Gegen den Castor: Medien-Rituale und die „harte Linie“ der Polizei

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Der Castor rollt, die Proteste laufen – und Polizei setzt offenbar auf Eskalation. Bereits vor der großen Demonstration am Samstag steigt die Zahl der Festnahmen, werden bei Temperaturen nahe des Gefrierpunktes Wasserwerfer gegen Atomkraftgegner eingesetzt, die in den Nachrichtenagenturen kollektiv als „gewaltbereite Demonstranten“ bezeichnet werden, obwohl es dafür keinerlei Hinweis gibt. Bei Scharmützeln zwischen hoch gerüsteten Einsatzkräften, die Camps umstellten und mit der Ankündigung einer harten Linie für Verunsicherung sorgten, sind Menschen verletzt worden – wohl auf beiden Seiten. Polizeihunde beißen Journalisten, Demonstranten werden im Winter nach Handschuhen durchsucht, es fliegen Steine und Böller. Manche Neuigkeit aus dem Wendland lässt sich schwerlich überprüfen, wird aber zur wortmächtigen Nachricht: Die Polizei spricht von zwei Fällen, in denen mehr als ein Dutzend Molotow-Cocktails auf Einsatzfahrzeuge geworfen worden sein sollen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hingegen erklärten, es habe sich um Bengalische Feuer gehandelt.

Symbolstarke Bilder, auf denen Feuerbälle und Polizeiautos zu sehen sind, werden zu Passepartouts der Interpretation: „Krawalle im Wendland“. Man hat den Eindruck, hier soll auch etwas gegen die ziemlich breite Unterstützung der Proteste in der Bevölkerung getan werden – zwei Drittel finden es richtig, wenn sich Leute aktiv gegen Atommüll-Transporte engagieren, immer noch 27 Prozent unterstützen es, wenn dabei auch Straßen und Gleise blockiert werden. Zu viel Sympathie, findet offenbar der Apparat – weshalb Pressemitteilungen der Polizei dann auch mal mit Sätzen enden wie: „Wir hoffen, dass sich die Demonstranten von diesen Straftätern distanzieren und ihnen weder bei der morgigen Auftaktdemonstration in Dannenberg noch im Anschluss Deckung in ihren Reihen geben, sie nicht bei Ihren Taten unterstützen und sich von ihnen distanzieren.“

Castor-Ticker - hier
Castor-Ticker der Taz - hier

Bündnis gegen Castor - hier

In den Zeitungen wird nun ganz rituell über die „Rituale im Wendland“ berichtet, gern auch in jenem betont „ironischen“ Sound, den der postpolitische Journalismus a la Spiegel-TV vormacht, dem es natürlich nichts ausmacht, seine Beiträge mit „Wasser marsch“ zu betiteln. Besser, oder sagen wir: überhaupt informiert wird man eher woanders – zum Beispiel bei den diversen Castor-Tickers von Tageszeitung oder der Anti-AKW-Bewegung. Die Parteipolitik verhält sich auch erwartungsgemäß: Linkspartei und Piraten verdeutlichen ihre Unterstützung der Proteste durch Sitzungen an der Castor-Strecke, die Grünen sind traditionell im Wendland ganz groß – damit man schneller vergisst, wie ihr erster Ministerpräsident gerade das Engagement für überflüssig erklärt hat: „Protest macht jetzt eigentlich keinen Sinn mehr.“ Es scheint sich um eine grüne Amtskrankheit zu handeln – als Jürgen Trittin Umweltminister war, sah auch er „für Grüne keinen Grund, gegen diese Transporte zu demonstrieren“.

Den Widerspruch schlachten andere Parteien gern aus: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bollerte gegen die Grünenspitze, welche „Fahrten zu den Transporten als eine Art After-Show-Party des Parteitags“ organisiere und so „Folklore auf dem Rücken der Polizisten“ betreibe. Außerdem werde die Stimmung „unnötig weiter angeheizt“. Das sehen nicht nur die Grünen selbst anders. „Es hat im Wendland über viele Jahre die Strategie der Deeskalation gegeben“, wird die Grünen-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Rebecca Harms, in der Tageszeitung zitiert. „Das jetzt aufzukündigen, dafür sehe ich keine Begründung.“ Linksfraktionschef Gregor Gysi meinte, die Menschen hätten ein Recht zur Demonstration und zum Widerspruch – welches die Polizei nicht nur zu dulden, sondern eigentlich fördern habe. „Doch statt zu deeskalieren, eskaliert sie die Situation – angetrieben von den politisch Zuständigen.“ Auch sein nordrhein-westfälischer Parteifreund Rüdiger Sagel kritisiert das herkömmliche Bild von den rechtswidrigen Protesten gegen den erlaubten und nötigen Castor-Zug: „Die Proteste in Gorleben sind legitim, der Transport jedoch illegal.“

Castor im Freitag:
Nichts ist entschieden - hier
Umweg über Philippsburg - hier

Die Frage, was erlaubt ist und was nicht, wird auch die diesjährigen Aktionen gegen den Strahlenmüll begleiten. „Straßenblockaden werden nicht mehr hingenommen“, warnte bereits ein Sprecher der Bundespolizei. Und der „Gewerkschafter“ Rainer Wendt von der DPolG legte nach: „Rechtsbruch wird nicht geduldet! Die Härte der Maßnahmen ist in jeder Hinsicht gerechtfertigt.“ Was die Castor-Gegner anders sehen – und dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verweisen: Karlsruhe hatte im Frühjahr die Verurteilung eines Mannes auf, der im März 2004 an einer Sitzblockade vor einem Stützpunkt der US-Luftwaffe bei Frankfurt am Main teilgenommen hatte, um gegen den drohenden Irak-Krieg zu protestieren. Die BI Umweltschutz hatte das Urteil seinerzeit begrüßt: gewaltfreie Blockadeaktionen sind keine strafbare Nötigung, wenn die politischen Ziele der Demonstranten die von der Blockade ausgehende Gewalt überwiegen.

Da fällt einem doch glatt Brecht ein: Was ist die Verhinderung eines Castortransports gegen die Atompolitik, die ihn nötig macht?

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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