Es gibt Zeiten, da implodieren die Maßstäbe: Klimakatastrophen, Pandemien und weltweite Finanzkrisen sind Beispiele. Zeiten sind das, in denen global ausgreifende Thesen wohlfeil klingen, sich aber die wenigsten davon bewähren. Was also erwarten von einem Buch, das ebenso schlicht wie selbstbewusst Das Geld heißt und von einem an der TU Chemnitz lehrenden Altphilologen verfasst wurde? Eske Bockelmann, soviel gleich vorab, veröffentlichte vor sechzehn Jahren einen umfangreichen Essay darüber, wie die Einführung des Geldes selbst den Rhythmus der poetischen Rede steuerte, ja dem menschlichen Geist seine Form aufprägte (Der Takt des Geldes, Zu Klampen 2004). Man darf also davon ausgehen, dass hier ein Thema seinen Autor gesucht hat.
Das Geld stellt sich dem Leser vor als Triptychon. Im ersten Teil, der die Welt vor dem Geld behandelt, sollen wir unsere historische Einbildungskraft dafür schulen, ohne die hilfreiche Abstraktion “Geld” auszukommen. Bockelmann führt, ausgehend von einer etwas vereinfachten Lektüre von Mauss’ Klassiker, den Gabentausch als Modell einer auf gegenseitiger Verpflichtung beruhenden Gesellschaft aus. Der Sinn des häufig rituell geregelten Austausches sei die Verbindung, zwischen Gebenden und Nehmenden, aber auch zwischen diesen und der Gemeinschaft, die sich in ihren Mitgliedern auslege. Bockelmann versucht hier den “archaischen Charakter der Gabe”, wie sie etwa in Homers Ilias verhandelt wird, mit dem Material “ferner Gegenwarten” zu parallelisieren. Das ist heikel, selbst wenn man zeitgenössische Ethnologen auf seiner Seite weiß, die die westlichen Kategorienfehler bei der Unterstellung, es handele im Kern jeder mit Geld, korrigieren. Bockelmann aber kann argumentieren, dass weder der angebliche Tauschhandel, der dann durch Geld vereinfacht worden sein soll, noch die Münzzahlungen veranschlagende Welt des Mittelalters das Geld kannten. Er widerspricht damit zugleich David Graeber, der es aus den seit 5.000 Jahren angelaufenen Schulden ableitet. Schulden seien Verpflichtungen zu einer Leistung, die zwar durchaus in der Übergabe zählbarer Dinge bemessen sein könnten – “Aber dafür müssen sie nicht irgendetwas anderes sein als diese zählbaren Dinge selbst – also keineswegs Geld.”
Wie Leistungen, der Tausch von Gegenständen, Zahlungen, die etwa in Gestalt von Agrarprodukten als Abgaben anfielen, vom Geld verdrängt wurden, das skizziert Bockelmann im etwas kurz geratenen zweiten Teil. Es ist die Geschichte vom sich allmählich ausbreitenden Markt. Anfänglich, so der Autor, tauschten die Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft Dinge, und dieser Tausch verfuhr nach der Schätzung der Angemessenheit. In dem Sinn gab es keinen Handel. An den Außengrenzen der Länder handelten hingegen Kaufleute, indem sie im Inneren nicht hergestellte Gegenstände tauschend erwarben. Aber sie handelten lange im Auftrag, nicht für einen Markt, und wenngleich die ertauschte Fracht als “Gewinn” deklariert wurde, bezog sich, wie Karl Polanyi einmal feststellte, dieser Ausdruck auf die Güter an sich. Der Verlust hingegen war der Verlust an Gewinn – das gesunkene oder gekaperte Schiff.
Stadtluft heißt Ungewissheit
In den feudalen Gesellschaften des Mittelalters und noch der frühen Neuzeit war der Markt eine Ausnahmeerscheinung und eher Anzeichen für Dysfunktionalität. Es waren ja agrarische Gesellschaften, von Verpflichtungen geprägt, die sich in Hierarchien ausdrückten. Immobile Güter galten weit mehr als mobile. Erst die Überflusserscheinungen der kleinen Wärmezeit mit ihren Überbevölkerungen und die Entstehung von Städten, die die umherziehenden Menschengruppen neu binden sollten, generalisierten den Markt zum bevorzugten Erwerbsort. Stadtluft machte frei, sie sorgte auch für eine gewisse Gleichheit der Menschen, aber vor allem setzte sie sie in nie gekannter Weise dem Ungewissen aus.
