Es gibt ein Foto, das wie kein anderes die Fronten von 1968 illustriert: Da steht eine junge Frau, Studentin wohl, vor einem Werkstor, vor ihr ein Arbeiter, mit erhobenem Zeigefinger. Man weiß nicht, was er ihr sagt, vielleicht, dass sie erst einmal richtig malochen solle oder lieber "nach drüben" gehen, die Sprüche eben, die langhaarige "Gammler" damals so zu hören kriegten. Wobei, so richtig vergammelt waren sie da noch gar nicht, die Damen und Herren Studiosi, man ging noch beschlipst auf Demonstrationen, die Mädels in kecken Miniröcken und brandheißen schwarzen Stiefeln oder auf Pumps, wenig geeignet, den Reiterstaffeln der Polizei, die den Aufstand illuster flankierten, zu entkommen.
Die Arbeiter und Studenten jedenfalls, das dokumentiert dieses Foto von Günter Zint, das in der Ausstellung 68 - Brennpunkt Berlin derzeit im Berliner Amerikahaus zu sehen ist, konnten zueinander nicht kommen, obwohl die Theorie doch etwas ganz anderes behauptete. Anders als im Mai ´68 in Paris, als der Funke für kurze Zeit auf breitere Bevölkerungsschichten übersprang, war die Revolution in Berlin die Angelegenheit einer kleinen Minderheit; auch wenn die Aufmärsche und Straßenschlachten, von denen Zints wunderbare Bilder erzählen, Masse suggerieren.
Der Chronist Zint, der die sozialen Bewegungen der sechziger bis achtziger Jahre wie kaum ein anderer überliefert hat, schafft es, das Aroma der Zeit einzufangen: den beizenden Strahl aus dem Wasserwerfer, das Geheul der Sirenen, das sich mit den Sprechchören mischt, das Geifern der Hausfrauen auf dem Kudamm, die Ernsthaftigkeit eines Dutschkes inmitten eines nicht enden wollenden Happenings. Dass das Spektakel nun ausgerechnet im ehemaligen Amerikahaus, das von den Demonstranten während einer Anti-Vietnam-Demonstration mit Eiern beworfen worden ist, seine Wiederauferstehung erlebt, könnte sprechender nicht sein: Das mediale Verfallsprodukt ´68 feiert seine museale Dignität.
Von der Zint-Retrospektive einmal abgesehen bietet die von der Bundeszentrale für politische Bildung verantwortete Ausstellung ansonsten genau das Gegenteil ihres Auftrags: Mit politischer Aufklärung über ´68 hat das, was im Amerikahaus zu sehen ist, wenig zu tun. Ein Sammelsurium von Devotionalien - vom Tschako über das Kastenradio bis hin zum historischen Wasserwerfer vor dem Haus - und rotem Schrifttum, das von einer vergangenen Revolte erzählt, die, glaubt man der Ausstellung, keinen inneren Kern hatte und nicht greifbar wird. Vermittelt das unvermeidliche, überlebensgroße Foto mit der nackten Kommune 1 wirklich etwas von befreitem Sex? Das Vervielfältigungsgerät etwas vom Spiritusgeruch, den Flugblattmacher bis zum endgültigen Xerox-Sieg in der Nase hatten? Und die nervige Vielstimmigkeit der Tondokumente etwas von der begeisterten Debattierlust der 68er? Warum sind die Dokumente, die von den Geschlechterzerwürfnissen handeln, in einen Nebengang abgedrängt?
Das, was die 68er ja hatten zusammendenken und -bringen wollen, Privates und Politik, steht - trotz beengter Ausstellungsfläche - zusammenhanglos nebeneinander, Politclowns neben Sexchaoten. So wurden die 68er schon von der zeitgenössischen Mehrheit wahrgenommen. Und es wäre spannend, einmal zu prüfen, welchen Eindruck diese Ausstellung bei einer heutigen Schulklasse hinterlässt.
Noch bis 31. Mai im Berliner Amerikahaus, täglich von 10-20 Uhr. Das umfangreiche Begleitprogramm ist unter bpb.de zu finden
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