Wer unter mir regiert

Wahlkampf Die Unternehmer warnen vor Rot-Rot-Grün – und lassen durchblicken, dass sie ein Kabinett zwar für die Regierung halten, aber genau wissen, wo die Macht tatsächlich liegt

Dem Kapital, lautet ein alter linker Spruch, ist es egal, wer unter ihm regiert. Aber stimmt das auch? Seit den Augustwahlen machen die Unternehmen jedenfalls schon mal klar, welche Regierungskonstellation keinesfalls gewünscht wird: Rot-Rot-Grün. „Wer linke Mehrheiten anstrebt, setzt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufs Spiel und gefährdet Wachstum und Arbeitsplätze“, warnt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt auftragsgemäß. Die Industrie lässt ihren Verbandsoberen Hans-Peter Keitel erklären, es sollten nur jene Parteien zusammenarbeiten „die sich eindeutig zur sozialen Marktwirtschaft bekennen“.

Und das sind längst nicht alle öffentlichen Hinweise darauf, welche Regierung sich die Wirtschaft ausbittet. Für den Fall, dass es angesichts der Krisenreparaturpolitik der großkoalitionären Bundesregierung – Tonnen-Keynesianismus, Notverstaatlichung etc. – in der Unternehmerschaft und bei den Anteilseignern zu ideologischen Unklarheiten gekommen ist, gibt es in der Frankfurter Allgemeinen Nachhilfe: Unter Verweis auf das längst vergessene „Gute Gesellschaft“-Papier von Andrea Nahles und Jon Cruddas wird nach den Landtagswahlen wortreich vor Rot-Rot-Grün gewarnt. Sogar „längst überwunden geglaubte Sozialisierungsvorstellungen“ seien wieder erwacht. Ach Gottchen. Die Wirtschaft sei "irritiert“.

Inzwischen droht der erste Unternehmer mit Umzug aus dem womöglich bald linkspartei-mitregierten Saarland: Wendelin Franz Egon Luitwinus Maria von Boch-Galhau (ja, so heißt man in diesen Kreisen) wolle gegebenenfalls den Firmensitz nach Luxemburg verlagern. Der einstige WG-Zimmergenosse des späteren RAF-Desperados Andreas Baader ist vielleicht auch ein wenig vom Sündenstolz derer getrieben, die den linken Fleck auf ihrer Biografie nicht ausbügeln können. Und überhaupt: Wer könne einem wie ihm, dem Mann von Adel, dem „guten Patriarch“, schon „sagen, was gut ist für das Saarland?“ Den Wiederaufstieg von Oskar Lafontaine, der das in Anspruch nimmt und dabei zu einem anderen Schluss kommt, als der Unternehmer, müsse von Boch „als persönliche Beleidigung empfinden“, weiß der Wirtschaftsteil – und auch, dass „so einer“ keine Ratschläge brauche, „schon gar nicht von links“.

Alles nur Geplänkel, oder demokratische Willensbildung gar? Vom Abend der Bundestagswahl von 1998 ist überliefert, wie der damalige „Boss der Bosse“ Hans-Olaf Henkel noch spät in Bonn vorbeischaute um Gerhard Schröder zum Sieg zu gratulieren. Noch Tage zuvor hatte der BDI-Vorsitzende vor einem Kanzlerwechsel gewarnt. Der rot-grüne Kanzler hat den Besuch damals offenbar richtig verstanden. Ein paar Monate später fällt in einer Kabinettssitzung der Satz, er lasse mit sich „keine Politik gegen die Wirtschaft machen“. Als das Diktum am nächsten Tag auch in der Bild-Zeitung zu lesen war, trat Oskar Lafontaine zurück. Die Kurse stiegen prompt. Dem Kapital ist es nicht egal, wer unter ihm regiert.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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