Als Marktteilnehmer ist man auf Kauf und Verkauf als unterhaltssichernde Tätigkeiten angewiesen, und genau hier beginnt das Geld als reines Tauschmittel seinen Siegeszug. Geld realisiert sich als Wert in Waren, es macht sie abtrennbar, es fordert einen Geldeigentümer. Geld wird umso mächtiger, je endgültiger Nominal- und Materialwert (also der Wert seines Trägers, z.B. in Münzform) von einander geschieden werden und Geld somit zu nichts als einem reinen Zahlenwert gerinnt (mit einer gleichwohl materiell sehr aufwendigen Infrastruktur). Wie zahlreiche Denker vor ihm – Karl Marx, Alfred Sohn-Rethel - treibt auch Bockelmann die Frage nach dem “Wert” um. Wert gibt es erst bei Waren, nicht bei Gütern, Waren erst, sobald Kaufen und Verkaufen vordringlich werden, damit das “Schaffen” von Mehrwert. Der Wert der Waren sei ihr Preis, und Mehrwert ergibt sich aus der Scheidung von Arbeit in Arbeitskraft und Arbeitsprodukt, das verkaufbar ist, aber jeweils durch den Verkäufer der Ware, der als Käufer der Arbeitskraft auftritt, realisiert wird. Dieses Scheiden und Zusammenführen aber ist eine Funktion des Geldes als Tauschmittel, das wie ein Virus nur überlebt, indem es sich in etwas anderem vermehrt.
Geld zwingt Menschen zu einem warenartigen Verständnis ihrer selbst – weshalb sich eine moderne Ökonomie auch keine Sklaverei im engeren Sinn erlaubt - , ebenso wie es Waren zum bloßen Vehikel seiner Vermehrung macht. Bockelmanns beste Kapitel finden sich denn auch im dritten Teil “Was Geld ist”, wo er das stahlharte Gehäuse beschreibt, in und von dem wir leben, so dass wir es kaum zu Gesicht bekommen. “Dieselbe Gleichsetzung, die uns zwingt in allem wirklich Bestehenden Wert zu sehen, zwingt uns umgekehrt dazu, auch alles wirklich Bestehende im Geld zu sehen.” So zieht der Autor gegen kommode ökonomische Theorien wie die des abnehmenden Grenznutzens genauso zu Felde wie gegen selbstgenügsamen Philanthropismus, der glaubt, die Probleme des Hungers durch stellvertretendes Kaufen zu lösen. Er beschreibt, wie Geld den Staaten, Banken und Kreditnehmern auferlegt, reale Gewinne durch fiktive Gewinne einzufahren. Und er legt dar, dass es in der Natur des Geldes und nicht in der des Finanzmarkts liegt, nach jeder Krise so weiterzumachen wie zuvor. Occupy Wallstreet – welch ein Wahn.
Was Bockelmann antreibt, und weshalb sein Essay im Kern ein geschichtsphilosophischer ist, spürt man am Schauder, mit dem er die Durchsetzungsgeschichte des Geldes als Geschichte europäischer Gewalt erzählt. Europa erbeutete nicht nur Waren, es erbeutete die Welt als Marktplatz. Es schuf den Refrain vom alternativlosen Staat, dem alternativlosen Wachstum – und hat Recht, aber nur, weil es sich selbst einem Nichts ausgeliefert hat, das nichtet.
“Das Geld” ist ein starkes Buch, deshalb darf es sich Schwächen erlauben. Die historischen Teile enthalten manche schulmeisterliche Wendung, aber die sprachliche Präzision und Stringenz der meisten Ausführungen beeindruckt. Auch dass bei der Analyse des Finanzmarktes doch noch einmal die Theorie vom abnehmenden Grenznutzen um die Ecke winkt, tut keinen Abbruch. Und dass das Ende die Romantik zitiert mit ihrer stillen Hoffnung auf das Unerwartete anstatt des Intellektuellen liebsten Glauben an den Durchgang durchs Dunkel zum Licht, verleiht diesem Buch seine Dringlichkeit.
Info
Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht Eske Bockelmann Matthes& Seitz 2020, 367 S. 28 €
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