. Im Jahr 2021 beträgt die Gesamtauflage nicht einmal mehr die Hälfte des Jahres 1991 (Statista, 2021).

Der Journalismus ist Teil der medialen Öffentlichkeit und soll darin funktional zu einem kritischen Diskurs innerhalb der Gesellschaft beitragen. Das unterstellt dem Journalismus eine machtbeobachtende und -einschränkende Rolle. Doch hier bilden sich erste Widersprüche mit der ökonomischen Realität ab. Jarren und Weßler (2002) konstatieren einen vermehrten ökonomischen Druck auf die Redaktionen. Dies führt dazu, dass in der redaktionellen Arbeit verstärkt eine Orientierung an ökonomischen Sachverhalten (Auflage, Verhalten des Werbemarktes und Ähnliches) und weniger an journalistischen Qualitäten (langfristige Recherche, unabhängige Prüfung von Meldung und so weiter) statt findet (Jarren & Weßler, 2002). Es erscheint vor diesem Hintergrund fraglich, ob der Journalismus seine kritisierende und kontrollierende Funktionen auch in der Zukunft noch wird vollständig wahrnehmen können.

Aktuell findet eine starke Konzentration im Zeitungsmarkt statt. Das drückt sich in einem Zeitungssterben und in Zusammenlegungen von ehemals getrennt arbeitenden Redaktionen und einer Ansammlung der Zeitungen in immer weniger Verlagen aus. Diese Konzentration ergibt sich aus der Tatsache, dass Zeitungen nicht nur Publikationsorgane sind, sondern Unternehmen, die auf einem Markt stattfinden und sich auf diesem gegen Konkurrenten durchsetzen müssen. Unterliegen sie in diesem Konkurrenzkampf verschwinden sie vom Markt. Dieses Verschwinden äußert sich im besagtem Zeitungssterben. Daraus folgt wiederum, dass die Zeitungen, die auf dem Markt verblieben sind, sich an die veränderten Spielregeln der Konkurrenz anpassen müssen. Anderenfalls werden sie ebenfalls durch die Konkurrenz in den ökonomischen Ruin getrieben.

Es erscheint vor diesem Hintergrund fraglich, ob der Journalismus seine kritisierende und kontrollierende Funktionen auch in der Zukunft noch wird vollständig wahrnehmen können.

Die Konzentration auf dem Zeitungsmarkt

Die Konzentration findet auf unterschiedliche Arten statt und kann dabei unterschiedliche Form annehmen sowie unterschiedlich intensiv sein. Einzelne Zeitungen fusionieren oder werden von bestehenden Verlagen aufgekauft. Andere bilden eine intensive und langfristige Kooperation, weitere Redaktionen arbeiten hingegen nur kurz und bei spezifischen Aufgaben zusammen. Das alles schränkt die Selbstständigkeit der jeweiligen Redaktion ein (Jarren & Weßler, 2002).

Die typische Kostenstruktur hinter der Produktion einer Zeitung trägt zu der Konzentration bei. So sind die Fixkosten sehr hoch und die variablen Kosten verhältnismäßig niedrig. Ein größeres Unternehmen hat hier Vorteile gegenüber kleineren Unternehmen, weil die Fixkosten in beiden Fällen ähnlich hoch sind, die Umsätze mit einer hohen Auflage aber deutlich größer sind. Die Fixkosten pro produzierter Zeitungen sinken entsprechend mit der Höhe der Auflage. Es liegt eine Fixkostendegression vor. Vergrößert sich die Auflage einer Zeitung, so steigen die Kosten für die Produktion zwar insgesamt, aber die Produktionskosten für jede einzelne Zeitung sinken dabei (Jarren & Weßler, 2002).

