Bündnis gegen das Falsche

Proteste Die Anti-Atom-Demo war ein Erfolg – auch für das rot-rot-grüne Lager. Doch wie groß das Potenzial dieses Samstags ist, lässt sich kaum abschätzen

Wenn geschätzte 100.000 Menschen dem Aufruf zu einer Demonstration in der Hauptstadt folgen, dann ist das eine aus dem politischen Alltag ziemlich weit herausragende Angelegenheit. Und für die Regierung, die dort amtiert, ist es der bisher augenfälligste Beleg für den Vertrauensverlust, den sie innerhalb eines Jahres hinnehmen musste. Bleibt die Frage, welches Potenzial in der neuen Lust an Bewegung tatsächlich steckt.

Klaus Hurrelmann, der als Co-Autor der jüngsten Shell-Studie gerade erst auf ein wieder steigendes Interesse an Politik unter Jugendlichen hingewiesen hatte, kann sich durch die große Anti-Atom-Aktion in Berlin bestätigt sehen. Denn beim „Fluten“ des Regierungsviertels halfen nicht nur ältere Semester, die ihre „Demoklamotten wieder rausholen“ konnten, wie es Grünen-Chefin Claudia Roth formuliert hat. Sondern eben auch viele junge Leute. Der Berliner Soziologe Dieter Rucht, seit Jahren Beobachter sozialer Bewegungen, sprach von einer auffallend großen Zahl. Wobei an Protesten der letzten Zeit generell, ergänzt Hurrelmann, viele junge Frauen gewesen seien.

Ist das aber schon „das Fünkchen“, aus dem sich „eine neue politische Bewegung entwickeln kann“? Ob sich Strukturen bilden, die das Gefühl eines Wochenendes überdauern; ob die schon existierenden Organisationen nun Zulauf haben werden; ob die Frage nach außerparlamentarischem Stand- und parlamentarischem Spielbein sich demnächst anders stellen könnte – das bleibt nach einem an Protesten reichen Wochenende vorerst unsicher. Für das ebenso breite wie lose Anti-Atom-Bündnis, dass da am Samstag in Berlin zusammenkam, wird es nicht einfach sein, das Maß noch einmal zu steigern. Schon der nächste Schritt, die Aktionen gegen Castor-Transporte, hat zudem einen ganz anderen Charakter als eine „Latschdemo“. Mit der großen Einigkeit ist es erfahrungsgemäß schnell vorbei, wenn politischer Protest sich auch Methoden des zivilen Ungehorsams bedient.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat nun bereits – ohne ersichtlichen Grund – davor gewarnt, dass der Castor-Widerstand im November nicht friedlich bleiben könnte. Was vielleicht nur unterstreichen sollte, wie sehr sich Angela Merkel mit ihrer Atompolitik verrannt hat, könnte sich noch einmal als strategische Dummheit erweisen: Nämlich dann, wenn das Schlagwort vom „gewaltsamen Protest“ schon bald von Union und FDP gegen die Gorleben-Mobilisierung in Anschlag gebracht wird. Die Bilder aus dem Wendland werden andere sein – weniger gut gelauntes „Event“, mehr ziviler Ungehorsam und behelmte Polizisten. Was sich wiederum negativ auswirken könnte auf die „Verankerung im bürgerlichen Milieu“, von der angesichts der Anti-Atom-Demo vom Samstag immer wieder die Rede war.

Hinzu kommt der starke parteipolitische Drive. Der Atom-Deal bringe SPD, Grüne und Linke einander wieder näher, heißt es jetzt allerorten. Doch das ist kaum mehr als eine Ein-Themen-Annäherung, die gemeinsame Gegnerschaft zu einer weithin unbeliebten Regierung macht noch keine eigene Perspektive. Wenn Grünen-Chefin Roth erklärt, am Samstag habe Berlin „nicht einfach ein Revival“ der Anti-AKW-Bewegung erlebt, „sondern ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen falsche Politik“, dann ist das richtig. Aber es ist damit längst nicht gesagt, wie „richtige Politik“ aussehen könnte.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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