Der implizite Konjunktiv

Wahlversprechen Ständig werden in der Politik Versprechen gebrochen und Hoffnungen enttäuscht. Täuschung und Verrat sind aber ein zwingendes Resultat der parlamentarischen Demokratie.

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Letzte Woche sprach Angela Merkel vor Vertretern der Jungen Union. Dabei sagte Sie folgendes:

"Wir haben in unserem Wahlkampf nicht so viel versprochen, und daraus ist Vertrauen zu den Menschen erwachsen."

Oder, im Umkehrschluss, aus vielen Versprechen entsteht großes Misstrauen. Nun ist das ja für den politisch gebildeten Bürger nichts Neues - kaum, dass man sich einmal an den seltenen Fall erinnert, dass ein politisches Versprechen eingehalten wird.

Und doch sind dieser Tage wieder dutzende an Aussagen in der Diskussion, werden Politiker als Verräter bezeichnet, zerschlagen sich Hoffnungen. Wieso regen wir uns denn jedes Mal wieder so auf, wenn wir doch wissen, wie der Hase läuft? Warum lassen wir uns immer wieder einwickeln, um dann in unserem Pessimismus bestätig zu finden, und sind dennoch enttäuscht? Die Antwort liegt im Vokabular und in der Systematik der parlamentarischen Demokratie. Dazu stelle ich im Folgenden drei Thesen auf:

  1. Wahlprogramme sind Wunschdenken
  2. Der Begriff "Wahlversprechen" ist falsch gewählt
  3. Selbst Politiker durchschauen dieses System nicht immer

1. Wahlprogramme sind Wunschdenken

Wenn man ein Wahlprogramm einer beliebigen Partei anschaut, sollte man sich einmal die Frage stellen, unter welchen Umständen dieses so, wie es da steht, umgesetzt werden könnte. Hypothetisch lauten diese Voraussetzungen wie folgt:

  • Die betreffende Partei muss die absolute Mehrheit haben - auf Bundesebene in Bundesrat und Bundestag. Am Besten noch mehr, damit eine Blockade der Opposition unmöglich wird.
  • Die Abgeordneten dieser Partei müssen sich über alle Punkte komplett einig sein.
  • Es darf keine wirtschaftlichen, strukturellen oder organisatorischen Probleme bei der Umsetzung geben - keine Finanzierungslöcher, keine juristischen oder personellen Schwierigkeiten.

Betrachtet man diese Punkte, kann man zweierlei konstatieren: Erstens wäre eine solche Situation höchst antidemokratisch, zweitens ist sie ebenso vollkommen unrealistisch. Sebst die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit kommt nicht an dieses "Ideal-"Ziel heran. Durch Abschwächung der Bedingungen werden Kompromisse notwendig und damit Abweichungen von den ursprünglich formulierten Zielen unausweichlich. Es geht hier lediglich um die hypothetische vollständige Umsetzung aller Punkte.

Rein sprachlich gesehen enthält somit jedes Wahlprogramm den impliziten Konjunktiv: "Wenn wir machen könnten, was wir wollten, dann würden wir..." - also bestenfalls eine idealisierte Wunschvorstellung.

2. Der Begriff "Wahlversprechen" ist falsch gewählt

Der Begriff "Versprechen" impliziert, dass die mit dieser Bezeichnung attributierte Aussage mit hoher Sicherheit - abhängig von damit verknüpften Bedingungen - realisiert wird. Beim Wahlversprechen ist für gewöhnlich die zugehörige Bedingung, dass die entsprechende Partei gewählt wird. Betrachtet man aber dazu die o.g. Bedingungen für die Durchsetzung eines Wahlprogramms, sollte erkennbar werden, dass es sich hierbei mitnichten um ein Versprechen, sondern bestenfalls um eine idealisierte Absichtserklärung handelt.

Aus dieser Wortwahl und der semantischen Bedeutung, die wir dem Begriff "Versprechen" für gewöhnlich zuweisen, entsteht nun jener Kreislauf, in dem die Wähler gefangen sind. Zuerst Aufbruch, Hoffnung, Vertrauen, dann Enttäuschung, Ernüchterung, Resignation. Jede Legislaturperiode, ad infinitum. Wir sehnen und nach klaren Aussagen und einfachen Wahrheiten - denn andererseits sind uns das Herumlavieren, schwammige Aussagen, faule Kompromisse ein Greuel. Dabei ist letzteres, so weh das auch tut, bei Weitem ehrlicher. Willkommen in der parlamentarischen Demokratie.

3. Selbst Politiker durchschauen dieses System nicht immer

Man könnte in diesem Zusammenhang unterstellen, dass dies in der hohen Politik ein durchaus bewusst angewandtes Konzept ist - und ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Der immer wiederkehrende Zyklus von Versprechen und Enttäuschung zeigt aber, dass viele Politiker sich dieser einfachen Wahrheit selbst nicht voll bewusst sind. Denn wer diese Systematik tatsächlich durchschaut hat, der wird sich gerade davor hüten, Versprechen zu geben, die er nicht halten kann. Hier kann man nun auf das an den Anfang gestellte Zitat von Angela Merkel verweisen - was einerseits so zynisch klingt, ist letztendlich der Ausdruck einer Klarsicht, die der CDU vermutlich mehr Stimmen gesichert hat als ihre ganzen Wahl-"Versprechen".

Fazit

Diejenigen an beiden Enden des Machtgefüges, denen diese Mechanismen bewusst sind, wissen, was klare Aussagen, Wahlprogramme, Versprechen in der parlamentarischen Demokratie wert sind - nichts. In der Realität bleiben davon ein paar gute Absichten, bei denen man froh sein kann, wenn ein Teil davon durch die Schichten an Kompromissen und Verhandlungen überlebt.

Disclaimer: Der hier präsentierte Beitrag ist ausschließlich auf persönlichen Erfahrungen und Meinungen begründet und infolgedessen natürlich gänzlich unwissenschaftlich. Gegenthesen und Kritik sind ausdrücklich erwünscht.

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Geschrieben von

Trias

Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas.

Trias

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