Ein Fußballfeld unter Flutlicht. Darauf spielen nicht die aus Afrika, Südamerika und Europa eingekauften Profis der katarischen Fußballliga (als bekanntester Spieler ließ einst der französische Weltmeister Marcel Desailly in Doha seine Karriere ausklingen). Nein, es handelt sich um Arbeitsmigranten aus Indien, Nepal, Sri Lanka und von den Philippinen, die gegeneinander antreten. Der Freizeitpark, vor zwei Jahren eröffnet, liegt im Ort Mesaieed, 40 Kilometer südlich von Doha. In den Genuss dieses Angebots kommen zwar nicht die Erbauer der WM-Infrastruktur, doch zeigt die Anlage, die von QAPCO – einer Tochterfirma des staatlichen Ölunternehmens Qatar Petroleum – betrieben wird, dass der Golfstaat Kritik an den Arbeits- und Lebensbedingungen seiner migrantischen Arbeiter zumindest in der Ölbranche ernst nimmt.
Der Organisationsstab für die Fußball-WM eifere QAPCO nach, beteuert Farah al-Muftah für das Supreme Committee. Die Juristin, eine offenkundig säkulare Katarerin, empfängt im 33. Stockwerk des eleganten Al Bidda Tower von Doha ganz ohne Schleier und hinterlässt den Eindruck energischen Engagements. „Für mich ist nicht wichtig, ob in den Medien positive oder negative Nachrichten stehen. Ich widme mich leidenschaftlich einer Mission, weil ich an Menschenrechte glaube“, meint sie.
Avenue in der Armutszone
Auf Farah al-Muftah gehen die neuen Standards des Supreme Committee zu Einsatz, Bezahlung und Unterkunft der WM-Arbeiter zurück. Danach werden die Rekrutierungsgebühren verboten und Unternehmen verpflichtet, Löhne pünktlich und in vollem Umfang zu zahlen. „Da haben wir noch ein paar Herausforderungen zu bewältigen“, gibt al-Muftah zu, ohne Details zu nennen. Mit den Standards ist auch eine Mindestqualität für die Unterkünfte festgelegt. „Wir kontrollieren das bereits bei der Bewerbung. Wenn eine bestimmte Kennziffer unterschritten wird, kommt der Kandidat gar nicht erst in den kommerziellen Wettbewerb.“ In ihrem ersten Halbjahresbericht 2014 hat Farah al-Muftah aufgelistet, dass zwei Drittel aller Wettbewerber wegen mangelhafter Quartiere nicht zugelassen wurden.
Fahim Sayad, Kraftfahrer aus Bangladesch, teilt sich einen etwa 20 Quadratmeter großen Raum mit fünf anderen. In der Küche gibt es zwei elektrische Doppelkochplatten, einen Tisch, vier Stühle. Nicht einmal der Essensdunst kann den allgegenwärtigen Schweißgeruch verdrängen. Sayad haust seit 15 Jahren in diesem Asyl der Trostlosigkeit, wie er erzählt. Täglich transportiert er Waren für den Venus-Hypermarkt um die Ecke. Es ist wahrscheinlich, dass mancher der momentan etwa 2.700 WM-Stadionarbeiter dort einkauft. Denn hier, in der Industrial Area Dohas, liegen nach den Angaben von Frau al-Muftah auch Behausungen des WM-Aufbaupersonals.
Das etwa acht mal acht Kilometer große Terrain am Rand der glitzernden Metropole Doha gilt nicht als beste Wohnadresse. Extravagante Wolkenkratzer wie am Meeresboulevard Corniche sucht man vergebens. Warenhäuser, Industrieanlagen und Wohnheime reihen sich wahllos aneinander. 52 Straßen, alle pedantisch durchnummeriert, durchschneiden in Ost-West-Ausrichtung das Gelände. Nie abreißender Lkw-Verkehr sorgt für eine Staubschicht, die sich auf Menschen, Fahrzeuge und Gebäude legt und auch die Schleimhäute bedeckt, lässt man den Mund zu lange offen stehen. Hier sind einige Hunderttausend der etwa 1,8 Millionen Arbeitsmigranten Katars untergekommen. Es gibt eine längere Ladenzeile, eine Art 5th Avenue in der Armutszone, dazu eine strahlend schöne Moschee und in etwa jedem dritten Karree einen Minimarkt und Schnellimbiss, oft beides kombiniert. Kinos oder Sportplätze: Fehlanzeige.
