Eine Perle des World Wide Web

Ideologiekritik Wolfgang M. Schmitt junior betreibt im Netz ideologiekritische Filmanalyse.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im Internet findet man alles, heißt es. Das ist nicht ganz wahr. Vieles findet man und davon wiederum viel im Überfluss. Es gibt aber gewisse Dinge, die sind selbst im Web Mangelware.

Auf Youtube etwa wimmelt es von Nutzern, oft im Alter um die 16 Jahre, die der Meinung sind der Welt ihre Meinung zu Filmen und/oder Büchern kundtun zu müssen. Sie sitzen vor ihrer Webcam in ihrem Kinderzimmer und fangen an zu reden. Darüber, wie gut Taylor Lautner doch wieder im neuen Twilight-Teil aussieht und wie hingerissen sie doch ganz im Allgemeinen von den cineastischen Höhenflügen der Saga sind.Wer es gerne etwas differenzierter oder ganz allgemein professioneller hätte, der muss um einiges tiefer graben in den virtuellen Unweiten. Wer ganz tief gräbt, der stößt vielleicht einen Youtube-Channel namens „Die Filmanalyse“, betrieben von einem gewissen Wolfgang M. Schmitt junior. Auf eintausend Abonnenten hat er es mittlerweile gebracht, die meisten seiner Videos wurden bisher tausend bis zweitausend angeklickt - sonderlich viel, wenn man bedenkt, dass der im August verschiedene Youtube-Kritiker Franc Tausch mehr als 190 000 Abonnenten vorweisen konnte. Auffällig sind auch die vielen Dislikes unter so gut wie jedem Filmanalyse-Clip, die oft sogar die Likes überwiegen.

Und dennoch: Der Kanal ist eine wahre Netz-Perle. Er bietet kritische Analysen zu aktuellen Kinohits wie man sie so vielleicht nirgendwo anders im deutschsprachigen Internet findet.

Wer ist Wolfgang M. Schmitt junior? Nein, er ist kein älterer, ergrauter Herr, dessen Gesicht von einer Kastenbrille und einem ordentlichen Schnauzer dominiert wird. Es ist ein junger Mann, der da in jedem Video vor der Kulisse eines gut gefüllten Bücherregals in einem Sessel sitzt, neben dem ein kleiner runder Tisch samt Leselampe Platz findet.

Jedes Mal mit einem etwas anderen stilvoll-extravaganten Outfit und Styling widmet er sich er sich einer ganz besonderen Art der Filmbesprechung: Er will das Kino von ideologiekritischen Warte aus sezieren. Er knöpft sie sich alle vor, die scheinbar trivialen Unterhaltungsstreifen wie auch das Oeuvre von Christopher Nolan, dem Schöpfer der düsteren neuen Batman-Trilogie. Immer getreu dem eigenem Motto „Kino anders gedacht“.

76 Videos sind so schon entstanden. Nicht selten schwimmt Schmitt mit seiner Meinung gegen den Strom: James Camerons „Avatar“ etwa wurde von einer Mehrheit der Kritiker äußerst positiv aufgenommen, auch von einem ganz großen Namen der Branche, Roger Ebert, zeigte sich beeindruckt. Schmitt stellt sich in seinem Video zu „Avatar“ klar auf die Seite derer, die nicht müde werden darauf hinzuweisen, wie unglaubwürdig die Öko-Botschaft des Films sei, wenn man einmal bedenke dass alle vegetative Pracht doch nur computergenerierte Künstlichkeit sei.

Auch scheut er sich nicht, die Kultstatus genießende „Matrix“ zu demontieren – und zwar mit dem Hinweis darauf, dass die Wahl Neos zwischen den beiden berühmten Pillen in der Schlüsselszene der ersten Films eigentlich gar keine sei, genau wie die Wahl zwischen Republikanern und Demokraten, die beide nur zwei Gesichter des gleichen Systems darstellen.

Nicht immer stellt sich Schmitt junior gegen die Mehrheit der Kritiker. Die jüngste Verfilmung von Anna Karenina zum Beispiel fand er ebenso großartig wie auch der Großteil der Fachpresse. Auch die gesunde Abneigung gegen den Kitsch der Verfilmungen von Stephenie Meyers unseliger „Biss“-Reihe teilt er mit vielen Kollegen. Dennoch sticht seine Analyse zum letzten Twilight-Teil deutlich heraus aus all den Verrissen, die sich größtenteils damit begnügten, sich daran abzuarbeiten, dass das Protagonisten-Trio der Twilight-Reihe nicht schauspielern könne und die Geschichte auf seichtestem Niveau vor sich hin dümpele. Nein, Wolfgang M. Schmitt junior bemüht für seine Analyse den Philosophen Byung-Chul Han und sein Werk „Die Agonie des Eros“. Intelligenter hat wohl kaum jemand den Meyer'schen Schund auseinandergenommen. Überhaupt dürfen Sachliteratur und Belletristik bei der „Filmanalyse“ nie fehlen. Egal, welches ideologische Phänomen Schmitt junior in einem Film ausgemacht zu haben glaubt, es findet sich immer ein passendes Buch auf dem Tisch mit der Leselampe.

Man muss nicht immer mit den Kritiken einer Meinung sein. Wie auch Kulturkritiker Slavoj Zizek betrachtet Schmitt junior etwa die „Kung Fu Panda“-Kinderfilme als Vermittler einer gefährlichen, postdemokratischen Ideologie. Der titelgebende Panda übrigens entspreche Max Webers Definition eines „charismatischen Herrschers“ und erinnere in seiner Tollpatschigkeit an Silvio Berlusconi. Das alles erscheint dann doch etwas zu weit hergeholt, zu sehr an den Haaren herbeigezogen.

Es ändert jedoch nichts daran, dass „Die Filmanalyse“ ein wunderbares Stück-Internetkultur ist, das ein viel breiteres Publikum verdient hätte. Denn wir „schauen nur, aber wir sehen nicht“, wie Schmitt junior am Ende seiner Analysen gerne Tarkowski zitiert

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden