Erotikshops in Ostdeutschland: Mit Dildos durch die Wende

Sexshops Für ihren Band „Provinzlust“ haben Uta Bretschneider und Jens Schöne die Erotikszene in Ostdeutschland inspiziert
Ausgabe 19/2024
Wunderbar unaufgeregt kommt der Band „Provinzlust“ von Uta Bretschneider und Jens Schöne daher
Wunderbar unaufgeregt kommt der Band „Provinzlust“ von Uta Bretschneider und Jens Schöne daher

Foto: Karen Weinert und Thomas Bachler

„Also“, liest man „flossen die angesparten Einnahmen aus der Kaninchenzucht in den Sexshop.“ War zu DDR-Zeiten mit Rammlern und Zibben gutes Geld zu machen, so setzte die Familie Heidler in der Wendezeit auf Dildos und Pornos. Ihr Landwirtschaftsbetrieb irgendwo in Südbrandenburg zwischen Herzberg und Falkenberg wurde zum „Geschäft für Ehehygiene“ umfunktioniert, wie das züchtiger hieß. Von solch skurrilen Geschichten zehrt die Leselust am Porträtband Provinzlust. Warum Sexspielzeug und Aquaristik unter einem Dach angeboten werden, ist dort zu lesen oder von überbordender Sexneugier gelernter DDR-Bürger. Fotos zeigen meist triste Außenansichten und Details wie ein Honecker-Porträt auf einer Vitrine voller Massagestäbe. Das unterhält, aber ein tieferer Blick, den das Autorenduo Uta Bretschneider und Jens Schöne ankündigen, bleibt verwehrt.

Mit dem Westen kamen die Sexshops. Legendär sind Bilder von Menschenschlangen auf dem Leipziger Markt, als vor der Währungsunion Beate-Uhse-Kataloge verschenkt wurden. Wie sich die Sexindustrie jenseits urbaner Räume entwickelte, ist weniger bekannt. Daher ist es ein Gewinn, dass die Autoren unter anderem nach Lauchhammer und Zwickau, llmenau, Aschersleben und Oschatz fuhren und die dortigen Sexshop-Besitzer befragten.

So ist zu erfahren, dass in Freiberg mutmaßlich der erste Sexshop Ostdeutschlands entstand und wie schwierig anfänglich die Logistik war: Westdeutsche Firmen lieferten nicht auf Rechnung, weil sie misstrauisch gegenüber den Neuunternehmern waren. Also reisten diese teilweise selbst mit Bargeld an, um die heiß gefragte Ware zu beschaffen. Denn die Ostdeutschen kauften anfangs „alles“, wie die Befragten über die Jahre der Goldgräberstimmung bestätigen. Wobei sich ein Fahrradsattel mit Vibration als Langzeitladenhüter herausstellen kann. Immer wichtig war die neutrale Tüte als unverfängliche Verpackung.

Apfel, Glühbirne, Womanizer

Die Porträts von Unternehmerinnen und Unternehmern sind hervorragende Beispiele, wie Menschen durch Transformationszeiten kommen, wie man in Umbruchzeiten lebt beziehungsweise überlebt. Die einen haben lustvoll den Neuanfang gewagt, andere eher zaghaft oder sich als notwendiges Übel in den Bereich bewegt. Bereut haben sie es nicht, auch wenn alle über die Zeit unter Anpassungsschwierigkeiten litten. Manche überleben, weil ihnen die Immobilie gehört, andere haben weitere Standbeine. Teilweise steht eine neue Generation bereit oder hat bereits das Familiengeschäft übernommen.

Leben in der Provinz: Auch hier fanden sich nach der Wende Erotikgeschäfte

Foto: Karen Weinert und Thomas Bachler

Ein buntes Potpourri haben Bretschneider und Schöne zusammengetragen, die vielen Fotografien bereichern den Band auf ihre Art. Zeigen sie doch, was man schon aus den Texten ahnt: Erotik sieht anders aus. Dafür sind die verbliebenen Erotik-Ecks, so viel ist herauszulesen, mal kleine Rückzugsräume ins Private, mal dienen sie auch als Kommunikationsorte und sind gerade von einer älter werdenden Gesellschaft dankbar angenommene Institutionen. Anfassen und ausprobieren sticht hier den Online-Handel aus.

Dass diese Sexshops noch existieren, überrascht. Daher ist es kein Manko, dass die Autoren ihr ursprüngliches Vorhaben aufweichen mussten, nur Läden in Dörfern zu besuchen. Warum aber Leipzig, Berlin und eine westdeutsche Kleinstadt als Kontrastfolie mit aufgenommen wurden, erschließt sich nicht. Gar störend wirkt das mitunter ungelenke Sprachhandwerk der Soziologin und des Historikers. Da geht es nicht nur um unsaubere, halb verständliche Formulierungen, sondern offen bleibende Fragen. Manche Aussage wird unhinterfragt übernommen, wo man es gern genauer wüsste. Mal sind Details unklar, wird etwa nicht erklärt, worum es sich bei einem Verkaufsschlager namens „Womanizer“ eigentlich handelt. Oder ob man es bei der verkäuflichen „‚Antiquität‘, die zum Teil noch von den Großeltern stammt“, mit etwas anderem als Nazi-Devotionalien zu tun hat.

In Gänze aber ist das Buch ein anekdotischer Fundus, aus dem herausklingt, wie normal für alle das Geschäft mit Sexartikeln ist. Sie verstehen sich als Kaufleute, die auch mit Äpfeln oder Glühbirnen hätten handeln können. Das ist hübsch unaufgeregt und nimmt dem Thema alle Exotik, die der Titel Provinzlust suggeriert.

Provinzlust. Erotikshops in Ostdeutschland Uta Bretschneider, Jens Schöne Mit Fotografien von Karen Weinert und Thomas Bachler, Ch. Links Verlag 2024, 224 S., 35 €

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