„Katar ist deprimierend. Hier kannst du nur arbeiten, essen und schlafen. Du darfst nicht tanzen, nicht singen, keinen Alkohol trinken. Das ist kein freies Land“, klagt Nabin, Gerüstbauer aus Nepal. Eine Million nepalesischer Rupien, knapp 9.000 Euro, habe er für die Vermittlung gezahlt. Sein Gehalt liege mit Überstunden bei 1.300 Rial (etwa 315 Euro), ein üblicher Tarif, deutlich über dem Mindestlohn von 900 Rial (225 Euro), den Nepal für seine ins Ausland geschickten Arbeiter vertraglich festschreiben ließ. Um die Rekrutierungsgebühr abzuzahlen, müsste Nabin theoretisch 28 Monate arbeiten, ohne krank zu werden. Überdies müssten seine Überstunden anstandslos bezahlt werden. Bei früheren Engagements in Katar hat er erlebt, dass der letzte fällige Lohn vor Ende des Arbeitsvisums einfach nicht ausgezahlt wurde. „Die schicken dich nach Hause, und du kannst nichts dagegen tun.“ All diese Misslichkeiten sollen die Stadionerbauer nicht erleben, verspricht Farah al-Muftah. „Wir stellen sicher, dass die Arbeiter keine Gebühren zahlen müssen und die Löhne ordnungsgemäß überwiesen werden – bis zum Schluss. Der Hauptauftragnehmer haftet für seine Subunternehmer.“
Das klingt besser, als es in der Praxis funktioniert, glaubt man den Arbeitsnomaden aus Nepal und Bangladesch. In Mesaieed, unweit der Mustersportanlage von QAPCO entfernt, liegen die zukünftigen Stadien als Rohmaterial. „Acht Millionen Tonnen Sand sind das“, erklärt ein Ingenieur der Qatar Primary Materials Company (QPMC), und weist auf die grauen Berge, die sich hinter dem Zaun erheben – der Grundstoff für die Betonschüsseln der Stadien. Extra für das WM-Infrastrukturprogramm vergrößerte QPMC seine Kapazitäten, ohne verbesserten Arbeitsstandards für seine Gastarbeiter übermäßig viel Aufmerksamkeit zu schenken. Doch kam auch dieses Unternehmen allein dank des Drucks der Regierung nicht umhin, wegen der beklagenswerten Zustände, denen sein migrantisches Arbeitsheer ausgesetzt ist, das Reglement ein wenig zu entschärfen.
„Es gilt jetzt eine Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag“, erzählt der Ingenieur. „Es wurde aber ebenso festgehalten, dass bis zu zwölf, notfalls auch 15 Stunden pro Tag erlaubt sind, wenn der Betrieb sonst wirtschaftliche Nachteile erleidet. Sie sagen natürlich immer, dass die drohen, falls es keine Überstunden gibt. Und nach wie vor ist es so, dass von vier Überstunden pro Tag den Arbeitern nur zwei bezahlt werden.“ Seinen Namen und die Nationalität will der muskulöse Mann aus Angst vor Repressionen nicht nennen. „Lieber nicht“, sagt er und beklagt, dass auch für ihn, einen Spezialisten mit abgeschlossenem Studium, die üblichen restriktiven Konditionen gelten. „Ich habe einen Fünfjahresvertrag, komme nicht raus und kann auch nicht meinen Arbeitgeber wechseln“, resigniert er.