Hierdurch haben große Zeitungen und große Medienhäuser schon durch ihre Größe einen Wettbewerbsvorteil. Sie können die Fixkostendegression nutzen, um ihre Zeitungen mit einem attraktiverem Preis anzubieten. Das wirkt sich positiv auf die Auflage aus und ist ein Wettbewerbsvorteil. Hieraus ergibt sich ein Anreiz zur Bildung großer Verlags- und Zeitungsstrukturen.

Die Konkurrenz treibt die Zeitungen vor sich her

Die ökonomische Situation der Medien hat sich in Europa auch durch eine veränderte Marktpolitik insgesamt verändert. Der Staat greift in diesen Markt weitgehend nicht ein und folgt eher einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Zwar gibt dies einigen Medien einen größeren Gestaltungsspielraum, der unabhängig von staatlicher Kontrolle stärker frei gefüllt werden kann. Das bedeutet ein höheres Ausmaß an Pressefreiheit. Jedoch findet zeitgleich ein stärkerer Eingang der Marktlogik in journalistische Entscheidungsprozesse statt. Ökonomisches Kalkül ersetzt staatliche Regulierung. Hieraus ergeben sich veränderte Einflüsse auf die Berichterstattung. Die Folge aus dieser Logik ist ein Konkurrenzkampf, der vor allem um den Preis geführt wird. Durch die Fixkostendegression konzentriert sich das Eigentum zunehmend (Beck, 2018).

Die ökonomische Konkurrenz auf dem Zeitungsmarkt drückt sich in einer Verminderung der absoluten Zahl von publizistischen Einheiten ab. Mit publizistischen Einheiten sind unabhängige Redaktionen gemeint. Seit der Vereinigung von West- und Ostdeutschland ist fast ein Viertel dieser unabhängigen publizistischen Einheiten verschwunden (1991: 158; 2017: 120) (Beck, 2018). Darin drückt sich eine ökonomische Krisenlage und eine ökonomische Konzentration aus, weil das bestehende Zeitungsangebot von einer abnehmenden Anzahl an Redaktionen betreut wird. Diese Abnahme geschieht zum Beispiel durch das Zusammenlegen von vorher getrennt arbeitenden Redaktionen (Beck, 2018). Das Angebot an Zeitungen sinkt insgesamt (statista, 2022). Gleichzeitig verantwortet eine abnehmenden Anzahl von Redaktionen die verbliebenen Zeitungen (Beck, 2018).

Diese Veränderungen werden auch durch die Konkurrenz zwischen den Unternehmen und Verlagen hinter den Zeitungen getrieben. Durch das Zusammenlegen von Redaktionen kann Personal abgebaut und dadurch Kosten eingespart werden. Gleichzeitig kaufen Verlage andere Verlage und vormals unabhängige Zeitungen auf, was die Konzentration weiter erhöht. Um weiter die Kosten der Redaktionen zu verringern, wächst die Kooperation zwischen einzelnen Redaktionen. Auch das senkt die Zahl unabhängiger Redaktionen. Aus diesem Grund ist die Zahl von 120 publizistischen Einheiten im Jahr 2017 auch kritisch einzuordnen, weil die Grenze, ab wann eine Kooperation so intensiv ist, dass es sich um eine einzige publizistische Einheit handelt, nicht klar definiert werden kann (Beck, 2018). Potentiell wird deshalb die Anzahl unabhängiger publizistischer Einheiten sogar überschätzt.

Externe Eingriffe in den Markt gegen diese Konzentration blieben aus. Kartellrechtliche Schritte gegen Fusionen oder Übernahmen haben nicht oder nur im geringem Umfang statt gefunden. Ordnungspolitische Schritte gegen die Formen der Konzentration wurden ebenfalls unterlassen (Beck, 2018).

Hierdurch bilden sich teilweise monopolartige Strukturen. Auf der lokalen Eben existiert in der Regel nur noch (wenn überhaupt) eine einzige Zeitung, sollten es mehrere Zeitungen geben, werden diese häufig von dem selben Verlag herausgegeben und von der gleichen Redaktion erstellt. Beispielweise bestehen in Sachsen-Anhalt im gesamten Bundesland lediglich zwei publizistische Einheiten. Auch auf dem Boulevard-Markt hat der Axel Springer Verlag einen Marktanteil von 80% (Beck, 2018).

