Beziehungskiste: Rot-Grün, das Denkwerk Demokratie und eine Randnotiz

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Wenn man einmal rekapituliert, wie das Verhältnis von SPD und Grünen in den vergangenen zwei Jahre war, entsteht ein großes Dramenbild: euphorische Annäherung und skeptischer Pragmatismus, große Rot-Grün-Renaissance und ebenso große Enttäuschung, Bündnisversprechen und Trennungsdrohungen, Koch und Kellner – die beiden Parteien haben alle Register gezogen. Nun kann man sagen, dass das der ausdifferenzierten politischen Landschaft entspricht, die mal diese und mal jene Antwort auf die Kooperationsfrage erfordert. Und weil die jeweiligen Antworten auch in SPD und bei den Grünen unterschiedlich ausfallen, ist das Ein-Lager-kein-Lager-Drama auch Abbild programmatischer und strategischer Konflikte.

Man konnte das gut nach dem Scheitern der rot-grünen Sondierung in Berlin beobachten, die umgehend eine grünen Streit um Eigenständigkeit, Koalitionsoptionen und das Maß an Offenheit gegenüber der CDU nach sich zog. In dieser Richtung ist bei der einstigen Ökopartei nach Angela Merkels Atomwende wieder mehr Luft, der Flügel der das ohnehin für eine Option hält, ließ nach der Hauptstadt-Konfrontation um die A100 ausrichten: „Das werden die Grünen der SPD nie vergessen.“ Während es in Nordrhein-Westfalen trotz Minderheitsregierung ganz gut läuft, knirscht es in Baden-Württemberg auch. Wie in Berlin geht es um ein großes Infrastrukturprojekt und da tun sich dann grundsätzliche Klüfte auf, die in den Zeitungen als Graben zwischen „Betonpartei“ und „Dagegen-Partei“ erläutert werden. Dass es in der SPD starke Kräfte gibt, denen eine Große Koalition lieber wäre, ist auch kein Geheimnis.

Und so wogt eine komplizierte Beziehung hin und her, jeder Trennungsandrohung folgt stets das nächste Bekenntnis, dass man aneinander ja doch noch das Beste habe. Letztere Stimmung will man nun in SPD und Grünen besser pflegen, jedenfalls gibt es Personen in beiden Parteien, die das Projekt einer gemeinsamen Arbeitsgruppe verfolgen. Sie soll nach Informationen der Süddeutschen Anfang des kommenden Jahres die Arbeit aufnehmen und den Namen „Denkwerk Demokratie“ tragen. Zu den Initiatoren gehören SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Es sollen zusammen mit Gewerkschaften, Umweltverbänden und anderen Organisationen politische Projekte diskutiert und erarbeitet werden.

Das Ganze erinnert an einen zunächst ausgebremsten Versuch, den Nahles und Lemke vor einem Jahr bereits machten. Damals war in der Zeitung von einem „Koordinierungsbüros“ die Rede, das laut SPD-Programmarbeiter Benjamin Mikfeld „Software für mögliche Koalitionen“ entwickeln und das intellektuelle Vorfeld eines politischen Bündnisses bestellen sollte. Der Vorstoß geriet umgehend unter die Räder der unterschiedlichen Interessen – manchem erschien ein solches Büro angesichts der mit der Idee verbundenen Namen wohl als zu links, andere wollten das Postulat der Eigenständigkeit am Beginn eines kleinen Superwahljahres nicht durch übertriebenen rot-grünen Anstrich gefährden. „Dämlich“, „vorschnell“, „unabgesprochen“ sei das Ganze, hieß es seinerzeit.

Der erneute Versuch von Lemke und Nahles, eine Denkfabrik zu initiieren, hat bisher noch keine Reaktionen hervorgerufen. Die beiden Politikerinnen haben allerdings auch hinreichend vorgebaut: Nein, es gehe nicht um die unmittelbare Vorbereitung einer rot-grünen Koalition im Bund. Es handele sich zudem um ein „Projekt von Personen, nicht von Organisationen“. Mit der Ankündigung des „Denkwerks Demokratie“ sind natürlich trotzdem jede Menge Signale in die je eigenen Reihen verbunden. Lemke wird mit den Worten zitiert: „Die Phase wechselseitiger Schuldzuweisungen ist nun vorbei.“ Und Nahles riet „bei aller Konkurrenz zwischen SPD und Grünen, die es natürlich gibt, zu mehr Gelassenheit“. Dahinter steckt auch die Sorge, dass sich der Raum der Möglichkeiten mit Blick auf 2013 schnell schließen könnte. Wenn er es nicht schon getan hat. Was nach Außen bei den Sozialdemokraten als K-Frage und bei den Grünen als Pochen auf die Eigenständigkeit erscheint, ist im Inneren mit strategischen und personellen Kämpfen verbunden, in denen nicht alle gewinnen können.

Der letzte Satz im Beitrag der Süddeutschen übrigens ist mehr als eine Randnotiz: „Ein Dreier-Bündnis mit der Linkspartei ist derzeit weder in der SPD noch bei den Grünen ein Thema.“ Das klingt lapidar, hat Gründe auf beiden Seiten und verweist auf ein großes Versäumnis – und um das so zu sehen, muss man nicht einmal Anhänger irgendwelcher Koalitionsträume sein. Es geht einfach um den gesellschaftlichen Debattenbedarf, der ungestillt bleibt, weil auch eine öffentliche Auseinandersetzung verweigert wird, die mehr ist als Machtarithmetik. Wo Öffnung angesagt wäre, zum Beispiel auch in Richtung Piraten, findet Schließung statt. Zumal die nötigen Diskussionen nicht erst erfunden werden müssten, sondern schon stattfinden – allerdings ohne dass eine größere Öffentlichkeit davon Notiz nimmt.

Man denke da etwa an Mikfelds "Überlegungen zu einem hegemonialen Projekt einer pluralen Linken", das hier wenigstens kritisiert wurde. Ein anderes Beispiel ist das vom Institut Solidarische Moderne vorgelegte Papier zum „Sozialökologischen Gesellschaftsumbau“. Weder ist von einer Zustimmung oder Kritik aus dem Lager von SPD, Grünen oder Linken etwas zu hören gewesen; keine der parteinahen Stiftungen hatte etwas dazu zu sagen, kein sich als im weitesten Sinne links verstehender Intellektueller machte eine Anmerkung. Vielleicht werden die 32 Seiten ja wenigsten im neuen rot-grünen “Denkwerk Demokratie” gelesen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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