Solange nichts passiert, ist alles möglich“, sagt die Mutter Marika in Elena Fischers Debütroman Paradise Garden, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Sie erklärt so der 14-jährigen Tochter Billie, warum in ihrem Lieblingsfilm nicht viel passiert, außer dass ein Mädchen mit seiner Mutter in Florida in einem Wohnwagen lebt. In den Geschichten, die Billie schreibt, passiert dagegen eine Menge. So auch in ihrer eigenen, die sie zu erzählen beginnt, nachdem ihre Mutter mitten in den Sommerferien plötzlich stirbt. Auch wenn sie davon erst später berichtet.
Eigentlich wollten die beiden endlich einmal in einen richtigen Urlaub fahren, wenn schon nicht Florida, dann wenigstens nach Frankreich – Hauptsache ans Meer. Denn von
ans Meer. Denn von Urlaub können Billie und ihre Mutter ansonsten nur träumen, wenn sie im Laubengang vor ihrer Zweizimmerwohnung im 17. Stock einer Hochhaussiedlung stehen und auf die Autobahn gucken.Außer Urlaub können sie sich auch sonst nicht viel leisten, obwohl Marika tagsüber putzt und abends in einer Bar arbeitet. Doch die beiden haben einander und sie haben gelernt, aus einem Leben ohne Geld das Beste zu machen. Was ihnen an Kaufkraft fehlt, machen sie durch gute Ideen und gute Laune wett. Kurz vor den Sommerferien haben Billie und ihre Mutter bei einem Gewinnspiel etwas Geld gewonnen, das zumindest reichen würde, um den alten Nissan einmal vollzutanken und die erste Nacht am Meer im Hotel zu verbringen – danach könnten sie auch im Auto schlafen.Doch am Tag vor der so lange herbeigesehnten Abreise zerplatzt der Traum so schnell, wie er wahr geworden war, und Billies Leben wird komplett auf den Kopf gestellt. Ihre ungarische Großmutter ist plötzlich krank geworden und soll so schnell wie möglich zur Behandlung nach Deutschland kommen. Billie weiß von ihrer Großmutter nicht viel mehr, als dass ihr Mann sehr früh starb, und dass Billies Mutter danach nicht schnell genug von zu Hause abhauen konnte. Gesehen hat Billie ihre Großmutter noch nie, ebenso wie ihren Vater, über den die Mutter noch viel beharrlicher schweigt.An dieser Stelle scheint Elena Fischer das Credo von Billies Mutter endgültig in frage zu stellen: Solange nichts passiert, bleibt zwar in der Tat alles möglich – aber nichts davon wird wirklich. Stattdessen passiert eine Katastrophe. Die Großmutter kommt, Konflikte kochen hoch, irgendwann eskaliert ein Streit – bei einem Unfall stirbt Marika. Billie ist nun auf sich selbst gestellt und macht sich nach einem kurzen Zwischenstopp im Heim schließlich mit dem Nissan allein auf den Weg ans Meer – und auf die Suche nach ihrem Vater.Elena Fischer lässt sich in ihrem fein komponierten Text viel Zeit (Billie beginnt ihre große Reise erst auf Seite 200). Mit ruhigen, einfachen Sätzen versucht sie, sich dem jugendlichen Blick ihrer Erzählerin zu nähern. Oft genug schafft sie das, verliert sich nur manchmal in zu vielen Glückskekssprüchen, schiefen Vergleichen und einem vielleicht ein wenig verklärenden Blick auf Armut und Trauer. Obwohl ihre Geschichte doch auch zu bewegen vermag, ist die Balance zwischen Realismus und Märchenhaftem prekär.Was Wolfgang Herrndorf (der Freitag 34/2023) in Tschick mit seiner schelmisch überspitzten Road Novel im geklauten Lada spielend gelang, fällt Fischers tragischem Grundton etwas schwerer. Wenig gelungen ist leider die Hörbuchfassung von Paradise Garden. Zwar hat Lena Urzendowsky schon in vielen Filmrollen brilliert, die sie auch für eine Leinwandversion von Billie empfohlen hätten. Doch ihre zähe Lesung überzeugt in vielen Passagen ebenso wenig, wie Elena Fischers Buch tatsächlich von einer 14-Jährigen geschrieben wurde. Wer wissen will, wie es ausgeht, liest also besser selbst.Placeholder infobox-1