Gerade teilte die Post mit, bald einen Transporter mit Brennstoffzellentechnik auf die Straße bringen zu wollen. Ein Unternehmen, das in Briefen und Paketen macht, zeigt sich einmal mehr als Technologietreiber in Sachen Mobilität – seine „Streetscooter“ genannten Nur-Elektrischen fuhren schon, während Autokonzerne noch ihre Energie in Abgasbetrug steckten statt in neue Antriebsarten.
Die von der Post genutzte Variante, bei der eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle Strom liefert, entzweit seit Längerem die großen Fahrzeughersteller. Es geht um viel Geld, auch das der Steuerzahlenden, es geht darum, auf welche Technik bei der Anpassung an die Klimakrise gesetzt wird. Einige Autobauer drängen die Politik, auf dem Weg eines rein batterieelektrischen Antriebs schneller voranzugehen, andere fordern mehr Technologieoffenheit. Auch die Brennstoffzelle soll eine Chance als sinnvolle Ergänzung bekommen.
Brennstoffzelle? Wasserstoff? Wer wissen möchte, was die Idee dahinter mit Froschschenkeln zu tun hat, warum es „verwirrend viele Möglichkeiten der Konstruktion“ einer solchen Zelle gibt und was das alles mit der Klimakrise und den Chancen zu tun hat, politisch und ökonomisch gegenzusteuern, findet in Timm Kochs Das Supermolekül eine gute Einführung.
Es erweist sich als Vorteil, dass der Autor Philosoph ist: Die Potenziale des Wasserstoffs als alternativer Energiequelle geraten bei ihm nicht bloß zur technischen Angelegenheit, der Mann hat eine Botschaft: „Wer auch immer ehrlich auf eine emissionsfreie Zukunft hinarbeitet, der wird auf die Brennstoffzelle nicht verzichten können.“ Die Einschränkung „ehrlich“ verweist auf Kochs Kritik an denen, die zwar bisweilen grün reden, aber in Wahrheit am Status quo festhalten wollen – einem, der mit Diesel, Benzin oder Kohle angetrieben wird.
„Anstatt gemeinsam nach Wegen zu suchen, die klimarettende Technologie nach vorne zu bringen, setzen die zerstörerischen Kräfte des Beharrens auf Lobbyismus und gekaufte Politik und drehen die Abwärtsspirale immer schneller Richtung Abgrund“, schreibt Koch und grenzt sich zugleich von jener Technik ab, die aktuell die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse bestimmt: die Batterie. Während sich Bundesländer im Ringen um die staatlich geförderten Ansiedelungen riesiger Fabriken anfeinden, sieht Koch darin generell einen Irrweg. „Im Gegensatz zu der heutzutage allseits gepriesenen Batterietechnik hat die Wasserstofftechnik das Zeug dazu, ein ernsthafter Konkurrent für Erdöl, Erdgas, Kohle und Atom zu sein.“ Genau die vier Dinge, die „zwar einerseits unsere Zukunft bedrohen, mit denen aber Tag für Tag unvorstellbare Summen verdient werden“.
Doch Wasserstofftechnik wird in einer kapitalistischen Welt sicher nicht gleich zum öffentlichen, gemeinfreien Gut. Auch bei der Brennstoffzelle und anderen Möglichkeiten, die H2 bietet – in der Wärmeversorgung oder als Speichermedium –, geht es um Kapitaleinsatz und Rendite. Wo heute nach mehr Wasserstoff, mehr Förderung, mehr Einsatz gerufen wird, stehen meist nicht ökologische Ziele im Vordergrund, sondern ökonomische. Und es geht um globale Konkurrenz. Seitdem der ehemalige chinesische Minister für Wissenschaft und Technologie, Wan Gang (der „Architekt der chinesischen Elektroauto-Revolution“), erklärte, nicht der Lithium-Ionen-Batterie, sondern der Wasserstoff-betriebenen Brennstoffzelle gehöre die Zukunft, werden Mahnungen lauter, man müsse – Standort, Standort! – auch hier schnell umsteuern.
Das kann man wörtlich nehmen. Zuallererst geht es in der Debatte um Automobilität. 2019 liegt der Marktanteil von Kraftfahrzeugen mit Brennstoffzelle bei 0,0007 Prozent. Für die knapp 400 Fahrzeuge mögen die aktuell etwas über 70 Wasserstoff-Tankstellen nach viel aussehen, ExpertInnen gehen aber davon aus, dass eine Abdeckung von mindestens 1.000 Stationen für einen Massenmarkt nötig wäre. Sie müssten zudem billiger werden. Das gilt auch für den Wasserstoff, für dessen Produktion heute noch viel Strom benötigt wird. Das wirkt sich auf die Kosten des Vorankommens aus: Im ersten Serien-Brennstoffzeller von Toyota werden auf 100 Kilometern gut sieben Euro fällig, so rechnete Florian Hacker vom Öko-Institut vor.
Hier könnte Kritik ansetzen: Die Technik wird als bloßer Öko-Ersatz in einer Welt gedacht, an der sich sonst nichts ändern müsste. Fossile Strukturen, der Automobilismus als Kultur, die Warenförmigkeit von Energiestoffen blieben erhalten, würden aber, so die Hoffnung auch Kochs, in einen etwas ökologischeren Modus gesetzt.
Dagegen spricht wahrlich nichts, sofern man über den Horizont hinauszudenken bereit bleibt, der auch beim Einsatz von Wasserstoff begrenzt bleibt. Koch hat ein ebenso engagiertes wie lesenswertes Plädoyer für eine Technik vorgelegt, die den ökonomischen Interessen des fossilkapitalistischen Ancien Régime Paroli bietet. Seine Grenzen findet der Appell da, wo die Anrufung des Wasserstoffs solutionistisch wird – also den Anschein erweckt, als könnten alle Probleme durch diese eine technische Lösung überwunden werden. Das kann nicht einmal ein „Supermolekül“.
Info
Das Supermolekül. Wie wir mit Wasserstoff die Zukunft erobern Timm Koch Westend 2019, 173 S., 18 €
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