Alternativlos im Tunnel

Gesundheitsmalaise Die Koalition muss stürmen und stolpert über die Steine aus den eigenen Reihen

"Alternativlos", hatte Kanzlerin Merkel bekräftigt, als sie einen Tag nach den Wahlschlappen ihrer Partei in den Ländern wieder auf dem politischen Parkett aufgetaucht war, alternativlos sei der Reformkurs der Koalition, und sie beharrte darauf, sich auch durch die Anschauung politischer Wahrheiten nicht irritieren zu lassen. Alternativlos sind Wege gewöhnlich nur in einem Tunnel. Wer im Dunkel einer Röhre voranstrebt, ignoriert todesverachtend vorbeirauschende Fahrzeuge, stößt sich an Stolpersteinen auf dem Weg und hofft am Ende des quälenden Ganges auf strahlendes Licht.

In einem solchen Tunnel bewegt sich die Koalition mit ihrer Gesundheitsreform, seitdem im Sommer die Entscheidung für den Gesundheitsfonds gefallen ist. Denn das Konstrukt, in dem die SPD qua Generalvollmacht auf Beitragseinzug ein bisschen Bürgerversicherung zu erkennen meinte, und die CDU mit der Zusatzpauschale ihr Kopfgeld retten wollte, fußt auf Voraussetzungen, die der Koalition nun bleiern auf die Füße fallen. Und doch "alternativlos" sind, wenn das Modell überhaupt noch realisiert werden soll.

Gegen den Ausgleich zwischen armen und reichen Kassen machten vor Monatsfrist schon die Länderfürsten aus dem Süden mobil, als "die ganze Tragweite, über die man sich bei den Verhandlungen nicht so ganz im Klaren gewesen" sei (Christa Stewens), absehbar wurde. Denn der geplante Risikostrukturausgleich ist kein reiner Kassensturz, sondern verschiebt die verfügbaren Mittel zwischen den Ländern, und die Ministerpräsidenten der reicheren wollen "nicht mehr in den Gesundheitsfonds einzahlen, als sie zurück bekommen".

Mittlerweile hat sich auch herumgesprochen, dass die zusätzliche Kopfpauschale, wenn sie die Schwächeren nicht ungebührlich belasten soll, hinten und vorne nicht funktioniert. Deshalb kratzen die Kritiker aus der Union nun an der Ein-Prozent-Härteklausel. Die aber ist für die Sozialdemokraten eine heilige Kuh: Wenn sie fällt, reißt das letzte Sozialpflästerchen, dann offenbart sich der Fonds als das, was die beiden großen Sozialverbände Deutschlands schon lange beklagen - als unsozial.

Man hätte den Gesundheitsfrauen der unionsgeführten Länder das bisschen überregionale Publicity, die sie am Wochenende in der saarländischen Landesvertretung genießen durften, ja gerne gegönnt - denn wer kennt schon die Gesundheitsministerinnen aus Baden-Württemberg (Monika Stolz), Niedersachsen (Mechthild Ross-Luttmann) oder gar dem kleinen Saarland (Helma Orosz)? Jede hatte einen besonderen "Nachbesserungswunsch" mit nach Berlin gebracht: Den ungerechten Kassenausgleich, die "unsinnige" Härtefallregelung, die Krankenhausfinanzierung oder den besonderen Schutz der Privatversicherungen. Zusammengenommen sind die aufgetürmten Steine so gewaltig, dass sie den Tunnelgang endgültig versperren.

An einer noch dramatischeren Lesart des sonntäglichen Treffens ließ Karl-Josef Laumann, bekannt weniger als nordrhein-westfälischer Sozialminister denn als Unionsmann mit sozialer Zertifizierung durch den Arbeitnehmerflügel, auch keinen Zweifel: Eine "unsinnige Reform", ließ er wissen, gefährde nicht nur das Projekt Gesundheit, sondern das ganze Projekt "große Koalition". Bedenkt man, dass Laumann Minister unter Jürgen Rüttgers ist, der seine Partei derzeit von "links" in die Zange nimmt, Rüttgers Kollege aus dem Saarland, Peter Müller, wiederum aus der Deckung kommt und Angela Merkel an das Versprechen sinkender Lohnnebenkosten erinnert - von den Störsendern aus dem Süden und Südwesten ganz abgesehen -, dann wird deutlich, dass hier nicht nur eine sozialdemokratische Gesundheitsministerin und ihre Fachleute ins Stolpern gebracht werden sollen, sondern der Weg einer Kanzlerin, die die Gesundheitsreform einst zur "Chefsache" gemacht hatte, verbaut wird,

Die Sozialdemokraten können sich derweil zurücklehnen und mit dem Vermittlungsausschuss drohen. Sicher gibt es den einen oder die andere in den SPD-Reihen, die frohgemut das heitere Steinerollen verfolgen. Wer die Reform aufhalten will, sollte sich darüber freuen; die SPD muss solche Steine aber fürchten. Es ist das harte Los der Kanzlerin, ein Projekt verteidigen zu müssen, das einen Tunnelblick aufnötigt. Sollte sie daran scheitern, profitieren nicht die Tunnelstürmer aus der Union und auch nicht die SPD, sondern die, die schweigend vor der Röhre gewartet haben, die Herren Koch und Wulff.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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