Es ist wichtig, dass Tageszeitungen auf zwei verschiedenen Märkten tätig sind. Auf dem Lesermarkt sind die Leser Kunden. Sie erwerben die Zeitung als Produkt. Gleichzeitig sind auch werbende Unternehmen oder andere Institutionen Kunden der Tageszeitungen auf einem Werbemarkt. Diese erwerben die Werbeplätze in den Zeitungen. Aus den Einnahmen auf beiden Märkten resultieren zusammen die gesamten Einnahmen der Zeitungen (Beck, 2018).

Insgesamt schrumpft der Markt an sich, was sich in schrumpfenden Auflagezahlen quer durch die Landschaft der Tageszeitungen ausdrückt (statista, 2022). Die drei Hauptgründe hierfür sind demografische Veränderungen, eine veränderte Form der Mediennutzung und eine größere Konkurrenz zwischen verschiedenen Medien (Beck, 2018). Die Einnahmen aus dem Lesermarkt sind entsprechend rückläufig.

Auf dem Werbemarkt sieht es nur bedingt besser aus. Hier hat sich die Konkurrenz um die zahlungskräftigen Werbeetats verschärft. Die Marktstellung von Zeitungen leidet unter den Angeboten von neuen Anbietern wie den sozialen Medien, die sich hier als effizienter darstellen können. Damit stehen die Zeitungen auch auf ihrem zweiten Markt stark geschwächt dar.

Mit der sich verschärfenden doppelten Marktsituation treten die Zeitungen in eine noch härtere Konkurrenz gegeneinander ein.

Wie geht es weiter?

Aktuell ist keine Trendumkehr in Sicht. Die freie Marktdynamik treibt die meisten Zeitungen in den langsamen finanziellen Ruin, während die Übrigen den Markt zunehmend monopolisieren. Gleichzeitig zersplittert die Öffentlichkeit weiter in kleine Teilöffentlichkeiten.

Es erscheint äußerst fraglich, ob sich daran in der näheren Zukunft etwas ändern wird. Immerhin ist die Situation in ihrer Tendenz auf dem Zeitungsmarkt zwar nicht begrüßenswert, erscheint aber in ihrem Abwärtstrend stabil. Staatliche Eingriffe in den Markt könnten daran potentiell etwas ändern. Ob das wirklich wünschenswerter ist, ist aber fraglich, weil das für die mediale Staatsunabhängigkeit gefährden kann.

Trotzdem sollte man nicht verzagen. Eine Krise kann immer auch einen Wendepunkt bedeuten. Der Diskurs in den sozialen Medien ist in großen Teilen chaotisch und irrational. Die Kontrolle der großen „Gatekeeper“, der großen Medienhäuser, war in der Vergangenheit auch ein großes Problem. Eine Synthese aus diesen zwei Gegenpolen wäre wünschenswert.

Auch sind die dargestellten Probleme der Zeitungen aus der Dynamik ihres Marktumfelds zu erklären. Vielleicht finden sich ja hier doch Hebel an denen man für eine grundsätzlich positive Entwicklung ansetzen könnte.

Quellen:

Beck, K. (2018). Das Mediensystem Deutschlands. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11779-5

Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik (Originalausgabe, erste Auflage). Suhrkamp.

Jarren, O., & Weßler, H. (Hrsg.). (2002). Journalismus—Medien—Öffentlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80379-5

statista (2021)Tageszeitungen in Deutschland—Auflage 2021. Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72084/umfrage/verkaufte-auflage-von-tageszeitungen-in-deutschland/

statista (2022) Infografik: Rückzug aus dem Lokalen. https://de.statista.com/infografik/17254/lokalzeitungen-in-deutschland/

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