Ein Kollege

Arbeitsalltag Eine kurze Geschichte über einen Tag mit entfremdeter Arbeit

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Zwanzig Jahre ist es her, da war ich eine Zeit lang bei einer Zeitarbeitsfirma als sogenannter Helfer beschäftigt. Ich befand mich seinerzeit in einer schwierigen Lebenssituation und war dringend auf irgendeinen Job angewiesen, der mir das Auskommen sicherte und so gehörte ich also zu diesen Arbeitsnomaden, die heute hier und morgen dort eingesetzt werden, ohne jemals wirklich irgendwo dazuzugehören.

Es war an einem heißen Sommertag. Meine Einsatzfirma, eine Spedition die nebenbei Verpackungs- und Montagearbeiten ausführte, befand sich in einer benachbarten Kleinstadt in einem Gewerbegebiet. Den zweiten oder dritten Tag arbeitete ich dort und saß an einem Tisch, vor mir irgendwelche nicht näher zu definierende Schraubenteile, die ich auf auf eine Art Leiste festzustecken hatte, ohne das ich den Hintergrund meiner Arbeit erkennen konnte und deren Zweck ich wohl auch nicht wissen musste. In der Halle arbeiteten Menschen, von denen die meisten erkennbar einen Migrationshintergrund besaßen. Die Männer standen an Werkbänken und stanzten schweißgebadet Metallteile, während die Frauen an Tischen saßen und Hygieneartikel in Kartons packten. Schon am Vormittag war es sehr warm in der Halle und eine Geräuschkulisse aus aneinanderstoßendem Metall und Stimmen in zahlreichen Sprachen verband sich zu einer Kakophonie der Arbeit, die keinen der hier Anwesenden glücklich machte.

An diesem Tag hatte ich einen neuen Kollegen an meiner Seite, auch er kam von einer Leihfirma, die überhaupt die meisten der hier Beschäftigten stellten. Der junge Mann mit Namen Michael machte einen recht unruhigen Eindruck und konnte sich kaum länger als ein paar Minuten auf die Arbeit konzentrieren. Immer wieder hielt er inne und schien über irgendetwas nachzudenken was ihn davon abhielt weiterzuarbeiten und nach ein paar Augenblicken nahm er seine Arbeit halbherzig wieder auf. Diese Unruhe verstärkte sich nach der Mittagspause. Michael fiel es immer schwerer, an seinem Platz zu sitzen, sprang oft unvermittelt auf und lief durch die Halle irgendwohin und als ich ihn fragte was denn mit ihm los sei sagte er: "Muss öfter aufs Klo."

Diese Unbeständigkeit hatte mittlerweile die Aufmerksamkeit des Vorgesetzten erregt. Immer wieder schaute der Mann, ein schlecht gelaunt wirkender Kerl mit sauertöpfischen Gesichtsausdruck, von seinem Meisterkabuff herrüber und nun, als sich der Tag seinem Ende zuneigte, schien er genug von dem Treiben dieses für ihn unvorteilhaften Mitarbeiters zu haben. Wie ein wütender Hund schoss er aus seinem Büro herraus, baute sich vor Michael auf und erklärte ihm, er brauche Morgen nicht wieder zu erscheinen. "Es geht einfach nicht" sagte er zum Schluss in leicht resigniertem Ton und Michael nahm diese Nachricht mit stoischem Gleichmut wortlos zur Kenntnis, als habe er nichts anderes erwartet und vielleicht auch gar nichts anderes gewollt. So ging dieser Arbeitstag zu Ende.

Auf dem Weg nach Draussen kam ich an einem Büro vorbei in dem sich eine junge Frau aufhielt. Als sie mich sah, machte sie mir ein Zeichen hereinzukommen was ich auch tat. Sie schaute mich mit ihren dunklen Augen an und sagte: "Dieser Mann heute mit dem Du gearbeitet hast, der kann doch nicht arbeiten." Und nach einer kurzen Pause, in der sie vergeblich auf eine Antwort von mir gewartet hatte fuhr sie fort: "Deutschland ist doch ein so reiches Land, warum zwingt man diesen Mann zu arbeiten wo er es doch einfach nicht kann?" "Vielleicht möchte er ja seinen Lebensunterhalt verdienen", warf ich ein, was mir einen ungläubigen Blick eintrug. Natürlich hatte die Frau recht und bevor ich etwas unsymphatisch Deutsches wie Pflicht zum Geldverdienen sagen konnte, wünschte ich einen guten Abend und ging.

"Wenn er es doch nicht kann." Auf der Straße fiel mir eine Stelle aus dem Roman Buddenbrooks ein. Nach dem Tod der Mutter streiten sich die Brüder Thomas und Christian Buddenbrook um das Erbe. Thomas empfielt seinem Bruder zur Lösung seiner Probleme: "Arbeite!" Christian, der an einer ererbten Nervenkrankheit leidet empört sich daraufhin: "Wenn ich es aber nicht kann!" Den Rest des Abends bin ich sehr nachdenklich. Ist es diese von Thomas Mann beschriebene protestantische Arbeitsethik, die uns daran hindert, einige offenbar zur Arbeit untauglichen Menschen einfach in Ruhe zu lassen anstatt sie mittels einer unbarmherzigen Hartz 4 Bürokratie zu quälen? Hartz 4 war zu dem Zeitpunkt übrigens noch nicht eingeführt.

Am nächtsten Tag ging ich, wie sollte es anders sein, wieder zur Arbeit um meine Pflicht zu erfüllen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ulrichs

Pazifistisch, Humanistisch, glaube an eine bessere Welt, ich bin süchtig nach Büchern, hauptsächlich Romane

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