Was dieser arabische Ingenieur benennt oder der nepalesische Bauarbeiter beschreibt oder wovon der Kraftfahrer aus Bangladesch berichtet – all das erfasst Realitäten, denen sich die meisten Arbeitsmigranten ausgesetzt finden. „Die horrenden Vermittlungsgebühren, der Zwang, den Pass beim Arbeitgeber abzugeben, das mangelnde Recht auf freie Arbeitsplatzwahl und Ausreise, verspätete und oft gekürzte Lohnauszahlungen sowie miserable Wohnbedingungen – das alles ist für sich genommen schon schlecht. Aber in der Summe wirkt es nur erschreckend und führt zu dem Urteil – das Regime der Zwangsarbeit besteht fort“, resümiert Nicholas McGeehan, Resident von Human Rights Watch in der Golfregion. McGeehan, der wegen seines Engagements für Arbeiterrechte im Nachbaremirat Dubai auf einer schwarzen Liste steht und dort nicht mehr einreisen darf, lobt andererseits Katars Offenheit, sich dieser teils höllischen Arbeitswelt zu stellen. „Es ist positiv, dass Journalisten und NGOs nach Katar kommen und recherchieren dürfen. Sie erhalten Zugang zu den Ministerien und den Arbeitercamps. Das eröffnet Möglichkeiten, die glauben lassen, man befinde sich nicht in der Golfregion. Und Katar arbeitet an Reformen.“ Allerdings greifen die für ihn zu kurz. Die Selbstverpflichtungen des WM-Managements könnten zu einer Spaltung des katarischen Arbeitsmarktes führen. „Es kann doch nicht sein, dass der Arbeiter auf einer WM-Baustelle zum Vorzeigeobjekt avanciert und gegen Zwangsarbeit sowie Menschenhandel geschützt ist – und für den Kollegen auf dem Nachbarareal, den Taxifahrer oder die Reinigungskraft genau das Gegenteil gilt.“ Dieses Subproletariat im WM-Ausrichterland hat zwar Human Rights Watch, nicht aber das Supreme Committee im Blick.
Auf dem Tagelöhnermarkt
Zu den Prekarisierten gehört Nurdeen, ein Rohrleger aus Bangladesch. Er teilt sich in einem Lagerhaus in der Industrial Area mit neun Landsleuten einen lichtlosen Raum. Nach Katar kam er mit einem sogenannten freien Visum. Es kostete das Doppelte einer normalen Einreise. „Das Geld gab mir mein Vater. Er verkaufte dafür ein Reisfeld“, erzählt Nurdeen. „Mit einem freien Visum kannst du 2.000 Rial (500 Euro) im Monat verdienen – mit einem, das dir dein Arbeitgeber besorgt, nur 1.000.“ Nurdeen umging damit auch die Zahlung der Vermittlungsgebühr. Allerdings bekam er in den neun Monaten, die er bislang in Katar lebt, nur Arbeit für vier Monate, und das unter ausbeuterischen Umständen. „Der katarische Arbeitgeber zahlte wirklich 2.000 Rial. Der Vorarbeiter, der mir den Job vermittelt hat, strich aber 1.000 davon ein.“ Dennoch geht Nurdeen wie Hunderte andere gleichmütig Tag für Tag auf den Tagelöhnermarkt in der Innenstadt Dohas, nur einen Steinwurf vom wundervoll hergerichteten Souk Waqif mit kleinen Cafés, Bistros und Läden entfernt, und hofft auf einen neuen Job.
Wie Katar dieses Problem lösen will, ist unklar. Die Praxis der freien Visa zeigt aber auch, welche Attraktivität der Golfstaat trotz allem für Arbeitsnomaden aus Mittel- und Südostasien besitzt. Dass sich WM-Auftragnehmer bei Termindruck dieser so wagemutigen wie entrechteten Tagelöhner bedienen, kann das Supreme Committee nur bei intensiver Kontrolle bemerken.
Mit gut 75.000 Beschäftigten rechnet Frau al-Muftah in der Hauptbauphase. Angesichts der insgesamt 1,8 Millionen Arbeitsmigranten – jährlicher Zuwachsfaktor zwischen 20.000 und 40.000 – ist das nur ein winziger Ausschnitt, immerhin einer mit Hebelpotenzial. Hin- und hergerissen zwischen den Polen Hoffnung und Fatalismus meint der Menschenrechtsaktivist McGeehan: „Wenn wir mit der großen Aufmerksamkeit, die einer Fußball-WM zuteilwird, keinen Wandel anstoßen, dann wird sich auf lange Sicht überhaupt nichts ändern.“
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